Plastizität und Vielfalt: IPK-Forschungsteam identifiziert neue Art der Zentromer-Organisation
Das Zentromer ist der Bereich des Chromosoms, an dem die Mikrotubuli während der Zellteilung ansetzen. Im Gegensatz zu monozentrischen Chromosomen mit einem Zentromer sind bei holozentrischen Arten in der Regel hunderte sogenannter Zentromer-Einheiten entlang beider Schwesterchromatiden verteilt. Ein internationales Forschungsteam unter Führung des IPK-Leibniz-Instituts hat eine neue Organisationsform des Zentromers entdeckt. Diese könnte ein bisher noch fehlendes evolutionäres Glied im Übergang vom Mono- zum Holozentromer sein. Die Ergebnisse des Forschungsteams sind jetzt im Journal Nature Communications veröffentlicht worden.
Holozentrische Chromosomen haben sich sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen mehrfach unabhängig von X-förmigen monozentrischen Chromosomen entwickelt. Der Mechanismus hinter dem Übergang zu diesem Zentromertyp ist aber bisher unbekannt. Das internationale Forschungsteam hat das Referenzgenom der Lilienart Chionographis japonica zusammengestellt und die Organisation des Holozentromers analysiert.
Bemerkenswerterweise besteht das Holozentromer aus nur 7 bis 11 gleichmäßig verteilten Zentromereinheiten von Telomer zu Telomer in Megabasengröße. Die Größe der einzelnen Zentromer-Einheiten in dieser Pflanzenart ist vergleichbar mit der von monozentrischen Arten und etwa 200-mal größer als bei anderen holozentrischen Pflanzen. „Eine so geringe Anzahl von Zentromer-Einheiten, die aber so groß sind, wurde bisher bei keinem tierischen oder pflanzlichen Organismus nachgewiesen“, sagt Dr. Yi-Tzu Kuo, Erstautorin dieser Studie.
Die gleichmäßig verteilten Zentromer-Einheiten könnten eine Voraussetzung für die Bildung zylindrisch geformter Metaphase-Chromosomen mit linienförmigen Schwester-Holozentromeren sein. Diese sind den gegenüberliegenden Polen zugewandt. Während der mitotischen Chromosomenkondensation werden die megagroßen Zentromereinheiten entlang der Chromatide durch Schleifenbildung und Faltung des Chromatins zu einem linienförmigen Holozentromer zusammengefügt. Dieses funktioniert dann wie ein einziges Zentromer. „Das macht das Chromosom stabiler und robuster, sonst würde es bei der Zellteilung auseinandergerissen“, so Prof. Dr. Andreas Houben, Leiter der Arbeitsgruppe „Chromosomenstruktur und -funktion“ am IPK.
Im Gegensatz zu allen bekannten holozentrischen Genomen, die gleichmäßig verteiltes Eu- und Heterochromatin besitzen, sind bei C. japonica beide epigenetisch definierten Chromatintypen in unterschiedlichen Domänen organisiert, also wie bei zahlreichen monozentrischen Arten. Gen-aktive und Gen-inaktive Bereiche sind räumlich voneinander getrennt.
„Die Studie erweitert unser Wissen über die Plastizität und Diversität des Zentromers und zeigt auch den einzigartigen Wert der Erforschung von Nicht-Modellarten für den evolutionären Vergleich, um Neuheiten selbst in gut untersuchten Strukturen wie dem Zentromer aufzudecken“, sagt Dr. Yi-Tzu Kuo.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Houben
Tel.: +49 39482 5486
houben@ipk-gatersleben.de
Originalpublikation:
Kuo et al.: (2023) Holocentromeres can consist of merely a few megabase-sized satellite arrays. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-023-38922-7