Langzeitstudie zu geförderter Ausreise: Fortschritte bei der Reintegration Rückkehrender trotz vielfältiger Hürden
Das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) haben in einer Langzeitstudie zur geförderten, freiwilligen Ausreise aus Deutschland die Lebenssituation von fast tausend Rückkehrerinnen und Rückkehrern untersucht. Die Begleitforschung zum Rückkehrförderprogramm „StarthilfePlus“, 2017 von der Bundesregierung eingeführt, analysiert Rückkehrmotive, langfristige Reintegration und die Bedeutung der erhaltenen Unterstützung. Die nun veröffentlichte Abschlussstudie zeigt, dass 85 Prozent der Rückkehrerinnen und Rückkehrer mit der erhaltenen Unterstützung zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind.
Für die Studie wurden insgesamt 906 volljährige Rückkehrerinnen und Rückkehrer in neun Ländern wiederholt befragt. Die erste Befragung erfolgte 2017 und 2018 durchschnittlich acht Monate nach ihrer Ausreise aus Deutschland, die zweite Befragung drei Jahre nach der Rückkehr. Darüber hinaus haben 20 Frauen, die bereits durchschnittlich drei Jahre im Rückkehrland lebten, in qualitativen Interviews ihre Reintegrationserfahrungen geschildert. Die Ergebnisse lassen sehr unterschiedliche Lebensumstände der Rückkehrenden und eine große Diversität der Reintegrationsprozesse selbst im gleichen Rückkehrland erkennen.
Christian Kothe, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsfeld „Internationale Migration und Migrationssteuerung“ des BAMF-FZ, betont:
„Das StarthilfePlus-Programm unterstützt Rückkehrende finanziell und teilweise zusätzlich mit Sachmitteln, um eine Reintegration in den Rückkehrländern zu fördern. Das längsschnittliche Design unserer Studie erlaubt neben der Untersuchung der individuellen Lebensumstände im Rückkehrland auch Analysen zum Reintegrationsverlauf verschiedener Gruppen von Rückkehrenden, aufgeteilt beispielsweise nach Geschlecht, Alter oder Ort der Rückkehr. Unsere Forschung trägt hier zur Weiterentwicklung der deutschen Rückkehr- und Reintegrationsförderung bei.“
Im Vergleich zu den Ergebnissen aus der ersten Befragung zeigt sich, dass sich im Zeitverlauf die Zufriedenheit mit dem sozialen Umfeld und die Partizipation am Arbeitsmarkt bei den Befragten verbessert haben und die Wohnsituation meist als zufriedenstellend bewertet wird. Während durchschnittlich acht Monate nach der Rückkehr 41 Prozent der Studienteilnehmenden im erwerbsfähigen Alter einer abhängigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgingen, erwirtschaften drei Jahre nach der Rückkehr 64 Prozent Einkommen aus einer Beschäftigung. Die große Mehrheit der Rückkehrerinnen und Rückkehrer ist mit den Beziehungen zur Familie sowie zu Freundinnen und Freunden zufrieden oder sehr zufrieden. Drei Viertel der Befragten leben in einer Privatwohnung oder in einem Privathaus, etwa 20 Prozent wohnen mit Verwandten oder Freundinnen und Freunden, nur wenige Befragte leben beispielsweise in einer Gemeinschaftsunterkunft.
Herausfordernde Rahmenbedingungen: Einkommen und Sicherheit
Trotz der positiven Ergebnisse berichten die Befragten aber auch von vielfältigen Herausforderungen, die ihre Reintegration im Rückkehrland erschweren. Das erzielte Einkommen reicht beispielsweise häufig nicht vollständig aus, um den täglichen Bedarf für sich und die Familie zu decken. Der Zugang zu ärztlicher Versorgung und die Zufriedenheit mit der Sicherheitslage vor Ort haben sich nach Angaben von einigen Befragten mit der Zeit verschlechtert. Weiterhin haben viele Rückkehrerinnen und Rückkehrer nur geringes Vertrauen in staatliche Strukturen wie Polizei und Justiz.
In einigen Ländern kann zudem die Sicherheit nicht auf Dauer garantiert werden. Beispielsweise haben sich nach der Datenerhebung in Afghanistan aufgrund der politischen Umbrüche nach der Machtübernahme durch die Taliban 2021 und in der Ukraine aufgrund des Krieges 2022 die strukturellen Rahmenbedingungen für Rückkehrende deutlich verschlechtert, was jedoch mit dieser Studie nicht abgebildet werden kann.
Unterschiedliche Erfahrungen bei Männern und Frauen
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass Rückkehrende selbst im gleichen Rückkehrland unterschiedliche Zugänge und Chancen bei der Reintegration haben. So haben Befragte in ländlichen Gegenden mit weniger als 5.000 Einwohnerinnen und Einwohnern häufiger als Befragte in den Städten nur sehr schlechten Zugang zu öffentlichen Leistungen. Männer bewerten die Möglichkeiten medizinischer Versorgung besser als Frauen. Und Befragte, die das fünfzigste Lebensjahr erreicht haben oder älter sind, fühlen sich seltener der Gemeinschaft zugehörig.
Die Analyse von qualitativen Interviews mit 20 Frauen in den Rückkehrländern Armenien, Irak oder Libanon verdeutlicht ebenfalls die Vielfalt der Lebensumstände der Rückkehrenden. Während die quantitativen Daten zeigen, dass 75 Prozent der Männer einer einkommensgenerierenden Beschäftigung nachgehen, gilt dies nur für 38 Prozent der Frauen. In den vertiefenden Interviews äußern die Frauen mehrheitlich den Wunsch nach einem eigenständig erwirtschafteten Einkommen, und sie sprechen von Benachteiligung am Arbeitsmarkt. Frauen sind zudem weniger häufig zufrieden mit den Kontakten etwa zur Nachbarschaft als Männer. Es liegt die Vermutung nahe, dass Frauen aufgrund ihrer Migrationserfahrungen ihr soziales Umfeld kritischer wahrnehmen als Männer und sich beispielsweise geschlechterspezifischer Einschränkungen im öffentlichen Leben nach der Rückkehr bewusst werden.
Jean-Philippe Chauzy, Leiter des IOM-Büros in Deutschland, hebt hervor:
„Angesichts der Vielfalt der Lebenssituationen nach der Rückkehr wäre es von Vorteil, wenn die Förderangebote für Familien, Frauen, Kinder oder älteren Personen noch weiter ausgebaut werden können.“
Fast alle Rückkehrerinnen und Rückkehrer haben die monetäre StarthilfePlus-Förderung rund drei Jahre nach der Rückkehr vollständig genutzt. Für mehr als die Hälfte war die finanzielle Unterstützung von großer Bedeutung für die Deckung ihres täglichen Bedarfs. Darüber hinaus war die StarthilfePlus-Förderung für die Zurückgekehrten zur Finanzierung von Wohnraum und medizinischer Versorgung sowie für die eigenständige Existenzsicherung und Bildung wichtig.
48 Prozent der Befragten geben an, über eine erneute Migration nachzudenken. Nur fünf Prozent bereiten sich jedoch tatsächlich auf eine Wanderung vor. Die Mehrheit derjenigen, die eine internationale Wanderungsabsicht haben, möchte jedoch auf regulärem Weg migrieren. Häufigster Grund für eine angedachte Weiterwanderung ist der Wunsch nach Verbesserung der eigenen wirtschaftlichen Situation, gefolgt von einer aktuell schlechten Gesundheitsversorgung oder fehlendem Sicherheitsgefühl im Rückkehrland sowie besseren Bildungsmöglichkeiten im Ausland.
Für das Bundeministerium des Innern und für Heimat (BMI), BAMF und IOM zeigen die Ergebnisse der Studie, wie wichtig derartige Begleitforschung für eine evidenzbasierte Weiterentwicklung von Förderprogrammen im Rückkehrkontext sind. Auf diese Weise können die Programme in Zukunft noch besser an die vielfältigen Bedarfe der Migrantinnen und Migranten angepasst werden.
Hintergrundinformationen zum Programm StarthilfePlus
Seit 2017 haben mehr als 33.700 Personen eine Förderung durch das Reintegrationsprogramm „StarthilfePlus“ erhalten. Mittellose Migrantinnen und Migranten, darunter Ausreisepflichtige, werden über das Förderprogramm bei einer freiwilligen Rückkehr in eines von derzeit insgesamt 45 Rückkehrländern mit flexiblen Leistungen zusätzlich zum von Bund und Ländern finanzierten Hilfsprogramm REAG/GARP unterstützt. Das StarthilfePlus-Programm stellt derzeit je nach Zielland eine der folgenden drei ergänzenden Reintegrationsunterstützungen unter Berücksichtigung der individuellen Bedarfe der Rückkehrenden nach erfolgter Ausreise zur Verfügung: eine finanzielle 2. Starthilfe nach sechs bis acht Monaten oder eine Reintegrationsunterstützung als Sachleistung im Bereich Wohnen oder eine Reintegrationsunterstützung für Langzeitgeduldete in Form einer einmaligen finanziellen Hilfe sowie gegebenenfalls einer Sachleistung für Wohn- oder medizinische Kosten. Alle Förderleistungen werden von IOM im Auftrag des Bundes durchgeführt. Ziel des Programms ist die dauerhafte Wiedereingliederung im Rückkehrland.
Weitere Informationen
• Die Studie „Das Leben nach der Rückkehr: Langfristige Reintegration nach der geförderten Ausreise aus Deutschland“ finden Sie unter dem folgenden Link zum Download:
https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb42-evaluation-starthilfeplus-2.html
• Weitere Informationen zum Forschungsprojekt und die Ergebnisse der ersten Begleitstudie zu StarthilfePlus aus dem Jahr 2019 finden Sie auf der Projektwebseite unter diesem Link: https://www.bamf.de/SharedDocs/ProjekteReportagen/DE/Forschung/Migration/rueckkehr-starthilfeplus.html
• Ein Dossier zum Thema „freiwillige Rückkehr“ mit ausführlichen Informationen zu den Unterstützungsprogrammen finden Sie unter dem folgenden Link auf der Webseite des BAMF: https://www.bamf.de/SharedDocs/Dossiers/DE/Rueckkehr/freiwillige-rueckkehr-im-fokus.html
• Informationen zum aktuellen StarthilfePlus-Programm finden Sie hier: https://www.returningfromgermany.de/de/programmes/ergaenzende-reintegrationsunterstuetzung-im-zielland-bei-einer-freiwilligen-rueckkehr-mit-reag-garp
Ansprechpartner für Medienanfragen:
Jochen Hövekenmeier
Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 17799
E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de
Sofiane Ouaret
Pressestelle IOM Deutschland
Telefon: +49 30 27877-80
E-Mail: media-de@iom.int
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Christian Kothe
Telefon: +49 911 943 24707
Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Franziska Clevers
Telefon: +49 30 278 778 66
IOM Deutschland - Policy and Project Support Unit (PPSU) - Research/Monitoring & Evaluation
Originalpublikation:
Kothe, Christian/Otte, Lukas/Reischl, Dominique/Uluköylü, Şeyma/Baraulina, Tatjana/Clevers, Franziska (2023): Das Leben nach der Rückkehr: Langfristige Reintegration nach der geförderten Ausreise aus Deutschland. Begleitstudie II zum Bundesprogramm StarthilfePlus. Forschungsbericht 42 des Forschungszentrums des Bundesamtes, Nürnberg: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
https://doi.org/10.48570/bamf.fz.fb.42.d.2023.starthilfeplus2.1.0