Arbeitsmarktforscherin Allmendinger: “Wir sollten wegkommen vom fixen Renteneintrittsalter”
Wer sollte wie lange arbeiten? In einer Expertenrunde zum Thema Fachkräftemangel sprach sich die Soziologin Jutta Allmendinger dafür aus, nach Berufsgruppen zu unterscheiden. Zudem kritisierte sie, Deutschland investiere nicht genug in Umschulung. Die Diskussion fand auf Initiative des "FutuRes Policy Lab" statt, welches den Austausch zwischen Politik und Wissenschaft in Europa fördert. Teil der Runde war auch die EU-Abgeordnete und Expertin für Digitales Beatrice Covassi.
Berlin. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Jutta Allmendinger, fordert einen Umbau des Arbeitsmarktes hin zu mehr Weiterbildung und Flexibilität. Nur so könnten alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zur Regelaltersgrenze ohne Verluste für das Alterseinkommen arbeiten, erklärte die Soziologin. In einer Diskussion mit der EU-Parlamentarierin Beatrice Covassi am Dienstag über den Fachkräftemangel sprach sich Allmendinger dafür aus, nach Berufsgruppen zu unterscheiden.
„Menschen, die schwere körperliche Arbeit verrichten, können dies nur selten bis zum 67. Lebensjahr tun“, sagte Allmendinger. „Professoren, Richterinnen und andere hochgebildete Gruppen hingegen können und wünschen sich oft, über die offizielle Altersgrenze hinaus zu arbeiten. Dies birgt die Gefahr von noch größerer Ungleichheit im Alterseinkommen.“
In diesem Zusammenhang kritisierte Allmendinger zudem, Deutschland investiere nicht genug in Umschulung. „Die Notwendigkeit, im Laufe des Lebens den Beruf zu wechseln, nimmt zu. In Deutschland herrscht aber noch immer die Vorstellung, dass eine einzige Ausbildung ein Leben lang halten solle. Für viele Menschen gilt das aber längst nicht mehr. Empirisch sieht man, dass überwiegend gut ausgebildete Personen Weiterbildung angeboten bekommen und in Anspruch nehmen. Das muss für alle gelten.“
Die EU-Abgeordnete Beatrice Covassi sprach mit Dringlichkeit von den Herausforderungen der alternden Gesellschaft. „Europa wird älter. Diese Realität haben wir schon viel zu lange ignoriert.“ Die italienische EU-Politikerin warnte davor, nur über das Rentenalter zu diskutieren. „Die Ausschreitungen in Frankreich zeigen, dass das nicht die einzige Lösung sein kann – vielleicht nicht einmal die beste.“ Stattdessen müssten Möglichkeiten ausgelotet werden, Arbeit verträglicher zu gestalten, sagte Covassi, etwa durch weniger Arbeitsstunden und Flexibilisierung. Als Expertin für Digitalisierung sprach sich Covassi zudem für eine deutliche Verbesserung der digitalen Infrastruktur aus.
Die Online-Expertenrunde wurde ausgerichtet vom EU-geförderten „FutuRes Policy Lab“ unter dem Titel „Work Better to Work Longer?“. Neben Covassi und Allmendinger diskutierten Massimiliano Mascherini, Leiter der Abteilung Sozialpolitik bei der Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound), Arnstein Aassve, Experte für Krisenresilienz an der Bocconi-Universität in Mailand und FutuRes-Forschungskoordinator, sowie Ulrich Becker, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik. Das „FutuRes Policy Lab“ ist eine Plattform für den Austausch zwischen Forschung und Politik in Europa. Es gehört zum Forschungsprojekt „FutuRes – Towards a Resilient Future of Europe“, welches politische Strategien zur Förderung gesellschaftlicher Resilienz untersucht.
Vor dem Hintergrund multipler Krisen bringt das „FutuRes Policy Lab“ regelmäßig Expertinnen und Experten aus Forschung, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. So können Lösungsideen für eine resilienzfördernde Politik entwickelt und in die Forschung eingespeist werden. Alle Diskussionen stützen sich auf Forschungsergebnisse, Erfahrungen aus der Praxis und die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger.
Vor diesem Hintergrund diskutierte das FutuRes Policy Lab, ob "Wie lange sollen wir arbeiten?" überhaupt die richtige Frage ist. Und ob sie stattdessen lauten sollte: "Wie können wir besser arbeiten?"
Das FutuRes Policy Lab ist eine Veranstaltungsreihe, in der sich Folgen Sie FutuRes für regelmäßige Nachrichten und Veranstaltungen: https://www.twitter.com/futu_res
Über das Forschungsprojekt „FutuRes“: https://futu-res.eu/project
Für Rückfragen kontaktieren Sie bitte Peter Weissenburger, Population Europe: weissenburger@demogr.mpg.de
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