Covid-19 Pandemie traumatisierte Ärzt:innen in Kliniken und Praxen
Die Covid-19 Pandemie war für viele Menschen eine extreme Ausnahmesituation verbunden mit großen Herausforderungen. Das gilt ganz besonders für die Arbeitskräfte im Gesundheitswesen. Eine wesentliche Frage war: Konnten Ärzt:innen die außergewöhnlichen Stresssituationen in ihrem Berufsleben bewältigen oder hat ihre psychische Gesundheit dabei gelitten? Um diese Fragen zu beantworten, haben der Kardiologe Prof. Andreas Goette, St. Vincenz‐Krankenhaus Paderborn, und der Psychosomatiker Prof. Karl-Heinz Ladwig, Technische Universität München (TUM), während der Pandemie Mediziner:innen befragt, wobei nicht nur Klinikärzt:innen, sondern erstmals auch Niedergelassene zu Wort kamen.
Wie erlebten Ärzt:innen ihr eigenes Handeln in der Pandemie? Wie gingen sie mit besonders belastenden Situationen um? Mediziner:innen unterschiedlicher Fachrichtungen äußerten dazu ihre persönliche Einschätzung im Rahmen einer anonymisierten Online‐Befragung im Spätherbst 2021. Die Studie wurde in Kooperation mit dem Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) und der Ärztekammer Westfalen-Lippe durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im April 2023 publiziert.
„Im zweiten Jahr der Pandemie wurde immer häufiger von überlasteten und erschöpften Ärzt:innen berichtet. Um das Problem mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, haben wir diese systematische Studie durchgeführt.“, erklärt Studienleiter Prof. Goette. „Bei der Datenauswertung haben uns auch folgende Fragen interessiert: Wie unterscheiden sich die Auswirkungen der Pandemie bei Klinikärzt:innen und Niedergelassenen? Ist langjährige Berufserfahrung hilfreich, um mit diesem Stress klarzukommen? Gibt es beim Einfluss der Pandemie auf das ärztliche Handeln geschlechtsspezifische Unterschiede?“
1476 ärztliche Mitglieder der Ärztekammer Westfalen‐Lippe nahmen an der Online-Befragung teil, die Ende 2021 über einen Zeitraum von sechs Wochen durchgeführt wurde. Sie beantworteten Fragen zu ihrer Lebenssituation, zu den von ihnen behandelten Patient:innen sowie zu den Belastungen, denen sie selbst ausgesetzt waren.
Von den Befragten hatten 1139 selbst Covid-19 Patient:innen behandelt. Etwa die Hälfte dieser Ärzt:innen waren in Kliniken tätig (586), die andere Hälfte in Praxen (553). Sie arbeiteten in den Fachgebiete Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie sowie Kinder- und Jugendheilkunde.
Covid-19 führte im Arbeitsalltag zu Konflikten mit den medizinisch-ethischen Grundsätzen. Mehr als ein Drittel der Befragten, vor allem Niedergelassene, fühlte sich durch externe Zwänge in ihrer ärztlichen Arbeit behindert. Fast die Hälfte (48 Prozent) der Klinikärzt:innen und gut ein Viertel (27 Prozent) der Niedergelassenen berichteten über Fälle, in denen sie große Schwierigkeiten hatten, die Patient:innenwürde zu wahren.
Auf dem Gipfel der vierten Welle der Pandemie litten bemerkenswert viele der befragten Mediziner:innen, nämlich je ein Viertel an einer Depression (23 Prozent) oder einer Angststörung (24 Prozent). Ein Vergleich mit Studien zu Beginn der Pandemie zeigt einen Anstieg der emotionalen Belastung.
Mehr als die Hälfte (63 Prozent der Klinikärzt:innen und 53 Prozent der Niedergelassenen) äußerte ein Gefühl der Hilflosigkeit. Die Mehrheit klagte über Schlafprobleme. Besonders betroffen waren Frauen und Ärzt:innen mit nur wenigen Jahren medizinischer Berufserfahrung.
Prof. Ladwig fasst zusammen: „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen deutlich: Die Pandemie und insbesondere die Behandlung von Covid-19-Patient:innen hatte gravierende Folgen für die ärztliche Arbeit in Kliniken und Praxen. Teilweise wurde das ärztliche Handeln in seinen ethischen Grundzügen in Frage gestellt. Die traumatisierenden Arbeitsinhalte gingen auch an erfahrenen Mediziner:innen, die es eigentlich gewohnt sind, schwierige Situationen zu meistern, nicht spurlos vorüber, sondern führten bei vielen in einem so nicht erwarteten Umfang zu seelischen Problemen und Einbrüchen in der psychischen Gesundheit. Wie wir sehen, konnten sich die Ärzt:innen im Lauf der Pandemie nicht an die Situation anpassen, sondern im Gegenteil, die emotionalen Belastungen haben mit der Zeit zugenommen. Emotionale Störungen unter Ärzt:innen haben ein kritisches Ausmaß erreicht.“
Prof. Goette sagt abschließend: „Es ist bedrückend zu sehen, wie die psychische Belastung von uns Ärzten über die Pandemie hinweg stetig gestiegen ist. Die Rate von erheblichen psychischen Auswirkungen während der vierten Corona-Welle erschient wirklich bedeutsam. Hoffentlich führt das Ende der Pandemie zur Besserung der Befunde, aber dies bleibt abzuwarten und bedürfte erneuter Untersuchungen.“
Publikation
Ladwig KH et al. Covid‑19 pandemic induced traumatizing medical job contents and mental health distortions of physicians working in private practices and in hospitals. Nature Scientific Reports. 2023; 13:5284. DOI: 10.1038/s41598-023-32412-y
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Das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) ist ein interdisziplinäres Forschungsnetz, in dem Wissenschaftler:innen und Ärzt:innen aus Kliniken und Praxen deutschlandweit zusammenarbeiten. Ziel des Netzwerks ist es, die Behandlung und Versorgung von Patient:innen mit Vorhofflimmern in Deutschland, Europa und den USA durch koordinierte Forschung zu verbessern. Dazu führt das Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. wissenschaftsinitiierte klinische Studien (investigator initiated trials = IIT) und Register auf nationaler und internationaler Ebene durch. Der Verein ist aus dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Kompetenznetz Vorhofflimmern hervorgegangen. Seit Januar 2015 werden einzelne Projekte und Infrastrukturen des AFNET vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) gefördert.
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Originalpublikation:
Ladwig KH et al. Covid‑19 pandemic induced traumatizing medical job contents and mental health distortions of physicians working in private practices and in hospitals. Nature Scientific Reports. 2023; 13:5284. DOI: 10.1038/s41598-023-32412-y
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