Begehrter ERC Consolidator Grant für Jenaer Alternsforscher
Das Risiko für Demenz und andere neurodegenerative Erkrankungen steigt, je älter wir werden. Merkmale des Alterns sowie der Neurodegeneration sind der Verlust der Proteinhomöostase (Proteostase), was zu einem Ungleichgewicht zellulärer Prozesse führt und auch die Funktion von Zellorganellen stört. Doch wie führen Veränderungen in der Proteostase zu einer fortschreitenden Dysfunktion der Organellen in den Nervenzellen? Dieser wichtigen Frage geht Dr. Alessandro Ori vom Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung (FLI) nun genauer nach und erhält für seine Forschung den ERC Consolidator Grant. Das Projekt ComplexAge wird für die Dauer von 5 Jahren mit 2 Millionen Euro gefördert.
Jena. Mit dem Alter steigt die Häufigkeit von Demenz und nimmt das individuelle Risiko für neurodegenerative Erkrankungen zu. Wichtiges Merkmal des Alterns und der alternsbedingten Neurodegeneration ist der Verlust der Proteinhomöostase (Proteostase) und die Dysfunktion von Zellorganellen. Als Proteinhomöostase werden zelluläre Prozesse zusammengefasst, die die Proteinsynthese, die Faltung und den Abbau innerhalb der Zelle regulieren und damit das Proteom, die Gesamtheit aller Proteine in einem Lebewesen, schützen. Auftretende Störungen der Proteostase können nicht nur die Lebensdauer verkürzen, sondern auch Zellen schneller altern lassen sowie zur Entstehung von alternsbedingten Erkrankungen wie Herzkrankheiten, Diabetes und Neurodegeneration führen.
Prozesse im alternden Gehirn
Doch wie führen Störungen der Proteostase zu einer fortschreitenden Dysfunktion der Organellen in den Neuronen des Gehirns? Das Verständnis der Beziehung zwischen alternsbedingter Beeinträchtigung der Proteostase und dem Erhalt von Proteinkomplexen und Organellen in den Nervenzellen ist unerlässlich, um Prozesse im alternden Gehirn besser zu verstehen und die für die Neurodegeneration verantwortlichen molekularen Mechanismen zu ermitteln. Dazu ist es notwendig, die Proteine in den Zellen und Organellen quantitativ zu bestimmen und umfassend zu charakterisieren. Nur so kann ermittelt werden, welche Kette an molekularen Prozessen den Verlust der Proteostase auslöst und wie das mechanistisch mit der Beeinträchtigung anderer zellulärer Funktionen verbunden ist.
„Ich vermute, dass Defekte im Proteinabbau, die während des Alterns auftreten, die Fitness der Neuronen negativ beeinflussen, und dass die Proteinkomplexe und Organellen auch eine unterschiedliche Anfälligkeit für den alternsbedingten Funktionsverlust von Proteinabbauwegen aufweisen,“ berichtet Dr. Alessandro Ori, Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Dr. Ori ist Experte auf dem Gebiet der massenspektrometriebasierten Proteomik. In seiner Forschung integriert er die hochempfindliche Massenspektrometrie mit anderen Omics-Technologien und biochemischen Ansätzen.
Von der Idee zum neuen Forschungsansatz
Für seinen neuen, innovativen Forschungsansatz wurde er jetzt mit einem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet. Das Projekt „ComplexAge“ (Vulnerability of protein complexes and organelles to protein degradation impairment in aging neurons) wird für die nächsten 5 Jahre mit 2 Millionen Euro gefördert.
„Um herauszufinden, ob und welche Komponenten des Proteoms anfälliger für Defekte im Proteinabbau sind, möchte ich Wirbeltiermodelle entwickeln, die es uns ermöglichen, in vivo im Organismus spezifische Proteinabbauwege selektiv zu hemmen und die Auswirkungen auf das Proteom der Neuronen mit quantitativen Omics-Ansätzen gezielt zu überwachen,“ ergänzt Dr. Ori. Diese Arbeiten werden an Fisch- und Mausmodellen sowie speziellen Neuronen aus induzierten pluripotenten Stammzellen durchgeführt. Durch die systematische Quantifizierung der Proteinlokalisierung und des Assemblierungsstatus‘ sollen Informationen über die Auswirkungen des Alterns und der alternsbedingten Beeinträchtigung des Proteinabbaus auf die Organisation des Proteoms abgeleitet werden, die durch Messungen der Proteinhäufigkeit allein nicht ermittelt werden können. Die Identifizierung von Assemblierungsintermediaten und fehllokalisierten Proteinen könnte darüber hinaus Aufschluss über spezifische Prozesse geben, die in gealterten Neuronen gestört sind.
„Die Ergebnisse meiner zukünftigen Studie könnten neue Ansatzpunkte für therapeutische Maßnahmen aufzeigen, die darauf abzielen, die neuronale Fitness zu erhalten und den Ausbruch von Demenz bei älteren Menschen zu verzögern.“
Zur Person
Alessandro Ori schloss 2006 sein Masterstudium der Biotechnologie an der Università degli Studi di Bologna in Italien ab. Während des Studiums absolvierte er ein Forschungspraktikum an der Université Paris Diderot. Nach der Promotion an der University of Liverpool, Großbritannien, 2010, arbeitete er als Postdoc in der Forschungsgruppe “Structural and Computational Biology Unit“ am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg, unterstützt durch Alexander-von-Humboldt- und Marie-Curie-Stipendien.
Seit September 2015 ist er Juniorgruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena. Seine Forschungsgruppe „Altern von Proteinkomplexen“ untersucht, wie das Altern und Umweltfaktoren unsere Organe auf molekularer Ebene beeinflussen. Ziel der Gruppe ist es, dabei möglichst unverfälscht und objektiv Veränderungen im Proteom zu identifizieren, die zum Organverfall führen und die gesunde Lebensspanne beeinflussen.
2019 wurde Dr. Ori für seine Forschungsergebnisse als bester Nachwuchswissenschaftler mit dem Wissenschaftspreis „Lebenswissenschaften und Physik“ des Beutenberg-Campus Jena e.V. ausgezeichnet.
ERC Consolidator Grant
Der jetzt eingeworbene ERC Consolidator Grant gehört zu den höchstdotierten Fördermaßnahmen der Europäischen Union. Mit diesem Grant werden herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefördert, um sie bei dem weiteren Ausbau eines eigenen Forschungsbereiches zu unterstützen und die Durchführung visionärer grundlagenorientierter Forschung zu ermöglichen. Der ERC Consolidator Grant umfasst eine Förderung von zwei Millionen Euro über eine Laufzeit von fünf Jahren.
„Über die Förderung bin ich sehr stolz, denn sie wird unsere Bemühungen, die Ursachen der Hirnalterung zu verstehen, drastisch beschleunigen“, berichtet Dr. Ori. „Ich danke meinen Labormitgliedern für ihre anstrengende Arbeit, ihr Engagement und ihre Kreativität, sowie dem FLI für das kollaborative und unterstützende Umfeld, das mir hier geboten wird.“
Kontakt
Dr. Kerstin Wagner
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de
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Hintergrundinformation
Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Rund 350 Mitarbeiter aus ca. 40 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter www.leibniz-fli.de.
Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 97 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-WissenschaftsCampi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 20.500 Personen, darunter 11.500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2 Milliarden Euro. (www.leibniz-gemeinschaft.de).