UN-Behörde ISA vertagt Entscheidung für Tiefseebergbau-Regeln
Umweltfolgen sind bislang nur wenig erforscht / Abbau am Ozeanboden umstritten
Rohstoffe sind begehrt. Nun rückt als neue Quelle für Metalle wie beispielsweise seltene Erden auch die Tiefsee in den Fokus. Die Internationale Meeresbodenbehörde der UN (International Seabed Authority – ISA) hat einen Entwurf diskutiert, wie deren Abbau reglementiert werden könnte – bislang jedoch ohne Ergebnis. Forschende, darunter auch Kolleg:innen des MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen, untersuchen seit Jahrzehnten, welche Folgen der Tiefseebergbau für das dortige Ökosystem haben würde. Sie sehen einen möglichen Abbau kritisch.
Tiefseebergbau hat in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, dessen Notwendigkeit wird oft wirtschaftlich und mit zuneige gehenden Rohstoffen begründet. Interesse besteht vor allem an Manganknollen, die am Ozeanboden wachsen und reich an Metallen wie Kupfer, Nickel und Kobalt sind. Sie kommen vor allem in Wassertiefen zwischen 4.000 und 6.000 Meter vor. Regeln für den Tiefseebergbau gibt es bislang nicht, Begehrlichkeiten dafür umso mehr. Im Zuge der Energiewende äußern zum Beispiel Industriezweige Bedarf an Metallen wie die seltenen Erd-Elemente, etwa für Akkus.
Bis Juli 2023 muss die UN-Behörde ein Regelwerk für den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee erstellen. Dies soll für Vorkommen gelten, die außerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Staaten liegt und darum zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehören. Hier vorkommende Bodenschätze werden von der UN-Behörde ISA mit Sitz in Jamaika verwaltet – beschlossen im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen.
Staaten fordern Moratorium
Die Eile für die aktuelle Beratung der ISA geht zurück auf eine – unter Forschenden umstrittene – Zweijahresregel: Im Sommer 2021 haben eine Firma und der pazifische Inselstaat Nauru den Abbau in der Tiefsee beantragt. Gibt es binnen zwei Jahren kein Regelwerk für den Abbau, müssten Anträge theoretisch vorläufig bestätigt werden. Umweltverbände und einige Staaten – darunter Deutschland – fordern, gestützt von vielen Meeresforschenden, ein Moratorium für den Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee.
„Der Tiefseebergbau bietet keine tragbaren Lösungen bei der Versorgung mit Rohstoffen, die wir für die Energiewende benötigen. Für die Manganknollen gibt es keine Aufbereitungstechnologie, mit der die begehrten Metalle extrahiert werden könnten. Die Massivsulfide haben zwar hohe Kupfergehalte, aber die Vorkommen sind klein, und bei einem weltweiten Jahresbedarf an Kupfer von über 20 Millionen Tonnen Kupfer würden die bekannten Vorkommen nur wenige Monate reichen“, sagt Prof. Wolfgang Bach vom MARUM.
Modelle und Feldforschung mit MARUM-Beteiligung
Deutsche Forschende, auch vom MARUM, begleiten schon lange Umweltüberwachungen. In institutsübergreifenden Projekten erstellen sie Studien zum Tiefseebergbau, zum Beispiel in der Clarion-Clipperton-Bruchzone zwischen Hawaii und Mexiko, um die es auch bei der aktuellen Beratung der ISA geht. Die Forschung beinhaltet numerische Modelle, etwa zu den Sediment-Aufwirbelungen und mikrobiellen Gemeinschaften am Ozeanboden, wie auch groß angelegte Feldversuche mit mehreren wissenschaftlichen Kooperationspartnern.
„Alle Prozesse am Ozeanboden laufen sehr langsam ab, unter anderem weil sich die Sedimente in den Tiefseeregionen mit Manganknollen sehr langsam ablagern. Oft dauert es über Tausende Jahre, bis sich ein Zentimeter Sediment abgelagert hat! Deshalb werden wir wahrscheinlich nie sehen, wie sich das Umfeld vom Bergbau erholen würde. Der Meeresboden ändert sich komplett nach dem Abbau“, betont Prof. Elda Miramontes García vom MARUM.
Nach einem wissenschaftlichen Abbauversuch im Pazifik vor Peru kehrten Forschende mehr als zwei Jahrzehnte später zurück. Sie wollten überprüfen, wie sich die Meeresumwelt erholt hat. Das Ergebnis: Die Furchen waren noch gut im Sediment sichtbar, das mikrobielle Leben nicht wieder auf dem Stand von vor dem Feldversuch. Abbauversuche würden auch alle umliegenden Strukturen beschädigen, mitunter könnte das auch Arten betreffen, die noch gar nicht bekannt sind.
Meeresströmung beeinflusst Sedimentbewegung
Ein weiterer Aspekt für das Ökosystem der Tiefsee: Die Clarion-Clipperton-Zone im östlichen Pazifik ist eine der wirbelreichsten Regionen in der Tiefsee. „Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Tiefenströmungen und damit die potentiellen Abbaubedingungen stark von den durchziehenden Wirbeln beeinflusst werden. Die Wirbelaktivität wiederum hängt ab von den Winden in der Erzeugungsregion an der Westküste des amerikanischen Kontinents und wird dort von Wetter- und Klimavariabilität wie dem El Nino/La Nina Phänomen beeinflusst“, erklärt Dr. Maren Walter vom MARUM.
Die Strömungen am Meeresboden wiederum seien ein wichtiger Faktor bei der (Wieder-) Ablagerung der Sedimente, die bei einem potentiellen Abbau aufgewirbelt werden. „Bevor wir sicher einschätzen können, wie stark sich die Schwankungen der Bodenströmungen auf die Sedimentaufwirbelungen und damit die Ökosysteme auswirken, ist es meiner Meinung nach unverantwortlich, mit einem Abbau der Manganknollen zu beginnen.“
Oase des Lebens in der Tiefsee
Neben Manganknollen gelten auch die Massivsulfide als interessant für den Tiefseebergbau. Aus ihnen bestehen so genannte Schwarze Raucher, die sich an hydrothermalen Quellen aus Mineralen aus dem Erdinneren bilden. Auch sie gelten nicht nur als interessante Rohstoffe aus der Tiefsee, sondern sind – ebenso wie Manganknollen – ein einzigartiger Lebensraum, der als eine Oase des Lebens in der Tiefsee gilt.
„Es steht außer Frage, dass ein Abbau der Sulfide unermesslichen Schaden an vielleicht einzigartigen Ökosystemen der Tiefsee anrichten würde“, sagt Wolfgang Bach. Die Tiefsee und der Ozeanboden gelten als größtes zusammenhängendes Ökosystem der Erde, dazu ist es relativ wenig erforscht. Im Rahmen des Exzellenzclusters „Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ arbeiten Forschende am MARUM daran, die Funktionsweise und die Bedeutung der Tiefsee zu entschlüsseln.
Die ISA hat sich bei ihrer aktuellen Sitzung nicht auf ein Regelwerk für den Tiefseeabbau einigen können. Die nächste Sitzung ist für Juli 2023 geplant.
Das MARUM gewinnt grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rolle des Ozeans und des Meeresbodens im gesamten Erdsystem. Die Dynamik des Ozeans und des Meeresbodens prägen durch Wechselwirkungen von geologischen, physikalischen, biologischen und chemischen Prozessen maßgeblich das gesamte Erdsystem. Dadurch werden das Klima sowie der globale Kohlenstoffkreislauf beeinflusst und es entstehen einzigartige biologische Systeme. Das MARUM steht für grundlagenorientierte und ergebnisoffene Forschung in Verantwortung vor der Gesellschaft, zum Wohl der Meeresumwelt und im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Es veröffentlicht seine qualitätsgeprüften, wissenschaftlichen Daten und macht diese frei zugänglich. Das MARUM informiert die Öffentlichkeit über neue Erkenntnisse der Meeresumwelt, und stellt im Dialog mit der Gesellschaft Handlungswissen bereit. Kooperationen des MARUM mit Unternehmen und Industriepartnern erfolgen unter Wahrung seines Ziels zum Schutz der Meeresumwelt.
Weitere Informationen:
https://www.marum.de - Zum MARUM
https://miningimpact.geomar.de/de/miningimpact-2 - Zum Forschungsprojekt „Mining Impact“