Chancen und Herausforderungen einer diverseren Gründungsszene
Obwohl Frauen mittlerweile vermehrt Unternehmen gründen, sind sie nach aktuellen Zahlen weiterhin unterrepräsentiert und gründen vor allem im Nebenerwerb. Die Gründe dafür sind vielfältig, sagt Dr. Simone Chlosta, die als Professorin für Wirtschaftspsychologie und Entrepreneurship an der FOM Hochschule lehrt. Einflussfaktoren reichen von der Care-Arbeit über mangelnde Vorbilder bis hin zu konkreten Finanzierungsfragen. Dabei hätte eine diversere Gründungsszene viele Vorteile für die Gesellschaft, wie Prof. Chlosta im Interview erklärt.
Frauen kommen laut KfW-Gründungsmonitor derzeit auf einen Anteil von 37 Prozent an allen Gründungen. Ist das ein Grund zur Freude?
Prof. Dr. Simone Chlosta: Diese Zahlen schwanken immer und sind zuletzt nach einem Hoch während der Corona-Pandemie wieder gesunken. Insgesamt gibt es positive Tendenzen, die zeigen: Frauen sind in der Mitte der Gründungsgesellschaft angekommen. Aber es existiert noch ein recht großer Gender Bias in Deutschland und ein starker Überhang an Männern. Frauen gründen zudem immer noch häufiger im Nebenerwerb – auch wegen der Care-Arbeit.
Abgesehen von der Care-Arbeit: Welche Gründe liegen dem geringeren Frauenanteil zugrunde?
Chlosta: Da spielen natürlich sehr individuelle Faktoren eine Rolle. Das Gründungsinteresse ist bei Frauen und Männern ungefähr gleich. Allerdings gibt es eine Lücke, die sich bis zur Umsetzung auftut. Woran das liegt? Oft fängt es mit fehlendem Support aus der Familie und dem Freundeskreis an. Das liegt auch an einem Mangel weiblicher Vorbilder, die Inspiration für die Gründung eines Unternehmens geben können. Klassische Rollenbilder, gesellschaftliche Vorurteile und die kulturell verfestigte Vorstellung vom Idealbild des männlichen Unternehmers können weitere Hindernisse sein. Ganz praktisch erfolgen die Beurteilung und Finanzierung des Geschäftsmodells immer noch hauptsächlich durch Männer, die andere Perspektiven einbringen als weibliche Gründerinnen.
Gibt es denn Branchen, in denen Frauen tendenziell mehr gründen?
Chlosta: Ja, da gibt es ganz klare Tendenzen. Schauen wir uns den Female Founders Monitor 2022 an, dann gründen Frauen besonders in den Bereichen Konsumgüter und Food. Außerdem gründen sie häufiger mit einem sozialen Fokus, etwa in den Feldern Medizin, Gesundheitswesen sowie Bildung. Gerade im Bereich Social Entrepreneurship sind Frauen stark vertreten.
Mit Ihrem Verein Perspektive neuStart e.V. möchten Sie nicht nur Frauen, sondern Menschen aus aller Welt dabei unterstützen, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Inclusive Entrepreneurship ist das Stichwort. Was müssen wir uns darunter vorstellen?
Chlosta: Mit dem Ziel Inclusive Entrepreneurship wollen wir in Deutschland ein diskriminierungsfreies Unternehmertum entwickeln, das unabhängig ist von Herkunft, Alter, Geschlecht, Religion, sozialer Zugehörigkeit und persönlichen Einschränkungen. Es geht um das, was wir „the missing entrepreneur“ nennen. Denn wir lassen ein enormes unternehmerisches Potenzial liegen: Menschen mit Einwanderungsgeschichte gründen ungefähr doppelt so häufig wie Einheimische. Dieses Potenzial wollen wir heben, indem wir zielgruppenspezifisch auf die Bedürfnisse eingehen und beispielsweise die Gründungsberatung sensibilisieren. Darüber hinaus verfolgen wir das Ziel, bundesweite Angebote für bessere Gründungsbedingungen zu schaffen und wir zielen auf ein bundesweites Netzwerk ab, um als starke Stimme zu sprechen und Informationen gebündelt anzubieten.
Welcher gesellschaftliche Mehrwert entsteht, wenn mehr Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen ein Unternehmen auf den Weg bringen?
Chlosta: Diversität hilft uns dabei, innovative und kreative Lösungen für die kritischen Probleme unserer Zeit zu finden und in einer resilienten und offenen Gesellschaft zu leben. Da Frauen oft mit einem Fokus auf gesellschaftliche Probleme gründen, bilden sie eine wichtige Stütze, um die Gesellschaft und die Menschen krisenfest zu machen. Zudem führt eine diverse Gründungsszene zu den genannten Vorbildeffekten, sodass nachfolgende Generationen sich besser identifizieren können, selbst gründen und so das ganze System offener wird. Nicht zuletzt erhöht Diversität die Standortattraktivität, so werden neue kluge Köpfe angesprochen und gewonnen.
Wie können solche Gründungen gefördert werden?
Chlosta: Netzwerke über gesellschaftliche Gruppen und Branchen hinweg sind enorm wichtig, wenn nicht das Wichtigste. Gründungsinteressierte können sich einen Sparringpartner suchen, um Ideen und Konzepte zu besprechen. Der Austausch kann sehr wertvoll sein. Insgesamt müssen wir mehr Unterstützung schaffen, gerade im Bereich Pflege und Kinderbetreuung. Oft geht es um weitere Aspekte: etwa die Stärkung des Selbstbewusstseins oder der Sprachkenntnisse. Menschen, die nicht in Deutschland aufgewachsen sind, benötigen Systemwissen, um sich in der Bürokratie zurechtfinden. Zudem helfen zielgruppenspezifische Gründungsbegleitungen, gerade wenn das Netzwerk in Deutschland fehlt. Es liegt also noch einiges an Arbeit vor uns.