Zulassungserweiterung für Ravulizumab zur Behandlung der anti-AQP4-IgG-seropositiven NMOSD empfohlen
28.04.2023 – Am 30.3.2023 wurde bekannt gegeben, dass der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eine Zulassungserweiterung für Ravulizumab, einem monoklonalen Antikörper gegen das Komplementprotein C5, als intravenöse Therapie zur Behandlung der anti-Aquaporin-4-Immunglobulin G (AQP4-IgG) seropositiven Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (NMOSD) empfohlen hat.
Die Empfehlung der Zulassungserweiterung für Ravulizumab gilt für Erwachsene mit Diagnose einer AQP4-IgG-seropositiven NMOSD. Der monoklonale Antikörper Ravulizumab ist für Kinder und Erwachsene bereits zur Behandlung der paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) l und des atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms (aHUS), sowie für Erwachsene mit generalisierter Acetylcholinrezeptor Antikörper positiver Myasthenia gravis zugelassen.
Das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) begrüßt diese mögliche, weitere Behandlungsoption und Herr Prof. Wiendl, Direktor der Klinik für Neurologie mit Institut für Translationale Neurologie des Universitätsklinikums Münster und Vorstandssprecher des KKNMS betont: „Durch die inzwischen vielfältigen und immunselektiven Behandlungsmöglichkeiten für die AQP4-IgG-seropositive NMOSD können wir zunehmend individuelle und auf die Patient:innen abgestimmte Therapieentscheidungen für Patient:innen mit NMOSD treffen und den Erkrankungsverlauf positiv beeinflussen, indem wir weitere Erkrankungsschübe und eine Behinderungsprogression verhindern“.
Ravulizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Antikörper, der durch Bindung an die Komplementkomponente C5 die terminale Komplementkaskade blockiert und dadurch die Komplement-vermittelten Entzündungsreaktionen bei der NMOSD unterdrückt. Ravulizumab ist eine Weiterentwicklung von Eculizumab, welches bereits für die Therapie der schubförmigen AQP4-IgG-seropositiven NMOSD zugelassen ist, welches aber aufgrund der Halbwertszeit alle 2 Wochen intravenös infundiert werden muss. Durch die sogenannte „Recycling“ Technologie hat Ravulizumab eine deutlich längere Halbwertszeit und muss den Patient:innen nur alle 8 Wochen infundiert werden, um eine ausreichende Hemmung des Komplementsystems zu erreichen.
In einer offenen Phase III Studie (CHAMPION-NMOSD Studie) mit 58 erwachsenen Patient:innen (EDSS ≤ 7.0) wurden AQP4-IgG-seropositive NMOSD Patient:innen mit oder ohne begleitende Immunsuppression eingeschlossen. Die Behandlung mit Ravulizumab wurde mit dem Placebo-Arm der früheren Eculizumab-Studie verglichen, da ein reiner Placebo-Arm als ethisch nicht mehr vertretbar erachtet wurde, nachdem zum Zeitpunkt des Studienbeginns schon zugelassene Therapien zur Behandlung der NMOSD zur Verfügung standen (i.e. Eculizumab). In der Studie traten während einer medianen Beobachtungszeit von 74 Wochen (patientenindividueller Behandlungszeitraum 50 bis 117 Wochen) bei den mit Ravulizumab behandelten Patient:innen keine Erkrankungsschübe auf, gegenüber 20 Patient:innen mit Schüben im Placebo-Arm aus der Eculizumab-Studie. Die Patient:innen werden in einer offenen Extensionsstudie weiterbehandelt und beobachtet. Die Nebenwirkungen von Ravulizumab gleichen denen von Eculizumab. Zu den häufigsten Nebenwirkungen in der Studie zählten Kopfschmerzen und COVID-19 Erkrankungen (die Studie lief während Pandemie-Zeit) sowie u.a. Rückenschmerzen, Infekte der oberen Atemwege und Harnwegsinfekte. Bei 2 Patient:innen kam es zu einer Menigokokkeninfektion, die nach entsprechender Behandlung ausheilte; beide Patient:innen waren geimpft. In einem Fall wurde Ravulizumab dabei als Monotherapie angewendet, im zweiten Fall wurde Ravulizumab in Kombination mit Mycophenolat Mofetil und Steroiden angewendet, zudem waren beim zweiten Fall die B-Zellen nach vorangegangener Rituximabtherapie noch reduziert.
Ravulizumab wird intravenös appliziert und die Dosierung erfolgt gewichtsadaptiert – mit Aufsättigung in Woche 0 und 2 und danach mit Gabe alle 8 Wochen als Erhaltungsdosis.
Eine Meningokokkenimpfung ist – wie das auch für Eculizumab der Fall ist – mindestens zwei Wochen vor Behandlungsbeginn vorgeschrieben; ist dies nicht möglich, muss eine geeignete Antibiotikaprophylaxe erfolgen. Patient:innen, die Ravulizumab erhalten, müssen zudem – wie bei Eculizumab – vor jeder Infusion auf das Vorliegen einer Meningokokkenerkrankung untersucht werden und diesbezüglich regelmäßig aufgeklärt werden, da eine Impfung nicht zu 100% vor einer Meningokokkeninfektion schützt.
Mit Ravulizumab steht damit nun eine weitere Option, AQP4-IgG-seropositive NMOSD Patient:innen mit einem zugelassenen Medikament zu behandeln. Die Entscheidung, welche Therapie bei welchen Patient:innen eingesetzt werden sollte, hängt unter anderem von der Krankheitsaktivität, dem Alter, von Vortherapien, Langzeiterfahrung, aber auch Komorbiditäten ab und muss individuell entschieden wer-den. Es ist derzeit nicht davon auszugehen, dass in der Gruppe der „Komplementinhibitoren“ (Eculizumab, Ravulizumab) hochsignifikante Unterschiede hinsichtlich Wirksamkeit, Nebenwirkungen oder Verträglichkeit vorliegen sollten. Auch wenn die Therapiekosten von Ravulizumab in Deutschland vermutlich geringer ausfallen als bei Eculizumab, sind sie allerdings immer noch sehr hoch und liegen bei Jahrestherapiekosten von über 300.000 Euro (gewichstabhängig).
„Es ist wichtig, dass Patient:innen mit NMOSD von spezialisierten und in der Therapie der NMOSD erfahrenen Ärzt:innen betreut werden, um Therapieentscheidungen zu treffen und bei den Patient:innen für ein optimales Monitoring zu sorgen“, sagt Frau Prof. Dr. Kümpfel, Leiterin der Neuroimmunologischen Ambulanz der LMU München und Mitglied des KKNMS Vorstands.
Empfehlungen zum Einsatz von Ravulizumab und zu Kontrolluntersuchungen vor sowie während der Therapie werden das KKNMS und die Neuromyelitis-optica Studiengruppe (NEMOS) nach endgültiger Zulassung im Rahmen des KKNMS Qualitätshandbuchs herausgeben, zudem finden sich nach endgültiger Zulassung auch Informationen in der entsprechenden Fachinformation.
Originalpublikation:
[1] Pittock SJ, Berthele A, Fujihara K, Kim HJ, Levy M, Palace J, et al. Eculizumab in Aquaporin-4-Positive Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. N Engl J Med. 2019;381(7):614-25.
[2] Pittock SJ, Barnett M, Bennett JL, Berthele A, de Seze J, Levy M, et al. Ravuli-zumab in Aquaporin-4-Positive Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. Ann Neurol . 2023 Mar 3. Online ahead of print.