Keine Cannabis-Legalisierung ohne Prävention und Forschung
Ob Tabak, Alkohol oder Cannabis – die drogenpolitische Agenda der Bundesregierung sieht neue Regulierungsmaßnahmen für unterschiedliche Suchtmittel vor. Aber welche Folgen haben welche Maßnahmen für den Konsum? Und wie wirkt sich das auf die psychiatrische Versorgung aus? Beim DGPPN-Hauptstadtsymposium am 04.07.2023 diskutierten Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Suchtmedizin und Psychiatrie über die Folgen der neuen Drogenpolitik und insbesondere der Legalisierung von Cannabis für die Psychiatrie.
„Die Entkriminalisierung von Cannabis wird zu vermehrtem Konsum führen und damit auch zu mehr konsuminduzierten Problemen, insbesondere bei jungen Menschen.“ So fasste Andreas Meyer-Lindenberg, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. zu Beginn des Symposiums „Recht auf Rausch und Schutz vor Sucht“ die größte Sorge der psychiatrischen Zunft zusammen. Er kritisiert: „Die bislang vorgelegten Pläne beinhalten keine überzeugenden Präventionsmaßnahmen. Aber gerade in dieser Situation muss die Prävention erheblich intensiviert und natürlich nachhaltig finanziert werden.“
Zu Beginn des Hauptstadtsymposiums wurde nach Kanada geblickt. Dort sind seit der Legalisierung von Cannabis sowohl der Gebrauch als auch der riskante Gebrauch angestiegen. Auch im Bereich der Alkoholregulierung hat Liberalisierung den Konsum deutlich verstärkt. Allerdings weiß die Forschung noch zu wenig darüber, wie genau sich unterschiedliche Regulierungsmaßnahmen auf den Konsum von Suchtmitteln auswirken. Bessere Daten sind hier dringend notwendig.
Dass die Volksdrogen Tabak und Alkohol, ebenso wie Cannabis, alles andere als harmlos sind, wurde im zweiten Teil der Veranstaltung deutlich. 8,5 Millionen Personen in Deutschland sind von Tabak abhängig, 1,9 Millionen von Alkohol. Etwa 10 % der regelmäßigen Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten entwickeln eine cannabisbezogene psychische Störung. Besonders problematisch ist der regelmäßige Konsum im jungen Alter, bis zum 25. Lebensjahr, bevor die Hirnentwicklung abgeschlossen ist. Hier sind deutliche kognitive Beeinträchtigungen zu erwarten, und – und das macht Suchtmedizinern besondere Sorgen – es ist davon auszugehen, dass vermehrter Cannabiskonsum auch dazu führen wird, dass mehr und jüngere Betroffene an einer Psychose erkranken. Aus Sicht der Psychiatrie sind präventive Programme deshalb unbedingte Voraussetzung für eine gelingende Entkriminalisierung. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) Andreas Meyer-Lindenberg betonte: „Drogenpolitik muss die Auswirkungen auf die Bevölkerung berücksichtigen. Wenn der Anteil der suchtkranken Menschen ansteigt, müssen entsprechende Behandlungsmöglichkeiten geschaffen werden. Zudem muss ein besonderer Fokus auf präventive Angebote gelegt werden, insbesondere für junge Erwachsene, für Menschen mit psychischen Erkrankungen, vorbestehenden Suchterkrankungen oder familiären Risiken für psychische Störungen. Auch brauchen wir dringend schulische Präventionsprogramme.“
Anschließend präsentierte der Drogenbeauftragte der Bundesregierung die neue Drogenpolitik der Ampelkoalition. „Unsere Suchtpolitik muss differenzierter werden: Klare Grenzen für Werbung, konsequenterer Jugendschutz bei Alkohol und Tabak, eine vernünftige Regulierung von Cannabis und mehr Hilfe für Betroffene und ihre Angehörigen“, so Burkhard Blienert. „Wir haben den Weg bereitet für eine neue Drogenpolitik, weg von Strafe und Stigma, hin zu mehr Hilfe und mehr eigener Risikokompetenz.“
Während die Regierung also die Selbstverantwortlichkeit der Konsumierenden in den Vordergrund stellt, betonte der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e. V. (DG-Sucht) Falk Kiefer bei der folgenden Diskussion mit Politikerinnen, Suchtmedizinern, Psychiatern, Vertretern der Selbsthilfe sowie dem Publikum: „Politik organisiert die gesellschaftlichen Grundlagen, auf deren Basis Suchtmittel konsumiert werden; insbesondere beeinflusst sie deren Verfügbarkeit und Akzeptanz und damit die sozialen und gesundheitlichen Folgen. Die Politik muss diese Verantwortung anerkennen. Drogenpolitik sollte evidenzbasiert sein und ausgehend von wissenschaftlicher Expertise rationale Entscheidungen treffen.“
Diana Stöcker, Mitglied im Gesundheitsausschuss und Psychiatrieberichterstatterin der Unionsfraktion forderte eine ganzheitlichere suchtmedizinische und -therapeutische Versorgung von suchtkranken Menschen: „Medikamentöse Substitutionstherapie, Psychotherapie, soziale Unterstützung und Rehabilitationsmaßnahmen müssen ineinandergreifen. Die Hilfsangebote vor Ort müssen besser und vor allem lückenloser werden. Dafür ist ein gemeinsamer Kraftakt von Bund, Ländern, Kommunen, Suchthilfe, Krankenkassen und Ärzten nötig.“
Als wesentliche Bedingung für eine Deregulierung forderte abschließend DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg: „Jede Änderung der Drogenpolitik muss durch Forschung begleitet werden. Nur mit Hilfe gut gemachter Studien können wir herausfinden, welche Folgen verschiedene Regulierungsmaßnamen für die Gesundheit der Bevölkerung haben.“
Der Gesetzesentwurf zur Cannabis-Legalisierung wird nach der Sommerpause erwartet. Die DGPPN wird sich weiter dafür einsetzen, den Prozess eng medizinisch-wissenschaftlich zu beraten und zu begleiten, so dass Gesundheitsrisiken minimiert werden und eine Zunahme des Cannabiskonsums verhindert werden kann. Zwingend geboten sind neben Prävention und Begleitforschung die Sicherstellung des Jugendschutzes sowie eine Ausweitung von Maßnahmen zur Früherkennung und Frühintervention bei psychischen Erkrankungen.
Auf dem DGPPN-Hauptstadtsymposium werden jedes Jahr aktuelle gesundheitspolitische Themen in den Fokus genommen. Vertreterinnen und Vertreter aus Psychiatrie, Politik und Öffentlichkeit tragen neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen und diskutieren sie bezüglich ihrer Auswirkungen für die psychiatrische Versorgung und die Gesundheit der Bevölkerung. Dieses Jahr befasste man sich in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e. V. (DG-Sucht) mit den Themen Drogenpolitik und Suchtmedizin. Die Aufzeichnung der Veranstaltung wird auf dgppn.de zur Verfügung gestellt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Andreas Meyer-Lindenberg (praesident@dgppn.de)
Falk Kiefer (Falk.Kiefer@zi-mannheim.de)
Weitere Informationen:
https://www.dgppn.de/schwerpunkte/aktuelle-positionen-1/aktuelle-positionen-2022/positionspapier-cannabislegalisierung.html DGPPN-Positionspapier zur Cannabis-Legalisierung
https://www.dgppn.de/Veranstaltungen/hauptstadtsymposien/hauptstadtsymposium.html Programm des Hauptstadtsymposiums