Ein neuer Ansatz zur Lösung des Rätsels um die Dunkle Energie
Was steckt hinter der Dunklen Energie – und was verbindet sie mit der von Albert Einstein eingeführten kosmologischen Konstanten? Zwei Physiker der Universität Luxemburg weisen einen Weg, um diese offenen Fragen der Physik zu beantworten.
Das Universum hat etliche bizarre Eigenschaften, die mit dem alltäglichen Erfahrungsschatz nur schwer zu verstehen sind. So macht die uns bekannte Materie aus elementaren und zusammengesetzten Teilchen, die Moleküle und Werkstoffe bilden, offenbar nur einen kleinen Teil der Energie des Weltalls aus. Den größten Beitrag liefert mit rund zwei Dritteln die „Dunkle Energie“ – eine hypothetische Energieform, über deren Herkunft die Physiker noch im Dunkeln tappen. Außerdem dehnt sich das Weltall nicht nur stetig aus, sondern das geschieht auch in immer schnellerem Tempo. Beide Merkmale scheinen zusammenzuhängen, denn die Dunkle Energie gilt auch als Treiber der beschleunigten Expansion. Darüber hinaus könnte sie zwei mächtige physikalische Denkgebäude verbinden: die Quantenfeldtheorie und die von Albert Einstein entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie. Doch die Sache hat einen Haken: Berechnungen und Beobachtungen zu diesem Konzept passten bislang bei Weitem nicht zusammen. Nun haben zwei Forscher aus Luxemburg einen neuen Weg aufgezeigt, wie sich dieses 100 Jahre alte Rätsel lösen lässt – in einer Arbeit, die im Fachmagazin Physical Review Letters veröffentlicht wurde.
Die Spur virtueller Teilchen im Vakuum
„Das Vakuum besitzt eine Energie. Das ist ein grundlegendes Ergebnis der Quantenfeldtheorie“, erklärt Prof. Dr. Alexandre Tkatchenko, Professor für Theoretische Physik im Fachbereich Physik und Materialwissenschaften an der Universität Luxemburg. Diese Theorie wurde entwickelt, um Quantenmechanik und Spezielle Relativitätstheorie zusammenzuführen. Doch die Quantenfeldtheorie scheint nicht mit der Allgemeinen Relativitätstheorie kompatibel zu sein. Ihr wesentliches Merkmal: Die Theorie betrachtet im Gegensatz zur Quantenmechanik nicht nur Teilchen, sondern auch materielose Felder als Quantenobjekte. „Die Dunkle Energie betrachten viele Forscher in diesem Rahmen als Ausdruck der sogenannten Vakuumenergie“, sagt Tkatchenko: einer physikalischen Größe, die in einem anschaulichen Bild durch ein ständiges Entstehen und die Wechselwirkung von Paaren aus Teilchen und ihren Antiteilchen – etwa Elektronen und Positronen – im eigentlich leeren Raum hervorgerufen wird.
Physiker sprechen bei diesem Kommen und Gehen virtueller Teilchen und ihrer Quantenfelder von Vakuum- oder Nullpunktfluktuationen. Während die Partikelpaare rasch wieder im Nichts vergehen, lässt ihre Existenz einen gewissen Gehalt an Energie zurück. „Diese Vakuumenergie hat auch in der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Bedeutung“, stellt der Luxemburger Wissenschaftler fest: „Sie manifestiert sich in der von Einstein aus physikalischen Gründen in seine Gleichungen eingefügten kosmologischen Konstante.“
Ein kolossales Missverhältnis
Anders als die Vakuumenergie, die sich nur aus den Formeln der Quantenfeldtheorie erschließt, lässt sich die kosmologische Konstante durch astrophysikalische Experimente direkt bestimmen. So haben Messungen mit dem Weltraumteleskop Hubble und der Raumfahrtmission Planck nahe beieinander liegende und verlässliche Werte für die fundamentalen physikalische Größe ergeben. Berechnungen der Dunklen Energie auf Basis der Quantenfeldtheorie hingegen liefern Resultate, die einem bis zu 10120-mal so großen Wert der kosmologischen Konstanten entsprechen – ein kolossales Missverhältnis, obwohl im heute vorherrschenden Weltbild der Physiker beide Werte gleich sein müssten. Die stattdessen festgestellte Diskrepanz ist bekannt als das „Rätsel der kosmologischen Konstante“. „Es ist zweifellos eine der größten Ungereimtheiten in der modernen Wissenschaft“, meint Alexandre Tkatchenko.
Unkonventionelle Art der Interpretation
Gemeinsam mit seinem Luxemburger Forscherkollegen Dr. Dmitry Fedorov hat er nun die Lösung dieses seit Jahrzehnten offenen Rätsels ein bedeutendes Stück nähergebracht. In einer theoretischen Arbeit, deren Ergebnisse sie nun in Physical Review Letters veröffentlicht haben, schlagen die beiden Luxemburger Forscher eine neue Interpretation der Dunklen Energie vor. Sie gehen davon aus, dass die Nullpunktfluktuationen eine Polarisierbarkeit des Vakuums bewirken, die sich sowohl messen als auch berechnen lässt. „Bei Paaren von virtuellen Teilchen mit entgegengesetzter elektrischer Ladung entsteht sie durch elektrodynamische Kräfte, die diese Partikel während ihrer äußerst kurzen Existenz gegenseitig aufeinander ausüben“, erklärt Tkatchenko. Die Physiker sprechen dabei von einer Vakuum-Selbstwechselwirkung. „Diese führt zu einer Energiedichte, die sich mithilfe eines neuen Modells bestimmen lässt“, sagt der Luxemburger Wissenschaftler.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Fedorov hat er dieses grundlegende Modell für Atome entwickelt und 2018 erstmals vorgestellt. Das Modell diente ursprünglich zur Beschreibung atomarer Eigenschaften. Dazu gehört insbesondere die Beschreibung des Zusammenhangs der Polarisierbarkeit von Atomen mit den Gleichgewichtseigenschaften bestimmter Moleküle sowie Festkörper, wo die Atome nicht kovalent gebunden sind. Da die geometrischen Charakteristiken experimentell recht einfach messbar sind, lässt sich über die Formel der beiden Forscher auch die Polarisierbarkeit bestimmen. „Dieses Vorgehen haben wir auf die Vorgänge im Vakuum übertragen“, erläutert Fedorov. Dazu betrachteten die beiden Forscher das Verhalten von Quantenfeldern – insbesondere solchen, die das „Entstehen und Verschwinden“ von Elektronen und Positronen repräsentieren. Die Fluktuationen dieser Felder lassen sich durch eine Gleichgewichtsgeometrie kennzeichnen, die bereits aus Experimenten bekannt ist. „Wir haben diese Geometrien in die Formeln unseres Modells eingesetzt und erhielten auf diese Weise letztlich die Stärke der intrinsischen Vakuum-Polarisation“, berichtet Fedorov. Der letzte Schritt war es, die Energiedichte der Selbstwechselwirkung zwischen Fluktuationen von Elektronen und Positronen quantenmechanisch zu berechnen. Das so erhaltene Resultat stimmt gut mit den gemessenen Werten für die kosmologische Konstante überein: Das bedeutet: „Die Dunkle Energie lässt sich auf die Energiedichte der Selbstwechselwirkung von Quantenfeldern zurückführen“, betont Alexandre Tkatchenko.
Gute Übereinstimmung und überprüfbare Prognosen
„Unsere Arbeit bietet damit einen eleganten und unkonventionellen Lösungsansatz für das Rätsel der kosmologischen Konstante“, resümieren die Physiker. „Darüber hinaus liefert sie eine überprüfbare Vorhersage: nämlich, dass Quantenfelder tatsächlich genauso wie Elektronen und Positronen eine zwar kleine, aber stets vorhandene intrinsische Polarisation besitzen.“ Diese Erkenntnis weist eine Richtung für künftige Experimente, um diese Polarisation auch im Labor nachweisen zu können, meinen die beiden Luxemburger Forscher. „Unser Ziel ist es, die kosmologische Konstante aus einem rigorosen quantentheoretischen Ansatz heraus abzuleiten“, betont Dmitry Fedorov. “Zudem enthält unsere Arbeit ein Rezept, wie sich das verwirklichen lässt.“ Fedorov betrachtet die neuen Ergebnisse, die er gemeinsam mit Alexandre Tkatchenko erzielt hat, als ersten Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Dunklen Energie – und ihrer Verbindung zu Albert Einsteins kosmologischer Konstante. Tkatchenko ist überzeugt: „Letztlich könnte das auch erhellen, auf welche Weise Quantenfeldtheorie und Allgemeine Reaktivitätstheorie als zwei Betrachtungsweisen des Universums und seiner Bestandteile miteinander verwoben sind.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Alexandre TKATCHENKO
Universität Luxemburg
Alexandre.tkatchenko@uni.lu
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.130.041601
Weitere Informationen:
https://wwwde.uni.lu/university/news/latest_news/a_new_approach_for_solving_the_dark_energy_mystery
Korrekturen
26.01.2023 16:26
The discrepancy is not “10120”, it is “10 to the power of 120".