Ein Forum für menschliche Vielfalt - Neustart der „Ethnographisch-Archaeologischen Zeitschrift“ in Kiel
- Die EAZ soll als Forum für Fachgrenzen überbrückende Wissenschaft zur Vielfalt menschlichen Lebens dienen
- Open Access und thematische Offenheit sollen überkommene Machtstrukturen in der Forschung überwinden
- Die EAZ erlaubt kritischen Blick auf aktuelle globale Herausforderungen
Menschliche Gesellschaften sind extrem komplex. Wer die kulturgeschichtliche Entwicklung unserer Gattung verstehen will, muss Methoden und Ergebnisse zahlreicher Fachrichtungen wie der Archäologie, der Sozial- und Kulturanthropologie, Paläoökologie oder Philosophie miteinander verbinden. Gleichzeitig spezialisieren sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf immer engere Forschungsbereiche und Nischen. „Umso mehr müssen wir zeigen, dass wir mit der Überschneidung vieler Disziplinen wertvolle neue Erkenntnisse gewinnen können“, sagt Dr. Henny Piezonka, Professorin für Anthropologische Archäologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und Mitglied im Exzellenzcluster ROOTS.
Sie gehört zu einem internationalen Team, dass jetzt mit der „Ethnographisch-Archaeologischen Zeitschrift“ (EAZ) eines der ältesten akademischen Foren für die interdisziplinäre Erforschung des Menschen und seiner Lebenswelten von der Antike bis zur Gegenwart neu belebt. Aktuell erscheint der erste Band der EAZ nach fünf Jahren Unterbrechung und einem Trägerwechsel – jetzt mit dem offiziellen Erscheinungsort Kiel. Dieser neue, insgesamt 57. Band ist einem der Väter der amerikanischen Anthropologie, Frans Boas, gewidmet, der vor 142 Jahren in Kiel promoviert wurde.
Ziel der EAZ ist, Fachgrenzen zu überbrücken, aber auch Gewohnheiten und Machtstrukturen in der Wissenschaft infrage zu stellen, Ungleichheiten zu bekämpfen und so neue Sichtweisen auf die menschliche Existenz zu ermöglichen. „In den vergangenen Jahrzehnten gab es immer mehr kritische Ansätze in der Anthropologie und Archäologie, die in postkolonialen, indigenen, feministischen und queeren Anliegen wurzeln. Sie stellen überkommene Forschungen infrage, die sehr männlich, westlich und englischsprachig dominiert waren“, erklärt Prof. Dr. Martin Furholt vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU und ebenfalls Redaktionsmitglied der neuen EAZ.
„Die Kombination von anthropologischer und archäologischer Forschung, einschließlich einer Wiederbelebung transdisziplinärer Fachrichtungen wie der Ethnoarchäologie, kann alternative und bislang benachteiligte Stimmen in einer Weise verstärken, die zur Entkolonialisierung der Disziplinen beiträgt“, ergänzt seine Kollegin Henny Piezonka.
Auf diese Weise soll die EAZ einen kritischen und selbstreflexiven Blick auf aktuelle globale Herausforderungen wie soziale Ungleichheit, Klimawandel und indigene Souveränität ermöglichen. Dabei baut das neue Redaktionsteam auf die langjährige Geschichte der Zeitschrift als fächerübergreifendes Medium auf.
Die EAZ wurde 1953 in Ost-Berlin gegründet und knüpft an Forschungstraditionen an, die Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden waren. Sie integrierten verschiedene Ansätze der Archäologie und Anthropologie und beeinflussten zum Beispiel auch Franz Boas.
In Europa wurden die Forschungsfelder im 20. Jahrhundert allerdings institutionell getrennt. Die EAZ stand mit ihrer transdisziplinären Ausrichtung bis ins frühe 21. Jahrhundert weitgehend allein. Zwischen 2009 und 2018 erschien sie in Leipzig und bezog zunehmend theoretische und philosophische Beiträge sowie Analysen zur Geschichte des archäologischen Denkens ein.
Mit dem Relaunch an der CAU widmet sich die EAZ jetzt der Forschung an den Schnittstellen von Archäologie, soziokultureller Anthropologie und Philosophie, insbesondere den Beziehungen zwischen Gesellschaft, Kultur und Umwelt.
Die Artikel der EAZ erscheinen zunächst online unter www.eaz-journal.org. Auf Wunsch können zwei Ausgaben pro Jahr gedruckt werden. Wie bei anderen wissenschaftlichen Zeitschriften wird die wissenschaftliche Qualität von externen, internationalen Gutachterinnen und Gutachtern sichergestellt. Sie beraten die Herausgeber, ob ein eingereichter Artikel angenommen oder überarbeitet werden sollte. Für die Forschenden fallen keine Kosten an und angenommene Artikel werden auf der Website ohne Bezahlschranke unter einer international anerkannten, freien Lizenz veröffentlicht. „Dieser Open-Access-Ansatz sorgt zusätzlich für eine Demokratisierung der Forschung. Entscheidend ist nicht, wie gut finanziert die Institution ist, an der jemand arbeitet. Allein die wissenschaftliche Qualität zählt", betont Henny Piezonka.
Die Redaktionssysteme laufen auf Servern, die vom Rechenzentrum der Universität Kiel gehostet werden. Zum neuen Redaktionsteam gehören neben Martin Furholt und Henny Piezonka auch Prof. Dr. Bill Angelbeck (Douglas College, Kanada), Prof. Dr. Jerimy Cunningham (University of Lethbridge, Kanada), Dr. Jens Schneeweiß (Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie Schleswig/Cluster ROOTS) und Dr. Maria Wunderlich (Institut für Prähistorische und Protohistorische Archäologie der CAU/Cluster ROOTS). Dr. Nils Müller-Scheeßel (Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU /Cluster ROOTS) unterstützt das Team bei der Redaktion. Die Zeitschrift verfügt außerdem über ein internationales Netzwerk anerkannter Experten, die als Associate Editors die eingereichten Artikel begutachten.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Henny Piezonka
Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU/
Exzellenzcluster ROOTS
E-Mail: hpiezonka@ufg.uni-kiel.de
Prof. Dr. Martin Furholt
Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU/
Exzellenzcluster ROOTS
E-Mail: martin.furholt@ufg.uni-kiel.de
Weitere Informationen:
http://www.cluster-roots.org Der Exzellenzcluster ROOTS
http://www.ufg.uni-kiel.de/de Das Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU
http://www.eaz-journal.org Homepage der EAZ