Schwerverletztenversorgung: Mediziner sprechen die Sprache des Traumas und retten damit Leben
Seit 20 Jahren sprechen Medizinerinnen und Mediziner in Deutschlands Unfallkliniken die Sprache des Traumas. Sie ist geprägt von einer fein ausgeklügelten Verständigung unter Ärzten und Pflegekräften zur Lebensrettung von schwer verletzten Patienten, etwa nach einem Verkehrsunfall. Grundlage dafür ist das mittlerweile weltweit angewandte Fortbildungskonzept für standardisiertes Schockraum-Management Advanced Trauma Life Support (ATLS), welches die Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) 2003 aus den USA nach Deutschland geholt hat. Hierzulande wurden darin bisher 20.000 Ärzte und Ärztinnen geschult und rund 5.000 aufgefrischt.
„In Deutschland profitieren täglich etwa 100 schwerverletzte Patienten von der ATLS-Ausbildung ihrer behandelnden Ärzte und Ärztinnen“, sagt DGU-Präsident Prof. Dr. Steffen Ruchholtz. Vom 1. bis zum 2. September 2023 gibt es in der AUC – Akademie der Unfallchirurgie (AUC) in München, Ausbildungsstätte für ATLS in Deutschland, ein Symposium mit internationalen Kolleginnen und Kollegen.
„Wir gratulieren unserem deutschen Partner zu 20 Jahre ATLS in Deutschland. Die Qualität seiner Kurse ist herausragend. Wichtige Studienergebnisse aus Deutschland fließen kontinuierlich in die Weiterentwicklung des international geltenden Kurskonzeptes ein“, sagt Stephen Bush, Präsident der ATLS Europe Association (AEA) anlässlich der Begegnung in München.
ATLS ist ein Ausbildungskonzept, das als Kompass für eine spezifische Reihenfolge bei Diagnostik und Therapie dient, damit Ärzte und Ärztinnen Schwerverletzte retten und versorgen können. Als Grundidee gilt, die bedrohlichsten Verletzungen und Störungen der Vitalfunktionen des Patienten schnell zu erfassen und zu behandeln: Die Mediziner bannen zuerst die Gefahr, die am schnellsten zum Tod führen könnte (Treat first what kills first). Dazu verständigt sich das Notfall-Team im Schockraum, dem Hotspot der Notaufnahme, über die fünf Anfangsbuchstaben des Alphabetes ABCDE: Airway (Atemwege), Breathing (Atmung), Circulation (Kreislauf), Disability (neurologische Defizite) und Exposure (Exposition). Es prüft folgende Reihenfolge: Sind die Atemwege frei, atmet der Patient, wie hoch sind Puls und Blutdruck, gibt es Pupillenreaktion, wie ist die Bewusstseinslage und gibt es Einblutungen durch Verletzungen? Denn Patienten versterben eher durch versperrte Atemwege als an der Beeinträchtigung der Lunge. „Bei den vielen Übergabesituationen, die ein Schwerverletzter vom Unfallort über den Schockraum bis in den OP durchlaufen muss, hilft ATLS als ‚gemeinsame Sprache des Traumas‘ Präzision zu erhöhen und Zeit zu sparen. Das ABCDE-Schema gibt vor, welcher Handschlag in welcher Reihenfolge erfolgen muss. Es ermöglicht Teamarbeit ohne Zeit- und Reibungsverlust“, sagt ATLS-Deutschland-Direktor Dr. Frithjof Wagner von der BG Unfallklinik Murnau.
„Durch die Einführung des Systems wurde die Struktur der Versorgung von Schwerverletzten verbessert. Sicher Handelnde sorgen für bessere Behandlung“, ergänzt PD Dr. Christoph Wölfl vom Marienhaus Klinikum St. Elisabeth in Neuwied, der sich als DGU-Delegierter im wissenschaftlichen Beirat der AEA engagiert. Er steht am 1. September zur Wahl für die AEA-Präsidentschaft.
Die ATLS-Schulung oder eine gleichwertige Maßnahme ist verpflichtend für über 680 Traumazentren der Initiative TraumaNetzwerk DGU®. Dort werden nämlich Schwerverletzte in der Regel behandelt. Diese Kliniken sind speziell ausgestattet und zertifiziert, sodass sie den Unfallopfern die bestmöglichen Überlebenschancen bieten.
Ausbildungsstätte für ATLS® in Deutschland ist die AUC - Akademie der Unfallchirurgie in München. „Seit dem Start des Programms im Jahr 2003 haben wir an unserer Akademie rund 1.400 ATLS-Schulungen durchgeführt. 2024 werden wir über 140 ATLS-Kurse anbieten können“, sagt Markus Blätzinger, Geschäftsführer der AUC GmbH. „Unser besonderer Dank gilt den rund 230 ATLS-Direktoren und -Instruktoren, die sich mit uns für dieses wichtige Programm engagieren“, sagt Blätzinger.
Die ATLS-Schulungen sind auch vor dem Hintergrund der geplanten Neuordnung der Notfallzentren von Bedeutung. Denn dann wäre unter Umständen nicht mehr gewährleistet, dass jeder Schwerstverletzte auch von einem Schockraumteam unter Leitung eines erfahrenen Unfallchirurgen erstbehandelt wird. „Wir müssen hier als Kümmerer der Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen agieren“, sagt DGU-Generalsekretär Prof. Dr. Dietmar Pennig.
Hintergrund:
Jedes Jahr gibt es in Deutschland schätzungsweise knapp zehn Millionen Unfallverletzte. Die meisten leichteren Unfälle geschehen im Haushalt und in der Freizeit. Über 30.000 Menschen verletzen sich allerdings so schwer, meist bei einem Verkehrsunfall oder Sturz, dass sie in Lebensgefahr schweben. Damit sie die besten Überlebenschancen haben, kommen sie im Krankenhaus sofort in den Schockraum einer Notaufnahme. Das internationale Schockraum-Training ATLS gehört dem „American College of Surgeons“ (ACS) aus den USA. 40 Jahre nach Einführung in Amerika ist dieser Kurs auch ein Eckpfeiler der modernen deutschen Unfallchirurgie. Derzeit bieten über 60 Länder ATLS in Abstimmung mit dem ACS-Programm-Office an. Die DGU erwarb die Lizenz im Jahr 2003.
Referenzen:
1) Verletzten-Monitor der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie
https://www.dgu-online.de/ePaper/verletztenmonitor/epaper/ausgabe.pdf
Terminhinweise:
Vom 24. bis 27. Oktober 2023 findet in Berlin der Deutsche Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie (DKOU) statt. Er ist mit circa 8.000 Teilnehmenden die bedeutendste Veranstaltung für „O und U“ in Europa; hier werden die aktuellsten Entwicklungen und Herausforderungen der Fachgebiete diskutiert. Unter dem Motto „Kompetent in Qualität und Fortschritt“ liegt in diesem Jahr ein besonderer Fokus auf der effektiven Steuerung der Behandlungsqualität sowie auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und technologischen Möglichkeiten für die Patientenversorgung.
Di. 24.10.2023, 16:00 - 17:00
Traumanetzwerk
1) Was bedeutet die Krankenhausreform für die Traumazentren?
2) Unsere Erfahrungen mit Kriegsverletzten aus der Ukraine – Probleme bei der Versorgung
3) Großschadensfall – wie ist die Organisation, welche Strukturen gibt es?
4) Umgang mit schweren Blutungen – Mindestvoraussetzungen für die Traumzentren
Mehr Kongressinformationen unter: dkou.org
Kontakt für Rückfragen:
Susanne Herda, Swetlana Meier
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