Hat sich das Digitalisierungsversprechen erschöpft? Vielfältige Anzeichen und mögliche Folgen
Der Glaube an die segensreichen Wirkungen der Digitalisierung ist seit geraumer Zeit weit verbreitet. Solche Zukunftsvorstellungen sind notwendig, um die Ungewissheit bei Entscheidungen über Innovationen zu überbrücken. So wird öffentliche Förderung, Finanzierung und günstige Regulierung im Hier und Jetzt ermöglicht. Dies geschieht auch dann, wenn sich die oftmals überzogenen Zukunftserwartungen nicht erfüllen. In einem Impulspapier zeigt der Göttinger Soziologe Michael Faust (SOFI), dass sich das Digitalisierungsversprechen erschöpft und was dies für die Entwicklung von Innovationen und Wirtschaft bedeuten kann.
„Die besten Zeiten von Big-Tech sind vorbei“ - so titelt das Handelsblatt im November 2022. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ fragt: „Was ist aus dem Versprechen geworden, es gehe immer nur aufwärts?“ Die FAZ verkündet Anfang 2023 „Die große Tech-Ernüchterung“. Die Anzeichen mehren sich und werden vielfältiger. Die zuvor mit großer Überzeugung vorgetragenen Digitalisierungsversprechen haben zu einem erheblichen Anstieg von Digitalisierungsprojekten in Unternehmen und zu einer beispiellosen Höherbewertung der Gewinner aus der Tech-Branche geführt.
„Diese Versprechen werden nun nicht mehr so vollmundig verkündet und verlieren an Glaubwürdigkeit. Dies gilt zum Beispiel für das autonome Fahren. Noch vor wenigen Jahren wurde von Herausforderern aus der Tech-Branche und von auf ‚disruptive‘ Innovationen spezialisierten Investoren prophezeit, dass das autonome Fahren zum ‚Game Changer‘ in der automobilen Welt werde. Die traditionellen Automobilhersteller würden dadurch zu subalternen Zulieferern der Tech-Branche, die drauf und dran seien, selbst autonome Fahrzeuge anzubieten“, konstatiert Michael Faust und fährt fort: „Diese imaginierte Zukunft mobilisierte Investitionen der Hersteller, die Finanzierung der Herausforderer durch Investoren, Förderung und wohlwollende Regulierung durch die Politik. Heute hat sich weitgehend die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich das Fahren unter allen Umweltbedingungen ohne Fahrer nicht realisieren lässt. Dadurch wird auch die Vorstellung obsolet, dass es in der Automobilbranche aus diesem Grund zu einer ‚disruptiven‘ Machtverschiebung kommt. Stattdessen reduzieren die Hersteller ihre Anstrengungen in diesem Segment und die Bewertung und Finanzierung von spezialisierten Anbietern aus der Tech-Branche bricht ein.“
Solche Enttäuschungen von Digitalisierungsversprechen lassen sich auch auf anderen Feldern wie dem E-Commerce und der Steuerung von industriellen Produktionsprozessen („Industrie 4.0“) zeigen. Die großen Tech-Konzerne wie Amazon, Alphabet, Meta und Tesla stellen auf Kostensenkung um und reduzieren Personal; im Zuge dessen werden sie auch an den Kapitalmärkten neu bewertet. So zeigt sich, dass auch Erwartungsenttäuschungen Wirkungen in der Gegenwart haben. Wie Fausts Impulspapier ausführt, kann das einerseits dazu führen, dass Digitalisierung nüchterner betrachtet wird: „Nunmehr werden die ausufernden Kosten, die steigende Komplexität und die Überziehung von Projektlaufzeiten registriert. In Unternehmen wird vermehrt nach dem ‚Wertbeitrag‘ von Digitalisierungsprojekten gefragt. All dies hat den positiven Effekt, dass Digitalisierung nicht mehr als Allheilmittel gilt und dadurch auch leichter alternative Lösungen für Probleme zum Zuge kommen können“, hebt der Göttinger Soziologe hervor.
So könnte deutlich werden, dass autonomes Fahren für eine geglückte Verkehrswende weniger wichtig ist als andere Lösungen. Andererseits können die durch die Enttäuschung des Digitalisierungsversprechens ausgelöste Investitionszurückhaltung und die Neubewertung von Unternehmen und Start-Ups zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen, die mit einer Krise des Banken- und Finanzsystems einhergehen. Womöglich gibt der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank, die die Hausbank der Start-Ups im Tech-Sektor war, einen Vorgeschmack davon.
Veröffentlichung:
Faust, Michael (2023): Hat sich das Digitalisierungsversprechen erschöpft? SOFI-Impulspapier.
Kostenfreier Download des Impulspapiers: https://sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/Michael_Faust/SOFI-Impulspapier_Digitalisierung_Faust_2023.pdf
Weitere Informationen und Kontakt:
Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) e.V.
an der Georg-August-Universität
Friedländer Weg 31
37085 Göttingen
Wissenschaftlicher Ansprechpartner
PD Dr. Michael Faust
Telefon: +49 551 52205-0
E-Mail: michael.faust@sofi.uni-goettingen.de
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
PD Dr. Michael Faust
Telefon: +49 551 52205-0
E-Mail: michael.faust@sofi.uni-goettingen.de
Originalpublikation:
Faust, Michael (2023): Hat sich das Digitalisierungsversprechen erschöpft? SOFI-Impulspapier.
Weitere Informationen:
http://www.sofi.uni-goettingen.de