„Wissenschaft und Politik brauchen Mut neue Wege zu gehen“
Interview mit Prof. Martin Stratmann, bis Juni 2023 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, und jetzt zurück am Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung
17 Jahre war Prof. Martin Stratmann als Vizepräsident und Präsident der Max-Planck-Gesellschaft tätig, der erfolgreichsten Forschungsorganisation Deutschlands. Im Juli kehrte er zurück an das Düsseldorfer Max-Planck-Institut für Eisenforschung, wo er vor seiner Präsidentschaft Direktor war und jetzt eine Emeritus-Gruppe führt. Im Gespräch erklärt er, welche Gemeinsamkeiten Wissenschaft und Politik haben, was Deutschland als Forschungsstandort braucht und welche Fähigkeiten Nobelpreisträger*innen erfolgreich machen.
Sie waren 17 Jahre in der Wissenschaftspolitik. Welche Gemeinsamkeit haben Wissenschaft und Wissenschaftspolitik?
Heute ist Wissenschaft der Motor für industriellen Fortschritt. Wenn man heute eine zukunftsgerichtete Industriepolitik betreibt, dann betreibt man auch Wissenschaftspolitik. Beides, industrielle Innovationen und wissenschaftliche Erkenntnisse, werden von Menschen gemacht.
Wissenschaft ist in diesem Sinne nicht abstrakt, sondern tief in der menschlichen Natur verankert. Es muss uns daher gelingen, die besten Köpfe nach Deutschland zu holen, an ein Institut oder an einen Campus, um so Zukunft zu gestalten. Somit heißt Wissenschaftspolitik, Voraussetzungen zu schaffen, um Top-Talente nach Deutschland zu bekommen und auch hier heimisch werden zu lassen. Man muss in Zukunft investieren. Und das heißt, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die besten Köpfe sich freuen, in Deutschland arbeiten zu können.
Welche Fähigkeit brauchen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen um erfolgreich zu sein?
Mut zum Risiko. Für Wissenschaftler ist das Arbeitsalltag, denn da geht man bewusst Risiken ein, in dem man sich mit neuen Themen befasst und nicht wirklich weiß, ob sie zum Erfolg führen. Für Wissenschaftspolitiker gilt aber genau das Gleiche. Man muss in Zukunftsprojekte investieren und weiß nie , ob diese Gebiete wirklich den Ertrag abwerfen, den man erhofft hat.
Ein Beispiel ist die Entwicklung des Tübinger Campus für Künstliche Intelligenz, die wir in der Max-Planck-Gesellschaft vor 15 Jahren begonnen haben. Damals war das kein Modethema und es war nicht absehbar, dass künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen einen derartigen auch wissenschaftlichen Durchbruch erfahren würden. Man muss risikobereit sein, man muss bereit sein, auch alte Zöpfe abzuschneiden. Das muss man der Wissenschaft und der Wissenschaftspolitik. Man kann nicht immer nur Altes beibehalten und Neues oben draufsetzen. Um eine kluge Erfolgsprognose zu haben, investiert man in der Wissenschaft und in der Wissenschaftspolitik in kluge Köpfe.
Als Wissenschaftler*in investiert man in hervorragende Doktoranden, Postdoktoranden und technische Mitarbeiter*innen. Das sind die Menschen, die letztlich Wissenschaft ermöglichen. Und je besser man sie aussucht, umso wahrscheinlicher ist es, dass man erfolgreich sein wird. Das gleiche gilt für die Wissenschaftspolitik: auch hier investiert man in Köpfe, z.B. in die Führungskräfte von Max-Planck-Instituten. Am Ende hängt in beiden Fällen der Erfolg von den Menschen ab, mit denen man zusammenarbeitet.
Welchen Rat würden Sie jungen Menschen mitgeben, die in die Wissenschaft wollen oder die in der Wissenschaft erfolgreich sein wollen?
Das zu machen, was einen fasziniert, wo man das Gefühl hat, man betritt Neuland. Nicht dem nachzulaufen, was einem von außen vorgesetzt wird. Ein junger Wissenschaftler, der letztlich immer das macht, was der Chef ihm sagt, wird auf die Dauer nicht erfolgreich sein. Erfolg hat man dann, wenn man neue Wege einschlägt. Vielleicht auch Wege, bei denen die Vorgesetzten der Meinung sind, das kann nichts bringen. Also ein gewisser Widerstandsgeist und Innovationsfähigkeit müssen da sein. Eine Begeisterung für Wissenschaft und Durchhaltevermögen. Alle Nobelpreisträgerinnen und -träger, die ich kenne, haben so angefangen. Sie haben verrückte Ideen gehabt, an die keiner geglaubt hat.
Zum Beispiel Svante Pääbo, Nobelpreisträger in Medizin 2022, wollte die DNA eines Neandertalers sequenzieren. Da haben alle gesagt: „Du bist verrückt, das kriegst du nicht hin. Das ist kontaminiert mit so viel anderer DNA. Die alte DNA ist auch chemisch degeneriert. Das schaffst du nicht.“ Er ist mit unheimlicher Ausdauer das Gebiet angegangen, hat Rückschläge einstecken müssen und hat es am Ende geschafft, weil er an sich selbst und an die Fragestellung geglaubt hat. Und natürlich auch die Fähigkeit gehabt hat, schwierige Zeiten durchzustehen.
Und es kommt natürlich heute noch einiges hinzu, das darf man nicht vergessen. Die Zeit, die ich als junger Mensch erlebt habe, indem man Standorte gewechselt hat, Rufe angenommen hat, die Familie zum hin- und herziehen genötigt hat – diese Zeit ist vorbei. Es ist heute sehr viel schwieriger geworden, seinen Lebensmittelpunkt dauernd zu verändern. Da müssen die Rahmenbedingungen schon stimmen: Dual Career ist ein Muss, ebenso wie gute Kinderbetreuung, internationale Schulen etc. Wer heute einen internationalen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin berufen möchte, der muss die ganze Familie berücksichtigen. Auch das ist heute eine Kernaufgabe moderner Forschungspolitik.
Was braucht Deutschland, um an der Spitze von Forschung und Technologie international mithalten zu können?
Man muss zunächst mal nicht alles schlecht reden. Zum Beispiel ist die Max-Planck-Gesellschaft wirklich gut aufgestellt. In meiner Amtszeit gab es sechs Nobelpreise und eine Fields-Medaille. Das ist mehr als die meisten amerikanischen Top-Universitäten aufbieten können. Das heißt, wissenschaftlich sind wir nicht abgehängt. Da können wir auch in hochmodernen Gebieten wie den Quantenwissenschaften mithalten.
Die Schwierigkeit in Deutschland ist, Wissenschaft in Technologie umzusetzen. Da bedarf es neuer Anstrengungen, auch ungewöhnlicher. Die Entwicklung läuft in die Richtung integrierter Forschungscampi, in denen Universitäten und Forschungsinstitute eng zusammenarbeiten, in denen sich moderne Unternehmen niederlassen und die insgesamt eine Eigendynamik entfalten, die viel größer ist als sie sich an einem einzelnen Institut entfalten kann. Ich gehe davon aus, dass auch die Agentur für Sprunginnovationen, die ich einmal vorgeschlagen habe, eine wichtige Rolle dabei spielen wird, Innovationen in Deutschland nach vorne zu bringen. Das heißt, wir sind in der Grundlagenforschung gut aufgestellt und uns fehlt ein bisschen die Dynamik, Erkenntnisse auch in neue Produkte zu überführen. Da tun sich andere Länder leichter.
Ein Hauptproblem liegt in Deutschland auch darin, dass uns in manchen Bereichen industrielle Partner fehlen. Wir sind sehr gut aufgestellt im Bereich der Werkstoffe, im Bereich der Chemie, des Maschinenbaus, der Kraftfahrzeug-Industrie. Aber wenn man sich in vielen modernen Bereichen umguckt, im Bereich der IT und Software-Entwicklung zum Beispiel, da fehlen uns international gut aufgestellte Partner in Deutschland. Der Mangel an relevanten Unternehmen führt dann natürlich auch zu Problemen bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis. Das gelingt nicht immer nur über Start-ups, weil diese gegen mächtige Konzerne konkurrieren. Und im Allgemeinen werden diese Start-ups nach kurzer Zeit aufgekauft, weil sie gar nicht die Mittel haben, um gegen die großen internationalen Konzerne mitzuhalten.
Ein bisschen persönlicher: was planen Sie als Nächstes?
Ich möchte ein bisschen mehr Zeit für private Dinge und die Familie haben. Das ist in den letzten zehn Jahren meiner Amtszeit als Präsident, oder fast 17 Jahren, wenn man die Zeit als Vizepräsident mitrechnet, zu kurz gekommen. Ansonsten freue ich mich, mit einer kleinen Emeritus-Gruppe wieder ans Institut zurückzukehren. Ich freue mich auch, das ein oder andere Experiment zu machen, zum Beispiel zur Elektrochemie im Ultrahochvakuum. Dabei freue ich mich auch auf die Zusammenarbeit mit jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das ist total motivierend.
Sie haben quasi Ihr normales Leben unterbrochen, sind nach München gegangen und kommen jetzt wieder zurück. Wie ist es, so lange wegzubleiben und dann wieder an das Leben anzuknüpfen?
Ja, die Frage kann ich wahrscheinlich noch gar nicht beantworten, weil das neue Leben derzeit auch nur in Anfängen sichtbar ist. In der Vergangenheit hatte ich als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft einen voll durch getakteten Arbeitstag und war über viele Monate, fast ein Jahr, im Voraus komplett ausgebucht. Nur mit vollem Arbeitseinsatz kann man wirklich etwas bewegen. Dabei wurde ich von mehreren Sekretärinnen voll unterstützt, die jede Minute, die man zur Verfügung hat, auch verplanen, inklusive Mittagessen. Im Ergebnis ist man nicht mehr frei in der eigenen Termin-Gestaltung, sondern man arbeitet vorgegebene Termine ab.
Ab jetzt habe ich wieder ein enormes Maß an Freiheit gewonnen. Mit dem muss man lernen angemessen umzugehen. Man muss und kann seine Tage selbst gestalten und darauf freue ich mich auch. Zudem ist die Familie größer geworden. Ich habe inzwischen sechs Enkelkinder, die ganz jung sind. Die jüngsten zwei Enkelkinder habe ich praktisch von München aus gar nicht gesehen, sondern zum ersten Mal hier in den vergangenen Wochen. Das heißt, das Leben ist schon sehr viel privater, und das ist ja auch ein großes Plus.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Yasmin Ahmed Salem.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Martin Stratmann, m.stratmann@mpie.de
Weitere Informationen:
https://www.mpie.de/4893914/interview-with-martin-stratmann