Studie evaluiert das humanitäre Aufnahmeprogramm „Neustart im Team“ für besonders schutzbedürftige Geflüchtete
Mit dem humanitären Aufnahmeprogramm „NesT – Neustart im Team“ finden besonders schutzbedürftige Geflüchtete durch staatlich-gesellschaftliche Zusammenarbeit dauerhaft Aufnahme in Deutschland. NesT wurde 2019 als Pilotprojekt von der Bundesregierung initiiert und ist seit Januar 2023 reguläres Aufnahmeprogramm des Bundes. Die Evaluationsstudie des BAMF-Forschungszentrums zeigt: Bisher hat sich eine kleine Zahl der Bürgerinnen und Bürger am NesT-Programm beteiligt, jedoch mit einem hohen Engagement. Die Studie empfiehlt, Teilnahmehürden zu senken, um vielfältige zivilgesellschaftliche Gruppen zu gewinnen und so mehr Geflüchteten einen guten Start in Deutschland zu ermöglichen.
Zwischen 2019 und 2022 hat das Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF-FZ) die Pilotphase des Programms „NesT - Neustart im Team“: Das staatlich-gesellschaftliche Aufnahmeprogramm für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge“ evaluiert. Dazu wurden Interviews mit allen am NesT-Programm beteiligten Stellen sowie mit Geflüchteten und mit sich im Programm engagierenden Ehrenamtlichen geführt. Zudem wurden administrative Programmdaten ausgewertet. Ziel der Studie war es, die praktische Umsetzung des Programms zu untersuchen und so zur zielgerechten Programmentwicklung beizutragen.
Das NesT-Programm ist Teil des deutschen Resettlement-Programms. Im Zuge von Resettlement und NesT kommen Personen nach Deutschland, die aus ihren Herkunftsländern geflohen sind und sich in sogenannten Erstzufluchtsstaaten aufhalten. Die Betroffenen haben in dem Land ihrer Zuflucht weder die Perspektive auf Integration noch auf eine Rückkehr in ihr Herkunftsland. Speziell mit dem NesT-Programm werden nur dann besonders schutzbedürftige, zuvor vom UNHCR vorgeschlagene Geflüchtete aufgenommen, wenn zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure – die sogenannten Mentoring-Gruppen – sie finanziell und ideell in Deutschland unterstützen. Sie stellen den Geflüchteten einen angemessenen Wohnraum zur Verfügung und übernehmen für zwölf Monate die Nettokaltmiete. Zudem erklären sie sich bereit, die aufgenommenen Personen mindestens ein Jahr mit Rat und Tat zu unterstützen. Eine eigens für das NesT-Programm eingerichtete Zivilgesellschaftliche Kontaktstelle (ZKS – bestehend aus Vertretern der Caritas, des Deutschen Roten Kreuzes und der Evangelischen Kirche von Westfalen) ist Ansprechpartnerin für Interessierte und entstandene Mentoring-Gruppen.
Perspektiven der Mentorinnen und Mentoren
Die Ergebnisse der Evaluationsstudie bestätigen eine hohe Bereitschaft der Mentoring-Gruppen, Geflüchteten einen guten Start in Deutschland zu ermöglichen. Die Mehrheit der am NesT-Programm teilnehmenden Mentorinnen und Mentoren haben bereits Erfahrung in der ehrenamtlichen Flüchtlingsbetreuung oder sind hauptamtlich in der Integrationsförderung tätig. In ihrer Unterstützung der Geflüchteten können sie auf ein breites Wissen und Kontakte vor Ort zugreifen. Die Mentorinnen und Mentoren betonen in der Befragung als Motivation für ihr Tun den Einsatz für besonders schutzbedürftige Geflüchtete mit einer langfristigen Bleibeperspektive, Werte wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit, eine direkte und individuelle Unterstützung mit sichtbaren Ergebnissen und benennen als Vorteil das Engagement in einer Gruppe.
Perspektiven der Geflüchteten
Für Geflüchtete ist die Teilnahme am NesT-Programm freiwillig – und attraktiv, da sie direkt nach der Ankunft in Deutschland eine eigene Wohnung beziehen können. Sie geben in den Interviews an, dass sie neben der Bereitstellung von Wohnraum insbesondere die schnelle Orientierung am Ankunftsort sowie die sofortigen Kontakte zur lokalen Bevölkerung schätzen. Ein großer Vorteil sei es zudem, dass die Mentorinnen und Mentoren beispielsweise bei Behördengängen, bei ersten Arztbesuchen, beim Zugang zu Integrationskursen oder beim Spracherwerb helfen.
„Die Geflüchteten haben oft viele Jahre unter schwierigen Bedingungen in Flüchtlingslagern oder in prekären Wohnverhältnissen im Erstzufluchtsstaat gelebt. Die Gastfreundschaft vonseiten der Mentorinnen und Mentoren sowie der Bezug einer eigenen Wohnung signalisieren für sie ein „Ankommen“ und einen Neuanfang in Deutschland“, weiß Florian Tissot, wissenschaftlicher Mitarbeiter im BAMF-FZ und einer der Studienautoren.
Herausfordernde Voraussetzungen
Die Teilnahme am Programm ist für ehrenamtlich tätige Personen gleichwohl anspruchsvoll und birgt viele Voraussetzungen, etwa die Bereitstellung einer Wohnung angesichts angespannter Wohnungsmärkte, eine relativ hohe finanzielle Beteiligung in Form der Nettomietzahlung für das erste Jahr und ein umfangreiches und langfristiges soziales Engagement. Die Evaluation verdeutlicht hier vor allem zwei Konsequenzen:
1. Da die finanziellen Anforderungen relativ hoch sind, können sich nur Personen im Programm engagieren, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen oder von institutionellen Akteuren wie etwa von Kirchengemeinden unterstützt werden. Zudem engagieren sich vorwiegend Bürgerinnen und Bürger, die ausreichend Zeit haben, um sich umfassend und langfristig für Geflüchtete einzusetzen. Häufig sind dies Menschen im Ruhestand. So liegt das Durchschnittsalter der Helfenden bei 59,5 Jahren. Meist sind die Mentorinnen und Mentoren deutsche Staatsangehörige.
2. Aufgrund der hohen Teilnahmehürden wird über das Programm eine verhältnismäßig kleine Zahl Geflüchteter aufgenommen. Im Evaluationszeitraum 2019 bis 2021 haben sich 149 engagierte Personen zu 27 Mentoring-Gruppen zusammengetan und die Aufnahme von 118 Geflüchteten ermöglicht. Im Jahr 2022 haben vier weitere Mentoring-Gruppen 21 Geflüchtete aufgenommen.
Ziel von NesT ist es, durch zivilgesellschaftliche Unterstützung zusätzliche Aufnahmeplätze für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen und die grundsätzliche Bereitschaft zur Aufnahme Schutzsuchender in der Gesellschaft zu erhöhen. Um künftig wie angestrebt etwa 200 Geflüchteten pro Jahr über das NesT-Programm eine dauerhafte Bleibeperspektive in Deutschland zu ermöglichen, gilt es die Teilnahmehürden für die Mentoring-Gruppen zu senken, lautet eine Empfehlung aus der Studie. Erste Schritte in diese Richtung fanden bereits im Zuge der Verstetigung des Programms zum 1. Januar 2023 statt: So wurde beispielsweise die Dauer der Finanzierung der Nettokaltmiete als Hauptbestandteil der finanziellen Unterstützung durch die Mentoring-Gruppe von 24 auf 12 Monate reduziert. Weiterhin empfiehlt die Evaluation, neue Wege bei der Anwerbung ehrenamtlich engagierter Mentorinnen und Mentoren zu gehen und die behördliche Kommunikation mit den engagierten Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu verbessern, so dass sie dem NesT-Programm verbunden bleiben und sich wiederholt für die Aufnahme Geflüchteter einsetzen.
„Die Ergebnisse der Evaluation machen den Mehrwert des Programms für Geflüchtete und die Mentoring-Gruppen deutlich. Sie zeigen aber auch das Verbesserungspotenzial, um die ehrenamtliche Arbeit der Mentoring-Gruppen sowie die Beziehung zwischen Geflüchteten, Mentorinnen und Mentoren besser zu unterstützen. Die Mentoring-Gruppen sind in den ersten Monaten nach der Ankunft in Deutschland die wichtigsten und zum Teil einzigen Ansprechpersonen für Geflüchtete. Aus dieser engen Beziehung entsteht oft ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, dass von allen Programmteilnehmenden eine hohe Wertschätzung erfährt. Die Wichtigkeit dieser ideellen Unterstützung sollte im Zuge der dauerhaften, erfolgreichen Etablierung des Programms nicht unterschätzt werden“, betont Dr. Axel Kreienbrink, Leiter des BAMF-Forschungszentrums.
Die Evaluationsstudie „Das Aufnahmeprogramm "Neustart im Team": Studie zur Programmumsetzung" finden Sie hier: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb44-evaluation-nest.html?nn=282388
Weitere Informationen:
Das NesT-Programm wird gemeinsam verantwortet vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI), der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (IntB) und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die operative Durchführung des Programmes erfolgt durch das BAMF (Auswahl der Flüchtlinge, Prüfung der Anträge der Mentorinnen und Mentoren sowie das Matching der Mentoring-Gruppen mit den Flüchtlingen).
Im verstetigten Programm ist vorgesehen, pro Jahr bis zu 200 Geflüchtete zusätzlich zum regulären Resettlement-Engagement des Bundes aus Ländern wie Ägypten, Libanon, Kenia, Libyen und Jordanien aufzunehmen, die dann durch Mentoring-Gruppen unterstützt werden.
Weiterführendes zum Programm NesT finden Sie auch auf der Webseite des BAMF:
https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/ResettlementRelocation/Resettlement/resettlement-node.html
Ansprechpartner für Medienanfragen:
Jochen Hövekenmeier
Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 17799
E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de
Über das BAMF-Forschungszentrum:
Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Weitere Informationen unter: https://www.bamf.de/DE/Themen/Forschung/forschung-node.html
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Florian Tissot
Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
Telefon: +49 911 943 24656
E-Mail: dr.florian.tissot@bamf.bund.de
Originalpublikation:
Zitation: Tissot, F., Dumann, N. & Bitterwolf, M. (2023). Das Aufnahmeprogramm "Neustart im Team": Studie zur Programmumsetzung. (Forschungsbericht 44). Forschungszentrum Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. https://doi.org/10.48570/bamf.fz.fb.44.d.2023.nest.1.0