Heidelberger Akademie der Wissenschaften vergibt sieben gestiftete Wissenschaftspreise
Heidelberg. Mit einem Gesamtwert von 70.000 Euro werden dieses Jahr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Baden-Württemberg für ihre Forschungsarbeiten mit gestifteten Preisen ausgezeichnet. Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, von Umweltverschmutzung und von Krebszellen - gleich mehrere Arbeiten stehen ganz im Zeichen zukunftsweisender Wissenschaft, die sich mit Lösungen von aktuellen globalen Problemen auseinandersetzt.
Zum ersten Mal wird auch der neue Hector Stiftung-Preis für Informatik vergeben.
Am 23. Juni 2023 werden die Arbeiten öffentlich in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vorgestellt.
Der Akademiepreis, zum 75-jährigen Gründungsjubiläum der Heidelberger Akademie im Jahr 1984 vom Verein zur Förderung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften gestiftet, geht 2023 an Prof. Dr. Leonhard Hübner. Unternehmen aus dem Globalen Norden werden zunehmend für »Menschenrechtsverletzungen« durch Tochtergesellschaften oder Zulieferer aus dem Globalen Süden verantwortlich gemacht. Der Preisträger untersucht die international verfahrens-, kollisions- und haftungsrechtlichen Vorgaben für die Durchsetzung von Menschenrechten gegenüber Unternehmen. Unter Zuhilfenahme der Rechtsvergleichung entwickelt er anschließend Reformvorschläge.
Leonhard Hübner studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn, Freiburg, Köln, Lausanne und Oxford. Er wurde an der Universität Heidelberg promoviert und habilitiert. Derzeit forscht und lehrt er als Universitätsprofessor an der Universität Osnabrück. Ab dem 1. April 2023 wird er an der Universität Augsburg tätig sein.
Der Karl-Freudenberg-Preis wurde 1986 aus Anlass des 100. Geburtstages von Prof. Dr. Karl Freudenberg von der Freudenberg-Gruppe gestiftet. Er geht an wissenschaftliche Arbeiten aus dem Bereich der Naturwissenschaften – insbesondere der Chemie und Biologie. Dieses Jahr wird Dr. Sylvain Delaunay mit dem Preis für eine Arbeit ausgezeichnet, in der er eine neue Strategie zur Verhinderung der Ausbreitung von Krebszellen aufzeigt.
In seiner Studie legt er dar, dass die Metastasierung von Kopf- und Halskrebs durch die Hemmung der metabolischen Plastizität der Mitochondrien verringert werden kann. Mit von der FDA zugelassenen Medikamenten konnte der Wissenschaftler die Entwicklung von Lymphknotenmetastasen in menschlichen Tumoren, die in Mäusen gezüchtet wurden, auslöschen.
Sylvain Delaunay arbeitet heute als Postdoc am DKFZ und erforscht dort RNA-Veränderungen in Mitochondrien, den Organellen, die für die Energieversorgung einer Zelle benötigt werden. Er studierte Pharmazie in Liege (Belgien), wo er 2016 in Molekular-Medizin promoviert wurde. Nach Postdoc-Aufenthalten in Barcelona und Cambridge (UK) kam er 2019 an das DKFZ.
Der vom gleichnamigen Pforzheimer Unternehmer gestiftete Walter-Witzenmann-Preis honoriert exzellente Arbeiten aus dem Bereich der Geistes- und Kulturwissenschaften.
Der Preis geht in diesem Jahr an Johanna Jebe für ihre Dissertation „Regeln, Schrift, Correctio – Karolingerzeitliche Entwürfe von Mönchtum im Spiegel der Schriftproduktion aus St. Gallen und Fulda“. Die Arbeit hat den Umgang mit religiösen Wissensbeständen in Handschriften aus den Klöstern St. Gallen und Fulda untersucht, um einen neuen Zugang zu den kulturellen, religiösen und politischen Erneuerungen des 8. und 9. Jahrhunderts zu erschließen. Neben vielstimmigen Auseinandersetzungen über vorbildliches christliches Leben im Mönchtum hat die Studie konkrete alltagspraktische, soziale und kulturelle Bedingungen freigelegt, unter denen karolingische Eliten Leitgedanken für eine gesamtgesellschaftliche „Correctio“ generiert und ausgehandelt haben.
Johanna Jebe studierte Neuere und Neueste Geschichte, Mittelalterliche Geschichte und evangelische Theologie an den Universitäten Tübingen und Bologna und wurde 2022 im Fachbereich Mittelalterliche Geschichte promoviert. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften in Tübingen.
Der Ökologiepreis der Viktor & Sigrid Dulger-Stiftung gilt der Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten aus geistes , sozial und natur sowie ingenieurwissenschaftlichen Fächern, die sich mit Umweltproblemen und deren Lösung befassen.
Der Preis geht 2023 an Dr. Moritz Bross (geb. Koch) für seine Arbeit „Metabolic engineering strategies for an increased PHB production in cyanobacteria“, mit der er einen wichtigen Schritt zur Lösung des globalen Plastikproblems beigetragen hat, indem er die Produktion von Bioplastik mit Hilfe von Cyanobakterien wesentlich optimierte. Cyanobakterien (umgangssprachlich auch „Blaualgen“ genannt) stellen natürlicherweise das Biopolymer PHB (Polyhydroxybutyrat) her, welches in der Umwelt leicht abbaubar ist und sehr gute Materialeigenschaften als Bioplastik, etwa im Verpackungsbereich, aufweist. Dem Preisträger gelang es, Cyanobakterien zu züchten, die bis zu 80% PHB pro Zelltrockenmasse bilden können. Eine derart starke PHB Akkumulation wurde bis dahin für Cyanobakterien als unmöglich erachtet. Dem Preisträger ist somit eine bahnbrechende Arbeit gelungen, um ein biotechnologisches Verfahren zur C02-verbrauchenden Bioplastik-Produktion zu realisieren.
Dr. Moritz Bross studierte Biotechnologie in Aachen und an der University of California in Berkeley. Nach dem Bachelorabschluss führte er in Tübingen ein Masterstudium in Mikrobiologie fort. Im Anschluss wurde er dort 2020 promoviert. Danach forschte er bis 2022 als Postdoc in Kanada an der University of British Columbia in Vancouver. Seit Mitte 2022 arbeitet er als Lab Team Leader Industrial Biotechnology bei der BASF.
Der Manfred-Fuchs-Preis dient der Förderung besonders qualifizierter Forschender, die sich in den Geisteswissenschaften habilitieren oder als Leitende einer naturwissenschaftlichen Forschungsgruppe auf eine Professur vorbereiten. Er wurde vom Mannheimer Unternehmer Dr. Dr. h. c. Manfred Fuchs gestiftet.
In diesem Jahr wird der Preis an Dr. Fumihiro Kano verliehen. Herr Kano interessiert sich dafür, was Tiere sehen, fühlen und denken, und letztlich dafür, wie der Mensch – als eine der Primatenarten – in Bezug auf Wahrnehmung, Kognition und soziales Verhalten einzigartig ist. Sein Ansatz besteht darin, diese Themen zu untersuchen, indem er sich auf die Analyse von Mikroverhalten, insbesondere des Blicks als Stellvertreter für die Aufmerksamkeit, konzentriert. Dabei verwendet er modernste Technologien wie Infrarot-Bildgebungsverfahren und Computer Vision.
Fumihiro Kano studierte Vergleichende Psychologie an der Kyoto Universität und promovierte am dortigen Primatenforschungsinstitut. Nach Stationen als Postdoktorant am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und als Assistant Professor an der Universität Oxford und der Kyoto Universität ist er seit April 2021 am Exzellenzcluster Centre for the Advanced Study of Collective Behaviour der Universität Konstanz als Gruppenleiter tätig.
Der Manfred Lautenschläger-Preis, gestiftet von der Manfred Lautenschläger Stiftung zur Förderung der Geistes- und Kulturwissenschaften, geht dieses Jahr an Sara Landa für ihre Dissertation „‚Die Ferne läßt sie unsern Dingen gleichen‘. Annäherungen an die chinesische Dichtung in der deutschen Lyrik vom Expressionismus bis zur Gegenwart“. Die Arbeit geht übersetzerischen chinesisch-deutschen Dialogen vom Expressionismus bis zur Gegenwart nach. Sie fokussiert unterschiedliche Autoren, die sich mit China befasst haben, von Albert Ehrenstein über Bertolt Brecht bis zu Jan Wagner und Herta Müller. Diese haben sich sowohl mit traditionellen chinesischen Dichtern beschäftigt, als auch mit der jüngeren Lyrik, die die Umwälzungen des 20. und 21. Jahrhunderts reflektierte und begleitete. Die Studie untersucht, wie sich in den Neu-, Um- und Fortschreibungen Potenziale zur ästhetischen Neuerung ergeben und fragt, wie die Suchbewegung über die fremde Literatur zur eigenen zurückführt und wie dadurch der Standpunkt des Dichters insbesondere in historischen Umbruchszeiten neu gedacht werden konnte.
Sara Landa studierte Deutsche Sprache und Literatur, Europäische Literaturen, Sinologie, Ostslawistik und Geschichte in Freiburg, Beijing und Strasbourg. Sie wurde an der Universität Freiburg promoviert und ist derzeit Projektmitarbeiterin im Heidelberger Teilprojekt „Epochal Life Worlds: Man, Nature and Technology in Narratives of Crisis and Change“ des vom BMBF geförderten Verbundkollegs „Worldmaking from a Global Perspective: A Dialogue with China“.
Dieses Jahr wird der Hector Stiftung-Preis zum ersten Mal vergeben. Der gestiftete Preis richtet sich an junge Forschende aus dem Bereich Informatik und soll herausragende wissenschaftliche Leistungen anerkennen. Der diesjährige Preis wurde für den Bereich maschinelles Lernen ausgeschrieben und wird an Dr. Francesco Locatello für seine Arbeit auf dem Gebiet der sogenannten „disentangled representations“ vergeben.
Die Forschung des Preisträgers zielt darauf ab, die kausalen Repräsentationen durch strenge Theorie und skalierbare Algorithmen zu erlernen. Durch eine große empirische Studie konnte der Informatiker nachweisen, dass auch bei praktisch relevanten Fällen das unüberwachte Lernen in der Regel nicht genügt und eine (aufwändigere) Überwachung unumgänglich ist. Seine vorgeschlagenen Konzepte zur Lösung des Problems werden nun häufig in der Forschung zum kausalen Repräsentationslernen verwendet und finden weiterhin wichtige Anwendungen in der Robotik, dem Gesundheitswesen, den Naturwissenschaften und dem Ingenieurwesen.
Dr. Francesco Locatello wurde 2020 an der ETH Zürich promoviert, wo er für seine Dissertation mit der ist ETH-Medaille ausgezeichnet wurde. Er hat einen Master-Abschluss in Informatik (Zürich) und einen Bachelor-Abschluss in Informationstechnologien (Padua, Italien). Heute ist er Senior Applied Scientist bei Amazon Web Services (AWS). Er leitet das Forschungsteam „Causal Representation Learning“, mit dem er Grundlagenforschung in den Bereichen maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und Kausalität betreibt.
Weitere Informationen:
https://www.hadw-bw.de/sites/default/files/documents/PM_PreistraegerInnen_2023.pdf Pressemitteilung mit Fotos als PDF