Wissenschaftspreise der Hector Stiftung verliehen: Interdisziplinäre Forschung immer im Blick
Weinheim. Prof. Dr. Anna Wienhard (Leipziger Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften) und Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass (Ludwig-Maximilians-Universität München und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)) erhalten in diesem Jahr den mit jeweils 150.000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der Weinheimer Hector Stiftung. Damit würdigt die Jury die herausragenden Forschungen der 45-jährigen Mathematikerin, die in Gießen geboren wurde und von 2012 bis 2022 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg lehrte, sowie des 1960 in Mannheim geborenen Biochemikers.
Christian Haass begann Anfang der 1990er-Jahre, sich mit dem Eiweißstoff Amyloid-Beta-Peptid zu befassen: Bei Menschen mit Alzheimer verklumpt dieses Molekül und lagert sich in Form sogenannter Plaques im Hirngewebe zwischen den Nervenzellen ab. Diese Ablagerungen führen zu Entzündungsprozessen und tragen schließlich zum Absterben der Nervenzellen bei, was die typischen Symptome der Alzheimer-Erkrankung verursacht: Gedächtnis-, Orientierungs- und Sprachstörungen, Störungen des Denk- und Urteilsvermögens sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Entgegen der damaligen Auffassung konnte Haass nachweisen, dass das Amyloid nicht notwendigerweise Bestandteil krankhafter Prozesse ist, sondern auch im gesunden Gehirn vorkommt.
Heute wird daher angenommen, dass bei einer Alzheimer-Erkrankung die Konzentration dieses Proteins erhöht oder dessen Abbau gestört ist. Haass ebnete mit seinen Forschungen den Weg für neue therapeutische Ansätze. Später untersuchte Haass auch die Rolle der Immunzellen des Gehirns. Dabei fand er heraus, dass vor allem im frühen Krankheitsstadium die Konzentration des sogenannten TREM2-Proteins im Nervenwasser zunimmt. Insofern könnte TREM2 als Biomarker (typische messbare Veränderung) dienen und dazu beitragen, Alzheimer bereits im Frühstadium und noch vor dem Auftreten von Symptomen zu erkennen.
Anna Wienhard ist eine der weltweit führenden Mathematikerinnen auf dem Gebiet der Differentialgeometrie. In ihrer Forschung spielen Symmetrien und ihre Wirkungsweise in topologischen und geometrischen Räumen eine zentrale Rolle. Dabei geht es also nicht nur um Höhe, Breite und Tiefe, sondern auch um die Anordnung von Objekten im Raum. Einer ihrer Schwerpunkte liegt auf dem Gebiet der höheren Teichmüllertheorie, welches sie mitbegründet hat. Sie engagiert sich zudem für die enge Verknüpfung von mathematischer Grundlagenforschung mit anderen Wissenschaften. Hierbei stehen die Wechselwirkungen mit der theoretischen Physik, insbesondere bei der Untersuchung von Quantenfeldtheorien, sowie die Anwendungen in der Datenanalyse und im maschinellen Lernen im Vordergrund.
In den vergangenen Jahren nahm Wienhard eine wichtige Rolle beim Aufbau des stark interdisziplinären Exzellenzclusters „Structures“ an der Universität Heidelberg ein. Auch wenn sie sich selbst eher als theoretische Mathematikerin beschreibt, sieht sie in der Verbindung mit Wissenschaftlern anderer Bereiche ein großes Potential, um Anwendungen mathematischer Konzepte jenseits der bekannten mathematischen Methoden zu erforschen.
Nachdem die Verleihung der Hector Wissenschaftspreise in den vergangenen zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie nur im virtuellen Rahmen stattfinden konnte, trafen sich der Vorstand der Stiftung und frühere Preisträger diesmal wieder im Hotel „Europäischer Hof“ in Heidelberg. Stifter Dr. h.c. Hans-Werner Hector hieß die beiden neuen Preisträger im Kreis der nunmehr 28 Hector Fellows willkommen. Wie Stiftungsvorstand Horst-Bodo Schauer erklärte, sollen künftig jedes Jahr zwei Personen mit dem Hector Wissenschaftspreis ausgezeichnet werden, um die nachhaltige Entwicklung der Hector Fellow Academy zu sichern, in der sich die Preisträger gemeinsam für interdisziplinäre Spitzenforschung und Nachwuchsförderung in Deutschland engagieren.
Über Anna Wienhard
Anna Wienhard, geboren 1977 in Gießen, promovierte 2004 an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Sowohl 2005/2006 als auch von 2009 bis 2012 wurde sie an das Institute for Advanced Study in Princeton eingeladen. Von 2007 bis 2012 war sie Assistant Professor an der Princeton University. Ab 2012 hatte Wienhard den Lehrstuhl für Differentialgeometrie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg inne. Seit 2013 war sie zudem assoziiertes Mitglied des Interdisziplinären Zentrums für wissenschaftliches Rechnen und seit 2015 Gruppenleiterin am Heidelberger Institut für Theoretische Studien. Ab 2020 leitete sie als Direktorin die „Research Station Geometry and Dynamics“ an der Universität Heidelberg. Nach einem erneuten Gastaufenthalt am Institute for Advanced Study in Princeton wechselte sie Ende 2022 an das Leipziger Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften.
Wienhard erhielt zahlreiche Ehrungen und Preise, unter anderem einen ERC Consolidator Grant und einen ERC Advanced Grant des Europäischen Forschungsrates. Sie ist Fellow der American Mathematical Society und Mitglied sowohl der Heidelberger und der Berlin-Brandenburgischen Akademien der Wissenschaften als auch der European Academy of Sciences.
Über Christian Haass
Christian Haass, geboren 1960 in Mannheim, studierte Biologie in Heidelberg. Danach forschte er in den USA an der Harvard Medical School und wurde dort schließlich Assistenzprofessor für Neurologie. Es folgte eine Professur am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim (Universität Heidelberg). Im Jahre 1999 wurde er Lehrstuhlinhaber für Biochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Leiter der Abteilung Stoffwechselbiochemie. Seit 2009 ist Haass zudem Sprecher des DZNE-Standorts München.
Für seine Forschung wurde Christian Haass schon mehrfach geehrt – unter anderem mit dem Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Brain Prize – der weltweit bedeutendsten Auszeichnung für Hirnforschung – sowie dem Piepenbrock-DZNE-Preis. Christian Haass ist zudem Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften sowie Ehrendoktor der Universität Zürich.
Alle Hector Fellows auf einen Blick (weitere Infos unter: www.hector-fellow-academy.de)
• Preisverleihung 2009: Prof. Dr. Doris Wedlich (†), Prof. Dr. Peter Gumbsch und Prof. Dr. Martin Wegener (alle Karlsruher Institut für Technologie).
• Preisverleihung 2010: Prof. Dr. Manfred Kappes (Karlsruher Institut für Technologie), Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Franz Nestmann (Karlsruher Institut für Technologie) und Prof. Dr. Thomas Elbert (Universität Konstanz).
• Preisverleihung 2011: Prof. Dr. Stephen Hashmi (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg), Prof. Dr. Jürg Leuthold (Karlsruher Institut für Technologie) und Prof. Dr. Jens Timmer (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg).
• Preisverleihung 2012: Prof. Dr. Hilbert von Löhneysen (Karlsruher Institut für Technologie), Prof. Dr. Axel Meyer (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Nikolaus Pfanner (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg).
• Preisverleihung 2013: Prof. Dr. Immanuel Bloch (Ludwig-Maximilian-Universität München), Prof. Dr. Günter M. Ziegler (Freie Universität Berlin) und Prof. Dr. Eberhart Zrenner (Eberhard-Karls-Universität Tübingen).
• Preisverleihung 2014: Prof. Dr. Antje Boetius (Universität Bremen), Prof. Dr. Christoph Klein (Ludwig-Maximilians-Universität München) und Prof. Dr. Karl Leo (Technische Universität Dresden).
• Preisverleihung 2015: Prof. Dr. Eva Grebel (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) und Prof. Dr. Dr. Thomas Lengauer (Max-Planck-Institut für Informatik, Saarbrücken).
• Preisverleihung 2016: Prof. Dr. Peter Hegemann (Humboldt-Universität Berlin).
• Preisverleihung 2017: Prof. Dr. Ralf Bartenschlager (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg).
• Preisverleihung 2018: Prof. Dr. Brigitte Röder (Universität Hamburg)
• Preisverleihung 2019: Prof. Dr. Bernhard Schölkopf (Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme Tübingen)
• Preisverleihung 2020: Prof. Dr. Wolfgang Wernsdorfer (Karlsruher Institut für Technologie)
• Preisverleihung 2021: Prof. Dr. Patrick Cramer (Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie Göttingen)
• Preisverleihung 2022: Prof. Dr. Katrin Amunts (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Forschungszentrum Jülich)
• Preisverleihung 2023: Prof. Dr. Anna Wienhard (Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften, Leipzig) und Prof. Dr. Dr. h.c. Christian Haass (Ludwig-Maximilians-Universität München).
Über die Stiftungen (weitere Infos unter: www.hector-stiftung.de)
Die H. W. & J. Hector Stiftung wurde 1995 von dem Ehepaar Josephine und Dr. h. c. Hans-Werner Hector in Weinheim an der Bergstraße gegründet. 2008 wurde als Ergänzung die „Hector Stiftung II“ ins Leben gerufen.
Folgende Kernbereiche werden von den Stiftungen gefördert:
• Wissenschaft und Bildung: Förderung von talentierten und hochbegabten jungen Menschen (Hector Kinderakademie, Hector Seminar), insbesondere im naturwissenschaftlichen Bereich; Förderung herausragender Wissenschaftler mit dem Hector Wissenschaftspreis; Förderung von exzellenten Nachwuchswissenschaftlern und interdisziplinären Projekten in der Hector Fellow Academy; Ausstattung von Personalfonds für Elite-Universitäten. 2020 sagte die Stiftung zum Beispiel eine Förderung von bis zu 100 Millionen Euro für das Projekt „AI Breakthrough Hub“ im Tübinger „Cyber Valley“ zu, einem der größten Forschungskooperationen für Künstliche Intelligenz in Europa.
• Medizinische Forschung: Hector Institut für Translationale Hirnforschung zusammen mit dem DKFZ Heidelberg und dem ZI Mannheim; DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim; Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen, Ausschreibung von Projekten im Bereich Krebs- und Aidsforschung.
• Soziale Projekte: Förderung von Projekten für Menschen mit Behinderung.
• Kunst und Kultur: Unter anderem maßgebliche Förderung des Neubaus der Mannheimer Kunsthalle.
In Würdigung ihrer Verdienste erhielten Josephine und Hans-Werner Hector zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz (2003), den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg (2014), die Leibniz-Medaille der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2017), den Stifter- und Stifterinnenpreis der Evangelischen Landeskirche und der Diakonie Baden (2018) und den bayerischen Stifterpreis (2018). 2003 verlieh die Universität Karlsruhe Hans-Werner Hector die Ehrendoktorwürde. Seit Dezember 2011 sind die Eheleute Hector Ehrenbürger von Weinheim.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Uwe Bleich, Vorstand der Hector Stiftung II, Am Schlossberg 2, 69469 Weinheim Telefon: + 49 (0) 6201 71 08 411, E-Mail: u.bleich@hector-stiftung.com