Leerstand in Innenstädten: Auf die Eigentümer*innen kommt es an
Honorarprofessor Gerhard Kemper und HAWK-Absolvent Philip Granz haben sich mit der Zukunft von Innenstädten beschäftigt
Der Anblick leerer Ladenlokale und heruntergekommener Häuser in den Innenstädten gehört inzwischen zum normalen Bild in kleinen und mittelgroßen Städten. Die Corona-Pandemie hat diese jahrelange Entwicklung noch einmal beschleunigt. Nur die Immobilieneigentümer*innen selbst könnten diese Situation nachhaltig verbessern, so Gerhard Kemper, renommierter Immobilienexperte und Honorarprofessor an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Dafür müssten sie allerdings den Blick weg vom Einzelhandel und hin zu neuen Nutzungskonzepten wenden. HAWK-Absolvent Philip Granz hat diese alternativen Nutzungen in seiner Masterarbeit genauer unter die Lupe genommen.
Das Onlinegeschäft hat den Einzelhandel grundlegend und nachhaltig verändert. Dass sich dies besonders in kleinen und mittelgroßen Städten stark bemerkbar mache, habe einen einfachen Grund, so Kemper. „Heute betreiben die meisten Einzelhändler*innen selbst Onlineportale und konzentrieren sich auf die stationären Läden in den Großstädten.“ Für die Hauseigentümer*innen in kleinen und mittelgroßen Städten bedeute dies, dass die großen Filialisten als Mieter*innen nun fehlten und damit auch die vergleichsweise hohen Mieteinnahmen. „Wenn die Miete stark reduziert wird, sinkt natürlich auch der Immobilienwert und das hat kein Hauseigentümer gerne“, so der Immobilienexperte. „Dementsprechend zögern viele und hoffen , dass doch nochmal jemand kommt, der die alte Miete zahlt. Aber das wird so nicht passieren.“
Stattdessen sollten Eigentümer*innen von Immobilien in sogenannten 1a-Lagen dringend umdenken und sich mit alternativen Nutzungskonzepten für leerstehende Geschäftsräume auseinandersetzen – auch wenn diese Umbaukosten und geringere Mieteinnahmen mit sich brächten.
Mit eben diesen Nutzungskonzepten hat sich Philip Granz in seiner Masterarbeit beschäftigt. Er hat im Sommer den Masterstudiengang Immobilienwirtschaft an der HAWK abgeschlossen und arbeitet inzwischen als Investment Analyst für die MBS Invest GmbH in Monheim am Rhein. In seiner Abschlussarbeit analysierte er das Nachnutzungspotenzial von leerstehenden Immobilien am Beispiel seiner Heimatstadt Osterholz-Scharmbeck. Für seine Arbeit wurde er mit dem Förderpreis 2022 der Kemper Stiftung für Immobilienlehre und -forschung ausgezeichnet.
Granz untersuchte die unterschiedlichen Konzepte auf ihre Anforderungen, Chancen und Risiken und erarbeitete auf dieser Grundlage eine Nachnutzungsmatrix, die sich auf individuelle Immobilien anwenden lässt. „Immobilien und Städte sind sehr unterschiedlich“, betont Granz. Darum sollten sich Eigentümer*innen ihre Häuser sehr genau anschauen. Fläche, Anlieferungsmöglichkeiten, die Menge an Tageslicht und baurechtliche Vorschriften beeinflussten beispielsweise das Potenzial einer Immobilie. „Arztpraxen und andere medizinische Angebote können oft auch ohne viel natürliches Licht auskommen und profitieren gleichzeitig von den kurzen Wegen in der Innenstadtlage“, erklärt der ehemalige Student. Und auch den Bedarf in der jeweiligen Stadt sollten Vermieter*innen beobachten. So gebe es oft eine hohe Nachfrage nach seniorengerechtem Wohnraum oder Pflegeeinrichtungen. Aber auch Logistikimmobilien in zentraler Lage könnten durch den zunehmenden Onlinehandel an Bedeutung gewinnen.
Die Städte könnten die Entwicklung hin zu neuen Nutzungskonzepten auf verschiedene Arten unterstützen, so Granz. Zum einen sei ein aktives Leerstandsmanagement wichtig, um potenzielle Mieter*innen und Hauseigentümer*innen zusammenzubringen. Subventionen und Förderprogramme könnten helfen, beispielsweise Kulturschaffende in die Innenstädte zu bringen, die die Mieten in 1A-Lagen normalerweise nicht bezahlen könnten. „Dazu sollte das Bauplanungsrecht ein Stück flexibler werden“, fordert Granz. So könnte eine größere Vielfalt an Nutzungskonzepten möglich gemacht werden.
Bei allen Unterstützungsmöglichkeiten und Förderprogrammen komme es aber letztlich auf den Hauseigentümer*innen selbst an, betont Gerhard Kemper. „Sie haben naturbedingt das größte Interesse, dass ihre Liegenschaft wieder funktioniert. Und deswegen sind auch die Bemühungen der Städte zuallererst darauf zu richten, Kontakt mit den Hauseigentümer*innen herzustellen, damit man dann gemeinsam überlegen kann, wie man die Situation verbessert.“
Gerhard K. Kemper, FRICS ist Honorarprofessor an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen in Holzminden und Vorstandsvorsitzender der Kemper-Stiftung für Immobilienlehre und -forschung. Er war bis 2009 CEO des bundesweiten Einzelhandelsmaklers KEMPER’S.
Philip Granz ist Master of Science in Immobilienmanagement. Er hat seinen Abschluss an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen gemacht und arbeitet als Investment Analyst für die MBS Invest GmbH in Monheim am Rhein.