Hat die Maus Alzheimer?
In der Hirnforschung werden künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen immer wichtiger, denn dadurch können Verhaltensweisen besser analysiert und krankhafte Veränderungen früher erkannt werden. In einem Projekt des Leibniz-Instituts für Neurobiologie (LIN) Magdeburg hat sich ein Team um Kevin Luxem mit dem Verhalten von Mäusen beschäftigt und anhand der selbst entwickelten Software VAME Algorithmen für das Erkennen der Alzheimer-Erkrankung identifiziert. Die Studie ist im Fachmagazin Communications Biology erschienen.
„Künstliche Intelligenz können wir nutzen, um das Verhalten von Labormäusen zu studieren, Aussagen über deren Gehirn zu treffen und im Idealfall auch Krankheiten zu erkennen“, erklärt Dr. Kevin Luxem, Erstautor der kürzlich veröffentlichten Studie und Mitentwickler der VAME-Software. VAME steht für „variational embeddings of animal motion“. Hierbei setzen die Forschenden auf neue Methoden aus der Welt des maschinellen Lernens: „Es geht vor allem darum, dass der Computer ohne menschliche Unterstützung das Verhalten der Labormaus in verschiedene Kategorien einordnet und somit eine Struktur lernt, die nicht vom Menschen beeinflusst ist.“ Das Herangehen hat zwei entscheidende Vorteile: Dadurch werden auch Verhaltensmerkmale erkannt, die dem menschlichen Auge vielleicht entgangen wären, und es geht wesentlich schneller als die manuelle Einordnung der Verhaltensmuster.
Gesund oder krank?
Der von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen entwickelte Algorithmus ist intelligent. Er kann das Verhalten von Labormäusen mit und ohne Alzheimer-Erkrankung auseinanderhalten, obwohl es für den menschlichen Beobachter so gut wie nicht zu unterscheiden ist. „Das könnte in der Zukunft helfen, eine Frühdiagnose für Alzheimer zu entwickeln, aber es benötigt zunächst noch mehr Langzeitstudien“, so Luxem.
Hierfür kooperieren die Forschenden eng mit dem kalifornischen Gladstone Institute in San Francisco, wo derzeit eine größere Studie an mehr erkrankten Tieren mit der Software VAME stattfindet. „Erste Ergebnisse zeigen, dass der Algorithmus helfen kann, bessere Medikationen zu entwickeln, da man jetzt messen kann, ob sich das Verhalten der Alzheimer-erkrankten Tiere besser an das der biologisch gleichen, aber nicht mit Alzheimer belasteten Tiere annähert.“
Bewegungsmuster und Gehirnaktivität geben Aufschluss
Die Software lernt anhand von virtuellen Markern, die auf dem Körper der Labormaus angebracht werden, die Kinematik und damit die Bewegungseigenschaften des Tieres. Hierdurch ist der intelligente Algorithmus in der Lage, die Bewegungsmuster in einen mathematischen Raum zu projizieren, welchen sich die Forschenden zu Nutze machen. Nachdem der Algorithmus trainiert ist, kann der aufgespannte Raum genutzt werden, um darin Motive zu identifizieren, die die Bewegungsmuster der Labormaus widerspiegeln. „Diese Bewegungsmuster können dann genutzt werden, um das Verhalten des Tieres komplett zu beschreiben, und im späteren Verlauf eines Experiments können sie auch mit gleichzeitig abgeleiteter Gehirnaktivität in Zusammenhang gebracht werden, was Aufschluss über das komplexe Zusammenwirken zwischen neuronaler Aktivität und Verhalten gibt“, erklärt Luxem.
Forschende des LIN und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn haben das Projekt bereits im Jahr 2017 gestartet. Luxem blickt zurück: „Jedoch wurde schnell klar, dass die etablierten Methoden keine robusten Ergebnisse erzielen konnten und nur schwer zu generalisieren waren. Dies führte dazu, dass sich unser Team die neuesten Erkenntnisse aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz zu Nutze gemacht und eine eigene Methode entwickelt hat.“
In der Publikation vergleichen die Autoren die neue Software direkt mit zwei anderen Methoden und weisen darin die Überlegenheit der VAME-Software nach. Labore weltweit nutzen diese bereits, da die VAME-Toolbox als Open-Source-Code frei verfügbar ist. In Zukunft wollen die Forschenden vermehrt auf künstliche Intelligenz setzen, um Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson schneller und sicherer erkennen und zielgerichteter behandeln zu können.
Originalpublikation:
https://www.nature.com/articles/s42003-022-04080-7