Molekulare Vorhersage von Antibiotikaresistenzen für eine maßgeschneiderte Therapie der Tuberkulose
Wie können die Ergebnisse molekularer Resistenztest genutzt werden, um die medikamentöse Therapie einer Tuberkulose zu optimieren? Ein internationales Expertengremium hat ein Konsens-Dokument aktualisiert und darin dargelegt, wie Veränderungen im Erbgut der Tuberkulosebakterien zu interpretieren sind, um daraus maßgeschneiderte Therapien für Patienten mit einer multiresistenten Tuberkulose abzuleiten.
Noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit waren so viele Personen an einer Tuberkulose erkrankt, wie heute. Weltweit sterben etwa 1,6 Millionen Menschen an der „Schwindsucht“. Mehr, als an jeder anderen bakteriellen Infektionskrankheiten. Die arzneimittelresistente Tuberkulose stellt ein zunehmendes Problem für die Kontrolle der Tuberkulose dar. Obwohl wirksamer Therapien für fast alle Patientinnen und Patienten verfügbar wären, werden Antibiotikaresistenzen der Erreger in den meisten Fällen nicht erkannt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass nur etwa ein Drittel aller Betroffenen mit einer multiresistenten Tuberkulose, bei der die beiden besten Medikamente der Standardtherapie nicht wirksam sind, eine adäquate Therapie erhalten.
Um die Ausbreitung der Tuberkulose zu verhindern und gleichzeitig die Entstehung von bakteriellen Resistenzen gegen die verfügbaren Wirkstoffe zu minimieren, müssen Betroffene rasch und adäquat behandelt werden.
Der klassische Weg zur adäquaten Behandlung läuft über die Identifizierung der Tuberkulosebakterien auf festen oder flüssigen Nährmedien. Diese Verfahren dauern bis zu acht Wochen. Erst dann lässt man die Bakterien in Gegenwart einzelner Antibiotika wachsen, um herauszufinden, welche Substanz das Wachstum hemmt, und welche möglichweise nicht. Dieser langwierige Prozess führt dazu, dass behandelnde Ärztinnen und Ärzte in den ersten Wochen der Behandlung "im Blindflug" handeln - ein kritischer Zeitraum, um die Krankheit unter Kontrolle zu bringen und eine weitere Übertragung der Tuberkulose-Bakterien auf andere Personen zu verhindern.
Eine der wichtigsten Errungenschaften in der Tuberkulosediagnostik in jüngerer Zeit ist die Identifizierung von Veränderungen in der Erbsubstanz der Bakterien, welche dazu führen, dass Medikamente nicht mehr wirksam sind. Professor Stefan Niemann, Programmbereichs-Direktor am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum und sein Team haben wesentlichen Anteil an der Entdeckung dieser Mutationen. Zusammen mit einer Gruppe internationaler Wissenschaftler:innen haben sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Aufstellung eines Katalogs beraten, in dem Mutationen in der DNA der Tuberkulosebakterien verzeichnet sind, die zu Antibiotikaresistenzen führen.
Mit einer inzwischen kostengünstigen Methode kann in wenigen Tagen das Erbgut der Tuberkulosebakterien einzelner Patientinnen und Patienten entschlüsselt werden. Die verfügbaren Informationen über Mutationen, die Antibiotikaresistenzen vorhersagen, geben aber teilweise noch viel Ermessensspielraum, um die richtigen Medikamente für die Therapie zu wählen.
Ein internationales Expertengremium unter Leitung von Professor Christoph Lange, Medizinischer Direktor am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum und Leiter der klinischen Tuberkuloseeinheit im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF ClinTB), hat sich erstmalig 2016 über offene Fragen im Umgang mit der neuen Methode beraten und Empfehlungen für die klinische Anwendung verfasst. Seither hat sich die Erkenntnis über die Methoden so erweitert, dass eine Neuauflage der Empfehlungen notwendig wurde. Auf der Grundlage einer umfassenden Literaturrecherche erzielte das Gremium erneut Konsens zu wichtigen Fragen über die Wahl der Antibiotikatherapie der Tuberkulose, basierend auf Ergebnissen molekularer Vorhersagen. Der Konsens wurden nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht.
„Der Blick in die Glaskugel funktioniert inzwischen so gut, dass wir basierend auf der Information der Erbsubstanz der Bakterien in 99% der Fälle bei der Wahl der Medikamente für die Therapie der multiresistenten Tuberkulose richtig liegen“, erklärt Lange. „Es gibt viele neue Medikamente in der klinischen Erprobung und neue Medikamente kommen auf den Markt, ohne dass die Labore in der Lage sind, mit den traditionellen Kultur-basierten Verfahren Antibiotikaresistenzen festzustellen. Das führt dazu, dass Patienten unter Umständen Medikamente erhalten, die nicht wirksam sind. Die neuen Verfahren bieten eine flexible Alternative, die auch in Ländern mit geringen Ressourcen etabliert werden kann und dazu führen sollte, dass jede betroffene Patientin und jeder betroffene Patient individuell und adäquat behandelt wird“, so Lange.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Christoph Lange
Medizinischer Direktor, Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum
Parkallee 35, 23845 Borstel
T +49 4537 188 3321/0
clange@fz-borstel.de
Originalpublikation:
Domínguez J, Boettger EC, Cirillo D, Cobelens F, Eisenach KD, Gagneux S, Hillemann D, Horsburgh R, Molina-Moya B, Niemann S, Tortoli E, Whitelaw A, Lange C; TBNET; RESIST-TB networks. Clinical implications of molecular drug resistance testing for Mycobacterium tuberculosis: a TBNET/RESIST-TB consensus statement. Int J Tuberc Lung Dis. 2016 Jan;20(1):24-42. doi: 10.5588/ijtld.15.0221. PMID: 26688526.