Neue Architekturschule im alten Druckhaus
Das alte Druckhaus der Siegener Zeitung soll zum neuen Zuhause für das Fach Architektur der Universität Siegen werden. Wie sich der Bestandsbau verändern kann und damit auch die Art des Lehrens und Lernens, daran arbeiteten Studierende und sechs namhafte Architekturbüros bei einer Summer School direkt vor Ort.
Auf den ersten Blick ist es ein graues Flachdach-Gebäude. Vorne Parkplatz, hinten ein Fluss. Die Weiß plätschert versteckt und von der Straße aus, dem Häutebachweg mitten in Siegen, nicht einsehbar. Aus diesem Gebäude, dem alten Druckhaus der Siegener Zeitung, soll die neue Architekturschule Siegen werden. Mit dem Umzug weiterer Fakultäten der Universität Siegen in die Innenstadt im Rahmen von „Siegen. Wissen verbindet“ kann die Architektur in dem Gebäude aus den 70er Jahren ihr neues Zuhause finden. Es ist die Chance für ein bundesweit einzigartiges Architekturprojekt, dessen Auftakt eine Summer School des Departments Architektur war. Eine Woche lang arbeiteten Studierende, Lehrende und erfahrene Architekt*innen an Konzepten zum Um- und Ausbau des Druckhauses. Es soll eine innovative Architektur entstehen, die Modellcharakter für neue Formen des universitären Zusammenlebens, aber auch für den Umgang mit Bestandsbauten hat.
„Studierende können so ein Haus für Generationen von künftigen Architekturstudierenden selbst skizzieren und die Kultur des Lehrens und Lernens neu zu definieren“, sagt Prof. Dr. Thorsten Erl. Der Professor für Architektur und Städtebau hat gemeinsam mit Prof. Dr. Bert Bielefeld (Baumanagement und Bauökonomie), Prof. Tobias Hönig (Gebäudelehre), Prof. Dr. Tobias Becker (Gestaltung und Gestaltungstheorie) und vielen engagierten Mitarbeiter*innen aus dem Department das Konzept der neuen Architekturschule Siegen erarbeitet und die Summer School organisiert. Als Leitbild wählten sie die „3R“: Reset, Reshape, Reuse. Also kein Abriss und Neubau, sondern das Einbeziehen, Umgestalten und Wiederverwenden von bestehenden Gebäuden. Die Gestaltung des Druckhauses sei eine Art Lehrstück fürs Bauen im Bestand und die Summer School ein einzigartiges Experimentierfeld, so Prof. Erl.
Kanzler Ulf Richter und Rektor Prof. Dr. Holger Burckhart zeigten sich bei Besuchen vor Ort beeindruckt von den Konzepten und den Perspektiven, die sich daraus für die Universität ergeben. „Das Projekt zeigt, wohin sich unsere Universität Siegen bewegt, nämlich vom Berg in die Stadt“, sagte Rektor Burckhart. „Und es zeigt auch, wie jung und innovativ unsere Uni ist.“
„Dass die Studierenden in dem Gebäude arbeiten und überlegen können, was man mit dem Vorhandenen machen und weiterentwickeln kann, das ist außergewöhnlich“, betonte Kanzler Richter.
An der Summer School beteiligten sich sechs Architekturbüros, ausgewählt aus 30 Bewerbungen: ADEPT (Kopenhagen), AgwA (Brüssel), Assemble (London), FAKT+Düsing (Berlin), ZRS coopdisco (Berlin) und Hütten und Paläste (Berlin). Es sind „angesagte“ Büros mit Schwerpunkten in den Bereichen Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung und zirkulierendes Bauen. Entsprechend viele Studierende, nicht nur von der Uni Siegen, sondern von Universitäten aus ganz Deutschland und Österreich, wollten bei der Summer School dabei sein. Rund 80 Menschen erarbeiteten schließlich sechs Konzepte. Sie beschäftigten sich sowohl mit dem Gebäude, den Materialien, der Einbettung ins Stadtgebiet und der Vernetzung mit den anderen Uni-Standorten.
Die Herangehensweise war vielfältig. Man versuchte sich dem Gebäude, in dem früher die Rotationsmaschinen ratterten und wo immer noch Teile der alten Krananlage für die tonnenschweren Papierrollen zu sehen sind, mit allen Sinnen zu nähern, ging auf Entdeckungsreise in der Umgebung, sammelte Materialien. Es wurde gezeichnet, Modell gebaut und collagiert. Viel Handarbeit, weniger Digitalisiertes. Davon konnten sich die vielen Besucher*innen bei den öffentlichen Werkvorträgen während und der Präsentation am Ende der Summer School überzeugen. Auch Menschen aus der Nachbarschaft waren gekommen.
Die Summer School, war der Auftakt für eine Beauftragung innerhalb eines besonderen Planungsverfahrens. In den kommenden Wochen wählt eine Jury drei Entwürfe aus und beauftragt die Büros, die Konzepte zu vertiefen und einen Hochbauentwurf auszuarbeiten. Im Frühjahr kommenden Jahres wird der Preis für die beste Arbeit verliehen. Das ist der Beginn des eigentlichen Planungsprozesses.
Die sechs Architekturbüros und ihre Konzepte:
ADEPT, Architekturbüro, Kopenhagen
Die Studierenden entwarfen mit den Architekt*innen des Architekturbüros ADEPT (Kopenhagen) eine Vielzahl von möglichen städtebaulichen Varianten für die Entwicklung des alten Druckhauses. Die Modelle konnten, je nach Gefallen, in der Umgebung ausprobiert und eingepasst werden. Die Gruppe stellte das Konzept unter das Motto „Re-lokalisieren, Re-agieren, Re-form“.
AgwA, Architekturbüro Brüssel
Vom Großen zum Kleinen entwickeln sich die detaillierten Zeichnungen der Studierenden, die sie mit den Architekt*innen des Architekturbüros AgwA (Brüssel) entwarfen. Der Blick richtet sich zu Beginn auf die Uni-Gebäude in der Stadt, zeigt die Verbindungen auf und konzentriert sich dann auf das alte Druckhaus.
Assemble, Architektengruppe London
Offenheit steht im Mittelpunkt der Ideen der Studierenden, die mit der Architektengruppe Assemble aus London zusammenarbeiteten. In einer Art Performance führten sie die interessierten Besucher*innen bei der Präsentation durch und um das alte Druckhaus, um unter anderem auf die geradezu idyllische Verbindung zum Fluss Weiß aufmerksam zu machen. Die Architekturschule soll Offenheit symbolisieren: inhaltlich und räumlich.
Hütten und Paläste Architekten, Berlin
Gemeinschaft ist die Basis des Entwurfs, den die Studierenden mit den Berliner Architekten von Hütten und Palästen unter anderen in einer Collage umsetzten. Vielleicht sind es gar nicht mehr Hörsäle und Büros, die man in Zukunft braucht. Und könnte sich das Studium nicht eher an Themen als an Fächern orientieren? Was soll bleiben? Was fehlt? Daran arbeiteten die Studierenden sowohl mit Blick auf das Gebäude als auch auf das Konzept der neuen Architekturschule.
FAKT+Düsing, Berlin
Ob die Räume der neuen Architekturschule funktionsübergreifend gestaltet werden können und was das energetisch und klimatechnisch bedeutet, daran arbeiteten unter anderem die Studierenden zusammen mit den Architekt*innen der Büros FAKT+Düsing aus Berlin. Sie nahmen die Umgebung des Druckhauses genau in den Blick und untersuchten die Materialien des Bestandsgebäudes, wie z.B. die Waschbetonfassade.
ZRS + coopdisco, Berlin
Ein Stufenmodell mit fünf prozessualen Entwicklungsebenen entwarfen die Studierenden mit den Architekt*innen der Berliner Büros ZRS und coopdisco. Der Aufbau der neuen Architekturschule schraubt sich von Ebene zu Ebene, beginnend mit der jetzigen Ideenfindung (Ebene 1) bis hin zum Umzug (Ebene 4) und weiteren inhaltlichen und baulichen Entwicklungen bis zur Ebene 5. Dazu bauten die Studierenden Holzmodelle.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
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Universität Siegen
Prof. Dr. Thorsten Erl
Architekt, Stadtplaner und Stadtforscher
erl@architektur.uni-siegen.de