Keine Angst vorm demografischen Wandel
Schrumpfende und alternde Bevölkerungen: Weit mehr als andere Regionen ist Südosteuropa von demografischem Wandel betroffen. Ein neues Forschungsprojekt analysiert die Folgen des Alterns und sucht nach Wegen, wie Gesellschaften besser damit umgehen können. Die Ergebnisse sollen auch Lehren etwa für Deutschland ermöglichen. Die VolkswagenStiftung fördert das Projekt mit knapp 1,5 Millionen Euro, geleitet wird es vom Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg.
Bulgarien und Kroatien sind nur zwei von vielen Beispielen aus Südosteuropa: Als vor wenigen Monaten die Ergebnisse der jüngsten Volkszählungen veröffentlicht wurden, zeigte sich die Öffentlichkeit alarmiert angesichts eines erneut starken Bevölkerungsrückgangs. Von einer „demografischen Katastrophe“ schrieben bulgarische Medien, in keinem anderen Land der Welt sei der Anteil junger Menschen an der Bevölkerung so gering. Auch in Kroatien reagierte die Öffentichkeit besorgt, ergab doch die Volkszählung 2021 ein Minus von fast zehn Prozent gegenüber 2011. Kroatien würde bald ganz den alten Menschen bleiben, lautete eine Schlagzeile.
Zusammenhang von demografischer Alterung und Nationalismus
„Tatsächlich gibt es kaum anderswo auf der Welt einen so schnellen Alterungs- und Schrumpfungs-prozess wie in Südosteuropa. Das könnte auch für den Rest Europas handfeste Folgen haben“, erklärt Prof. Dr. Ulf Brunnbauer, der Wissenschaftliche Direktor des IOS. „Die demografischen Entwicklungen machen vielen Angst, es ist sogar von ‚Aussterben‘ die Rede. Aus diesen Ängsten entstehen nationalistische Überreaktionen, gleichzeitig sind schrumpfende Bevölkerungen auch besonders immigrationsfeindlich, was die Probleme noch einmal verschärft. All das kann die ohnehin instabile politische Lage in Südosteuropa weiter untergraben.“
Hier setzt das im Februar 2023 angelaufene internationale Projekt „Die demografischen Ängste überwinden“ an, das Historiker Brunnbauer leitet. Das besondere Augenmerk liegt auf dem Prozess des demografischen Alterns in Südosteuropa und darauf, wie dieser von Politik und Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ein Ziel ist, die wissenschaftlichen Grundlagen dafür zu liefern, dass Alterung in den Gesellschaften nicht als Katastrophe gesehen wird, sondern als Teil des sozialen Wandels. Ebenso sollen Beispiele für einen besseren Umgang damit gefunden werden, insbesondere durch stärkere gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen sowie ein Umdenken in der Einwanderungspolitik.
Forschung für und mit älteren Menschen
Dafür werden das IOS und seine internationalen Partner zum einen die demografischen sowie politischen Aspekte des Alterns seit den 1960er Jahren dokumentieren und analysieren. Zum anderen geht es um die Interpretation der gesellschaftlichen und kulturellen Vorstellungen von diesem Wandel: Warum wird er in Südosteuropa besonders negativ geschildert, häufig mit extrem nationalistischen Untertönen? Bei allem wird die Forschung mit und für ältere Menschen im Mittelpunkt stehen: Sie sollen durch Interviews mithelfen, neue Forschungsfragen zu finden; gleichzeitig sollen Ergebnisse etwa speziell an Seniorenorganisationen und zuständige öffentliche Stellen kommuniziert werden.
Wichtige Lehren auch für Deutschland
„Die Entwicklung ist auch für uns in Deutschland wichtig. Denn hier wandern ja viele junge Menschen aus Südosteuropa ein, was die Trends dort verstärkt und zu Fachkräftemangel führt. Gleich-zeitig liefert die Region viele Beispiele für gescheiterte staatliche Maßnahmen zur Veränderung der demografischen Entwicklung, aus denen wir lernen können“, erklärt Brunnbauer.
Das Projekt wird von der VolkswagenStiftung für vier Jahre in ihrem Programm „Herausforderungen für Europa: Der alternde Kontinent“ mit fast 1,5 Millionen Euro gefördert. Das Vorhaben ist multidisziplinär angelegt, es trägt zu Regionalwissenschaften ebenso bei wie zu Alternsforschung. Zum Projektkonsortium gehören das IOS, die Universitäten Graz und Sofia sowie das Demografische Forschungsinstitut in Budapest. Neben Forschungspublikationen plant das Konsortium den Aufbau einer Datenbank sowie ein umfangreiches Programm von Informationsmaßnahmen für allgemeine Öffentlichkeit und Politik.
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Mehr Informationen zum Projekt: https://kurzelinks.de/ProjektTransforming
Mit mehr als 80 Mitarbeiter*innen aus über einem Dutzend Ländern ist das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropafor-schung (IOS) mit Sitz in Regensburg eine der größten Einrichtungen seiner Art. Aufgabe ist die Analyse historischer und gegenwärtiger Dynamiken in Ost- und Südosteuropa – und zwar aus unterschiedlichen Blickwinkeln: Am IOS forschen Ge-schichts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler*innen gemeinsam. Daneben veröffentlicht das Institut Fachzeitschriften und Buchreihen, fördert den akademischen Nachwuchs und beherbergt eine international führende Fachbibliothek. Mehr auf: www.leibniz-ios.de
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Kathleen Beger
Tel.: +49 941 94354-31
beger@ios-regensburg.de
Weitere Informationen:
https://kurzelinks.de/ProjektTransforming