Wie man Vertrauen in Kriegszeiten zurückgewinnt | 25 Jahre Zentrum für Vertrauensforschung in Vechta
Zusammenleben ist Vertrauenssache: Das Phänomen stellt eine der wichtigsten Kräfte für unseren Alltag, unsere Beziehungen und unsere Gesellschaft dar. Ereignisse wie der Krieg gegen die Ukraine löschen diese bindende Kraft auf einen Schlag aus. Wie lässt sich Vertrauen jetzt wieder aufbauen? Solchen Fragen geht das Zentrum für Vertrauensforschung in Vechta nach. Es ist einzigartig in Deutschland – und feiert nun sein 25-jähriges Jubiläum.
„Das Brechen von internationalen Abkommen führt uns vor, dass wir auf existenzielle Sicherheiten nicht mehr vertrauen können.“
Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer, Universität Vechta
Für das Zusammenleben von Menschen bedeutet Vertrauen eine grundlegende bindende Kraft. Es ist ein Phänomen, das in allen Bereichen des Lebens wirkt, immer dann, wenn wir Dinge nicht selbst vollständig kontrollieren können. Wenn wir uns etwa für eine Operation in die Hände von Fachkräften begeben oder wenn wir Aufgaben delegieren. Vertrauen schafft ein „Sicherheitserleben“, um trotz Risiko handeln zu können. Objektiv gibt es diese Sicherheit jedoch nicht, deshalb bedeutet Vertrauen stets, Risiken einzugehen.
Wie belebt man Vertrauen wieder – nach einem Krieg?
Ein Krieg wie der gegen die Ukraine stellt uns in dieser Hinsicht vor eine kaum fassbare Zerreißprobe, meint Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer. Er ist wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) in Vechta, das seit genau 25 Jahren erforscht wie Vertrauen entsteht – und zerbrechen kann.
„Im Krieg verschwindet der nötige Grad an Sicherheit. Gewalt, Töten und das Brechen von internationalen Abkommen führen uns vor, dass wir auf existenzielle Sicherheiten nicht mehr vertrauen können.“ Dazu sei keine hoffnungsvolle Aussicht greifbar: Niemand könne zur Zeit sicher sagen, wie der Weg zurück in den Frieden aussieht. Wie lässt sich in solch einer Situation Vertrauen wieder herstellen?
Prof. Schweer betont wie wichtig in Zeiten eines Krieges der individuelle Blick auf die beteiligten Menschen ist.
„Auf zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Ebene ist es jetzt nötig zu zeigen, dass hinter den Fronten des Krieges Menschen stehen, die sich unterscheiden in ihren sozialen Lagen, in ihren Überzeugungen und Wünschen. Es ist wichtig, das Bild von einer in Gänze feindlichen Gruppe deutlich zu schattieren bzw. aufzuheben.“
Einzigartige Forschung und Beratung
Prozesse der Vertrauensbildung sind eine komplexe Herausforderung. In den 25 Jahren seines Bestehens haben sich daher Organisationen wie auch Personen vom ZfV beraten lassen: von Bereichen wie Führung über sportpsychologische Felder bis hin zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Gerade bei solchen Veränderungsprozessen ist Vertrauen entscheidend, um Menschen motiviert mitnehmen zu können. Entsprechend wichtig waren zahlreiche große drittmittelgeförderte Projekte, die das Zentrum in im Laufe seiner Geschichte dazu durchführen konnte.
Die Bandbreite der Handlungsfelder, die in Forschung und Praxis von Bildung über Verwaltung und Wirtschaft betrachtet werden, gibt es so in deutschlandweit nur beim ZfV in Vechta. Hier gehen Forschende auch der Frage nach, wie Vertrauen in Institutionen oder in die Politik funktioniert oder wie es innerhalb einer Familie wirkt. Auch auf das Misstrauen - das erst deutlich später in den Blick der Forschung geriet – konzentriert man sich im ZfV. Dazu kommen angrenzende Phänomene wie Loyalität, soziale Verantwortung und Gerechtigkeit.
Eigene Vertrauenstheorie für Unterschiede von Menschen
Prof. Schweer selbst hat eine eigene Vertrauenstheorie entwickelt. Seine „differentielle“ Theorie hebt sich von anderen dadurch ab, dass sie Unterschiede zwischen den Menschen macht.
„Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen“, betont der wissenschaftliche Leiter des ZfV. „Menschen nehmen die jeweils gegebene Situation unterschiedlich wahr. Vertrauen ist also ein komplexes Zusammenspiel der handelnden Personen und der Anforderungen der Situation“.
Die Befunde aus der Forschung des ZfV geben wertvolle Hinweise dazu, welche Erwartungen Menschen an eine vertrauenswürdige Person oder Institution richten und inwieweit sie sich von Mensch zu Mensch unterscheiden können.
Kleine Schritte für den Frieden
Auch mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine stellt der Wissenschaftler die Menschen in den Mittelpunkt.
„Wenn mögliche Friedensverhandlungen am Ende erfolgreich aus dem Krieg führen sollen, muss Vertrauen auch auf der Ebene der Verhandlungspartner*innen schrittweise aufgebaut werden. Dazu ist es wichtig, die Verhandlungen in kleinen Schritten zu entwickeln, damit Vertrauen wieder wachsen kann“.