Opferstätte und astronomisches Observatorium. Neue Erkenntnisse zur mittelneolithischen Kreisgrabenanlage von Goseck
Aus dem zentral- und osteuropäischen Mittelneolithikum (erste Hälfte des 5. Jt. v. Chr.) sind etwa 150 sogenannte Kreisgrabenanlagen bekannt. Nur wenige davon sind umfassend und systematisch archäologisch untersucht worden. Intensiv diskutiert wird die Funktion dieser Großbauten. Die mittelneolithische Kreisgrabenanlage (Stichbandkeramik-Kultur, ca. 4900 bis 4600/4550 v.Chr.) von Goseck wurde im Rahmen einer Kooperation des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) vollständig ausgegraben und nun umfassend publiziert. Sie bietet zahlreiche Ansatzpunkte für eine sakrale und astronomische Interpretation.
Aus dem zentral- und osteuropäischen Mittelneolithikum (erste Hälfte des 5. Jt. v. Chr.) sind etwa 150 sogenannte Kreisgrabenanlagen bekannt. Es handelt sich um kreisförmige oder elliptische, in etwa konzentrische Arrangements aus Gräben und Palisaden mit einem Durchmesser zwischen 40 und bis zu 250 m. Nur wenige davon sind umfassend und systematisch archäologisch untersucht worden. Intensiv diskutiert wird die Funktion dieser Großbauten. Deutungen wie Zentralplätze für Versammlungen, Viehgehege, Verteidigungsbauten, astronomische Observatorien oder Räume für kultische Handlungen stehen im Raum. Mit der Publikation der Untersuchungen in der komplett ausgegrabenen Kreisgrabenanlage von Goseck im Burgenlandkreis, Sachsen-Anhalt, werden nun durch Dr. Norma Henkel (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt) neue Erkenntnisse zu dieser noch enigmatischen Befundgruppe vorgelegt.
Die mittelneolithische Kreisgrabenanlage (Stichbandkeramik-Kultur, ca. 4900 bis 4600/4550 v.Chr.) von Goseck wurde bereits 1991 durch Otto Braasch bei luftbildarchäologischen Untersuchungen entdeckt. Zwischen 2002-2004 konnte sie im Rahmen einer Kooperation des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) vollständig ausgegraben werden. Die spektakulären Ergebnisse der Ausgrabungen führten zu dem Entschluss, die Anlage vor Ort komplett zu restaurieren – seit 2005 ist sie für die Öffentlichkeit frei zugänglich. 2005-2013 folgte ein groß angelegtes Projekt unter Leitung von Prof. Dr. François Bertemes (MLU), das die Kreisgrabenanlage in ihrer siedlungsarchäologischen Einbettung umfassend erschloss.
Die Kreisgrabenanlage von Goseck gehört zu den einfachen Anlagen mit Graben, möglicherweise vorgelagertem Wall und zwei konzentrischen Palisadenkränzen, die den Innenraum der Anlage abgrenzen. Graben und Palisaden besaßen drei Eingänge: im Norden, Südosten und Südwesten. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Anlage fanden sich zahlreiche Gruben, die meist Tierknochen und Keramik enthielten. Zahlreiche Befunde weisen auf eine sakrale Funktion des Bauwerks hin.
Im Bereich des Kreisgrabens traten in auffällig hoher Funddichte Fragmente von Rinderschädeln und etwa 30 Hornzapfen von Rindern zutage. Auch sind Rinder die mit Abstand am häufigsten vertretene Gattung im Tierknocheninventar der Kreisgrabenanlage. Die besondere Bedeutung und mystische Überhöhung von Rindern in der Jungsteinzeit lässt sich in vielen neolithischen Kulturen, insbesondere auch an zahlreichen Kreisgrabenanlagen, fassen.
Im südöstlichen Bereich schneidet die äußere Palisade eine etwa 1,6 x 1,3 m große Grube. Der Grubenbefund ist aus mehreren Gründen ungewöhnlich. Die Grubenwände waren stark durchgeglüht. Gruben mit Spuren von Feuereinwirkung finden sich in Goseck an verschiedenen Stellen der Kreisgrabenanlage. Neben den Brandspuren enthielt diese Grube menschliche Knochen eines erwachsenen Individuums. Es fanden sich ausschließlich Teile menschlicher Extremitäten. Knochen vom Rumpf oder der Schädel fehlten. Da die Knochen nicht mehr im anatomischen Verband lagen, ist von einer Deponierung im bereits teilskelettierten Zustand auszugehen. Ein weiterer Grubenbefund enthielt fünf Finger- und Mittelhandknochen einer menschlichen rechten Hand. Die Knochen wurden im anatomischen Verband niedergelegt und gehörten einem juvenilen/erwachsenen Mann.
Neben diesen Befunden verweisen auch astronomische Bezüge auf eine sakrale Funktion der Kreisgrabenanlage. Von einem Standort etwa im Zentrum des Bauwerks aus ließen sich die Sonnenauf- und -untergänge wichtiger astronomischer Ereignisse auf wenige Tage genau vorherbestimmen und beobachten. Die bedeutendsten Visurlinien verlaufen durch die beiden Durchlässe im Südosten und Südwesten. Nur hier spiegeln sich die Öffnungen der Palisaden auch im Kreisgraben wider. Sie korrespondieren mit den Auf- und Untergangspunkten der Sonne zur Wintersonnenwende (21. Dezember). Weitere Durchlässe in den Palisaden stimmen mit der Sommersonnenwende (21. Juni) und Beltaine (30. April) überein.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Norma Henkel
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
– Landesmuseum für Vorgeschichte –
Richard-Wagner-Straße 9
06114 Halle (Saale)
NHenkel@lda.stk.sachsen-anhalt.de
Originalpublikation:
Norma Henkel, Die mittelneolithische Kreisgrabenanlage von Goseck, Burgenlandkreis. Veröffentlichungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt – Landesmuseum für Vorgeschichte Band 88. Halle an der Saale 2023. ISBN 978-3-948618-40-7.
Weitere Informationen:
https://www.emuseum-himmelswege.de/ Das e-Museum Himmelswege bietet weiterführende Information zur Kreisgrabenanlage von Goseck