Inhalt von Bambustrommeln zerstörungsfrei rekonstruiert
Erstmalig rekonstruiert ein Berliner Forscherteam mittels eines zerstörungsfreien, bildgebenden Verfahrens (Computertomografie) die Inhalte von 40 ungeöffneten Bambustrommeln und 6 Kisten aus den Tendaguru-Expeditionen (1909-1913). Die Daten sind für die paläontologische Forschung und Konservierung, aber auch insbesondere im Hinblick auf den kolonialen Kontext des Materials relevant.
Zwischen 1909 und 1913 organisierte und finanzierte das Museum für Naturkunde Berlin die Deutsche Tendaguru Expedition (DTE) ins südliche Tansania, zu dem Zeitpunkt noch die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrika. Unter der Beteiligung von mehr als 500 ortsansässigen afrikanischen Grabungsarbeitern, einer großen Anzahl von Trägern und zwei Berliner Wissenschaftlern wurden insgesamt mehr als 230 Tonnen von fossilem Dinosauriermaterial nach Berlin gebracht. Das vom Tendaguru stammende Dinosauriermaterial erwies sich als so reichhaltig und spektakulär, dass die Fundstelle bis heute eine der bedeutendsten Dinosaurierlokalitäten weltweit ist. Von dem Dinosauriermaterial aus Tendaguru befinden sich noch 40 original verpackte und ungeöffnete Bambustrommeln und 6 Holzkisten mit unpräparierten Knochen in der Wirbeltiersammlung des MfN – genauer Inhalt bislang unbekannt. Diese Arbeit ist Teil eines großen interdisziplinären wissenschaftlichen Programmes in dem sich das Museum für Naturkunde Berlin konsequent mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinandersetzt (siehe: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/ueber-uns/das-museum/koloniale-kontexte)
Mit ihren hochwertigen medizinischen CT Scannern halfen die Kollegen von IZW und Charité jetzt die Inhalte der Transportbehälter zerstörungsfrei zu analysieren. „Für uns alle war es sehr spannend, endlich genau zu wissen, was in den Bambustrommeln steckt, ohne diese gleich öffnen zu müssen“, sagt Daniela Schwarz, Leiterin der Studie. „Bislang bestand eine große Unsicherheit, wie mit diesem Material umzugehen ist, da die physische Präparation wirklich viel Zeit erfordert und man zudem historische Zeitdokumente nicht zerstören will“.
Die virtuelle Präparation enthüllte viele einzelne Knochen vom kleinen Gazellensaurier Dysalotosaurus lettowvorbecki (1), aber auch einige Stücke des Stacheldinos Kentrosaurus und von Sauropoden. Darüber hinaus ermöglichte diese Methode eine genaue Dokumentation der schon bekannten Grabungstechniken: das Einbetten der Knochen in Lehm, das Aufsammeln dieser vielen kleinen Wirbelknochen, das Sammeln kleiner Knöchelchen in Konservendosen im Gelände und die Mitnahme ganzer Gesteinsbrocken in mit Savannengras ausgestopften und speziell angefertigten Bambustrommeln.
All diese Arbeiten wurden von den während der DTE beschäftigten ortsansässigen Arbeitern verrichtet, die gefüllten Trommeln anschließend in mehrtägigen Fußmärschen von Trägerkolonnen zur Küste geschleppt. „Bei der virtuellen Erschließung dieses Materials waren mir zwei Aspekte besonders wichtig“, erklärt Schwarz: „zum einen wollen wir das Fossilmaterial aus Tendaguru perspektivisch virtuell für jeden verfügbar machen, und zum anderen war es wichtig, Prioritäten für die Präparation definieren und gleichzeitig entscheiden zu können, was als wertvolles Zeitzeugnis dieser historischen Expedition unter kolonialen Bedingungen im Originalzustand aufbewahrt werden sollte“.
Die Arbeiten zeigen, dass es möglich ist, beides miteinander zu verbinden. So stehen die computertomographischen Daten nun in der Publikation für alle interessierten Personen zum Download zur Verfügung (https://doi.org/10.7479/d1pq-2g96), und gleichzeitig konnte eine Priorisierungsliste für die paläontologische Präparation dieses Materials erstellt werden.
Titel: Description of content of unopened bamboo corsets and crates from Quarry Ig/WJ of the Tendaguru locality (Late Jurassic, Tanzania, East Africa) as revealed by medical CT data and the potential of this data under paleontological and historical aspects, Palaeontologia Electronica, Article number: 26.1.a3, https://doi.org/10.26879/1231
(1) Josef Felix Pompeckj benannte die von ihm 1919 wissenschaftlich beschriebene Dinosaurier-Art Dysalotosaurus lettowvorbecki. In der Taxonomie wird an diesen Namensgebungen festgehalten, wohlwissend, dass dieser Name im Rahmen einer kritischen Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Deutschlands vielerorts getilgt worden ist. Das Museum für Naturkunde Berlin setzt sich konsequent mit seiner kolonialen Vergangenheit auseinander. Weitere Informationen: https://www.museumfuernaturkunde.berlin/de/ueber-uns/das-museum/koloniale-kontexte