RNA-Editing weist Immunzellen den Weg zu verletztem Gewebe
Internationale Studie weist den Mechanismus als einen wichtigen Ansatzpunkt für die Therapie einer Vielzahl von Erkrankungen aus
Gemeinsame Pressemitteilung der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg und dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung
Einem Team von internationalen Wissenschaftlern unter der Federführung der Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät Mannheim, und der Newcastle University (Großbritannien) ist es gelungen, anhand der Untersuchung von Gefäßerkrankungen den Mechanismus des sogenannten Immunzell-Trafficking zu entschlüsseln. Das Feintuning dieses grundlegenden Prozesses der Immunabwehr übernimmt überraschenderweise ein RNA-Editierungssystem (ADAR2) in den die Gefäße auskleidenden Endothelzellen. Diese Erkenntnis könnte für eine Vielzahl entzündlicher Erkrankungen neue Therapiewege eröffnen.
Wenn unser Körper eine Verletzung erleidet oder durch Krankheitserreger infiziert wird, veranlassen Botenstoffe, sogenannte Zytokine, die Immunzellen dazu, den Blutkreislauf zu verlassen und durch die Blutgefäßwand zum Ort der Verletzung oder Infektion zu wandern. Für die natürliche Abwehr des Körpers ist dieser Prozess der Immunzell-Wanderung unerlässlich. Wird er jedoch krankhaft chronisch aktiviert, kann dies zu Gewebe- und Organschäden führen, die wiederum Entzündungen, Herzerkrankungen und Krebs begünstigen. Der Transport von Immunzellen ist daher eine wichtige Stellschraube über die Entzündungsprozesse reguliert werden können und steht im Fokus der Medikamentenentwicklung zur Behandlung verschiedenster Erkrankungen.
Das internationale Forscherteam führte seine Untersuchungen am Beispiel ischämischer Erkrankungen durch. Sauerstoffmangel im Gewebe löst hier die Produktion von Zytokinen aus. Die häufigste Folge einer chronischen ischämischen Herzkrankheit ist die Herzinsuffizienz.
„Chronische Entzündungen sind ein wichtiger Mechanismus, der ischämischen Herzerkrankungen zugrunde liegt. Menschen, die einen Herzinfarkt erlitten haben, tragen ein hohes Risiko für einen zweiten Herzinfarkt, die Entwicklung einer Herzinsuffizienz oder anderer Folgeerkrankungen. Wenn wir verstehen, wie Immunzellen nach einem akuten Herzinfarkt in das Herz rekrutiert werden, können wir neue Therapeutika entwickeln, die dieses sogenannte Restrisiko reduzieren“, sagt Professor Dr. Konstantinos Stellos. Gemeinsam mit der RNA-Biologin und Erstautorin der Studie, Dr. Aikaterini Gatsiou, führte er einen großen Teil der Arbeit an der Newcastle University durch. Mit seinem Wechsel auf den Lehrstuhl für Herz-Kreislauf-Forschung der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg im Jahr 2021 setzte er die Arbeiten von dort aus fort.
Die Erkenntnis, dass ein RNA-Enzym die Entzündungsreaktion im Herzen oder anderen ischämischen Muskelgeweben orchestriert, macht es zu einem vielversprechenden Ziel für verschiedene Therapien. ADAR2 (Adenosine Deaminase Acting on RNA-2) katalysiert präzise die Umwandlung von Adenosin-Nukleosid-Bausteinen zu Inosin an bestimmten Stellen in der RNA, ein Prozess, der als RNA-Editierung bezeichnet wird. Die Forscher haben den genauen Mechanismus, durch den die RNA-Edits mittels ADAR2 den Transport von Immunzellen steuern, definieren können – von der Einzel-Nukleotid-Auflösung bis hin zur Organebene.
„Wir glauben, dass es ein wesentliches Hindernis für die schnelle Entwicklung neuer Therapien ist, dass sich Studien der Grundlagenforschung häufig auf wissenschaftliche Beobachtungen nur einer einzigen Analyseebene stützen. Da wir aber vielschichtige Organismen sind, ist es am zielführendsten, wenn die Suche nach neuen Zielstrukturen für die pharmakologische Intervention alle mechanistischen Ebenen umfasst. Entsprechend sollten gleichzeitig menschliche und murine Primärzellen, experimentelle Krankheitsmodelle und menschliche Biopsien erforscht und getestet werden. Genau das hatten wir im Sinn, als wir diese Studie konzipierten. Die vorliegende Arbeit wurde mit Hilfe mehrerer Experten verschiedener Forschungsgebiete durchgeführt, die maßgeblich zu dieser Studie beigetragen haben“, erläutern Professor Stellos und Dr. Gatsiou.
Adenosin-Desaminasen sind nicht nur ein möglicher Angriffspunkt für Therapien. Sie haben auch das Potenzial, den Genome Editing Technologien Konkurrenz zu machen. Das DNA-Editing mittels der sogenannten Genschere CRISPR/Cas9 ermöglicht es den Wissenschaftlern heute, die DNA eines Organismus gezielt zu verändern, um Krankheiten zu korrigieren. Die Technik birgt aber auch Risiken, da sie zu irreversiblen Veränderungen im Genom führt. „Der Einsatz eines RNA-Editings stellt einen vielversprechenderen Ansatz für die Entwicklung von Therapien für entzündliche Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Krebs und Autoimmunerkrankungen dar. Das RNA-Editing rührt das Genom nicht an, es ist sehr spezifisch und der Effekt ist aufgrund der kurzen Lebensdauer von RNA reversibel und dosierbar. Unsere Studie bietet einen integrativen Rahmen für solche Bemühungen“, sagt Dr. Aikaterini Gatsiou. „Interessanterweise sind mehrere Forschergruppen damit befasst, menschliche ADAR-Enzyme in steuerbare RNA-Editierungsmaschinen umzuwandeln“, ergänzt Professor Stellos.
Die Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit können die Behandlung vieler entzündlicher Erkrankungen revolutionieren. Die Ergebnisse wurden heute in der Online-Ausgabe der Zeitschrift Immunity, der führenden wissenschaftlichen Zeitschrift für Immunologie, veröffentlicht. Neben den Hauptautoren der Studie, Dr. Aikaterini Gatsiou und Professor Dr. Konstantinos Stellos, waren daran Wissenschaftler weiterer hochrangiger Universitäten und Institutionen aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich, USA, Italien, Japan, Griechenland, Schweden und China beteiligt. Die Studie wurde hauptsächlich vom Europäischen Forschungsrat im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union, dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK), der Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem UK Research and Innovation – Biotechnology and Biological Sciences Re¬search Council (BBSRC) kofinanziert.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Konstantinos Stellos, MD, FAHA, FESC
Professor of Medicine of the Universities of Heidelberg (Germany) and Newcastle (UK)
Chair, Department of Cardiovascular Research
European Center for Angioscience, Medical Faculty Mannheim,
Heidelberg University
Ludolf-Krehl-Straße 13-17
D-68167 Mannheim, Germany
Email: konstantinos.stellos@medma.uni-heidelberg.de
Originalpublikation:
Gatsiou A, Tual-Chalot S, Napoli M, Ortega-Gomez A, Regen T, Badolia R, Cesarini V, Garcia-Gonzalez C, Chevre R, Ciliberti G, Silvestre-Roig C, Martini M, Hoffmann J, Hamouche R, Visker J. R., Diakos N, Wietelmann A, Silvestris D. A, Georgiopoulos G, Moshfegh A, Schneider A, Chen W, Guenther S, Backs J, Kwak S, Selzman C. H, Rose-John S, Trautwein C, Spyridopoulos I, Braun T, Waisman A, Gallo A, Drakos S. G, Dimmeler S, Sperandio M, Soehnlein O, Stellos K
The RNA editor ADAR2 promotes immune cell trafficking by enhancing endothelial responses to interleukin-6 during sterile inflammation.
Immunity. 2023 May 9; Published online April 25
DOI: https://doi.org/10.1016/j.immuni.2023.03.021