Rätselhafte Fossilen aus dem Wiener Untergrund entschlüsselt
Im Zuge der aktuellen U-Bahn-Bauarbeiten in Wien kamen bei Bohrungen winzige Pyrit-Röhrchen zutage, die Hinweise auf eine ungewöhnliche Methanproduktion vor 11 Millionen Jahren geben
Der Bau der U-Bahn in Wien eröffnet den Geolog*innen des Naturhistorischen Museums Wien unerwartete Einblicke in den Untergrund der Stadt. In zahlreichen Bohrungen wurde die geologische Vergangenheit Wiens dokumentiert. Besonderes Augenmerk richtete die Arbeitsgruppe um Univ.-Prof. Dr. Mathias Harzhauser, Direktor der Geologisch-Paläontologischen Abteilung des NHM Wien, dabei auf die mächtigen Tonablagerungen, die vor etwa 11 Millionen Jahren von einem riesigen See abgelagert wurden. Der sogenannte Pannon-See bedeckte das gesamte Pannonische Becken und reichte von der heutigen Tschechischen Republik bis Serbien. Wien lag am westlichen Ufer des Sees. Die zahlreichen fossilen Schalen von Muscheln und Schnecken erlauben eine detaillierte Rekonstruktion der Lebensräume dieses ungewöhnlichen Sees, der über mehr als 5 Millionen Jahre existierte. Schwierig machten es den Geolog*innen aber die langen Abschnitte in den Bohrungen, in denen Fossilien völlig fehlten.
Statt Fossilien entdeckten die Forscher*innen hier jedoch winzige, nur wenige Millimeter lange Röhrchen. Im Mikroskop zeigte sich, dass die Röhrchen aus winzigen Kugeln aus dem Mineral Pyrit zusammengesetzt waren. Derartige Strukturen waren bisher unbekannt. In einem internationalen Team unter Leitung von Dr. Zhiyong Lin vom Zentrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Universität Hamburg wurden die rätselhaften Strukturen aufwändig analysiert und ihr Geheimnis schließlich gelüftet.
Verursacher der Kügelchen waren Mikroorganismen, die sich von Methan ernährten. „Die röhrenförmigen Strukturen entstanden wahrscheinlich entlang winziger Kanäle, an denen das Gas durch den Schlamm nach oben drang“, so Studienleiter Dr. Zhiyong Lin. Das Methan selbst wurde zuvor von einer anderen Gruppe von Mikroorganismen gebildet. Diese ungewöhnliche Lebensgemeinschaft war der Grund, warum das ohnehin schon warme Klima vor 10 Millionen Jahren nicht noch weiter kippte. Denn Methan zählt zu den stärksten und gefährlichsten Treibhausgasen.
Heute treibt neben Kohlendioxid vor allem das Methan aus Viehzucht und von Reisfeldern den Klimawandel an. Während das Methan in der Atmosphäre zum „Klimakiller“ mutiert, ist es im Meeresschlamm und im Seeboden Nahrung für Mikroorganismen.
„Vor 11 Millionen Jahren verhinderten die Mikroorganismen so Schlimmeres, indem sie das Methan auffraßen“, erläutert Mathias Harzhauser. Das funktioniert aber nur, wenn der Lebensraum völlig sauerstofffrei ist. Was daher für die meisten Organsimen eine lebensfeindliche Todeszone war, erwies sich für diese Gruppe von Mikroorganismen somit als Paradies. Damit war auch klar, warum hier keine anderen Fossilien zu finden waren.
Die Ergebnisse wurden nun im Journal Communications Earth & Environment publiziert:
Lin, Z., Strauss, H., Peckmann, J., Roberts, A.P., Lu, Y., Sun, X., Chen, T., Harzhauser, M. 2023. Seawater sulphate heritage governed early Late Miocene methane consumption in the long-lived Lake Pannon. Communications Earth & Environment, | (2023)4:20.
https://doi.org/10.1038/s43247-023-00879-2
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