Sehnsucht nach einfachen Antworten: Forschende untersuchen Zusammenhang von Desinformation und Affekten
Was macht Menschen besonders anfällig für Desinformationen und wie kann man präventiv dagegenhalten? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des neuen Forschungsprojektes „Innovative Kommunikationsstrategien zur Intervention und Prävention bei Desinformationskampagnen“ (IKIP), das Prof. Dr. Friederike Herrmann als Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Katholische Universitä Eichstätt-Ingolstadt (KU) koordiniert. Gefördert wird das Vorhaben durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Zu den wissenschaftlichen Partnerinnen und Partnern des dreijährigen Forschungsprojektes gehören Forschende der Media School Hamburg, der Polizeiakademie Niedersachen, der Frankfurter Goethe Universität und der Frankfurt University of Applied Science. Neben der Kommunikationswissenschaft sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Bereichen Psychologie sowie Medien- und Sozialpsychologie tätig.
Zwar zieht sich die gezielte Streuung von Desinformation durch die Geschichte der Menschheit. Doch die zunehmende Digitalisierung trägt nicht nur dazu bei, dass seriöse Nachrichten jederzeit und überall verfügbar sind, sondern dass sich auch Falschinformationen rasant verbreiten. „Desinformationskampagnen benötigen für ihre Verbreitung aber nicht nur technische Möglichkeiten. Widerhall finden sie nur, wenn ihre Inhalte und Darstellungsweisen an Bedürfnisse und Gefühle des Publikums anknüpfen“, schildert Professorin Herrmann. Einen solchen Kontext würden Narrative etwa im Hinblick auf Rassismus und Antisemitismus bieten: Die Erzählungen greifen diffuse Ängste auf und rechtfertigen diese, indem sie scheinbare Ursachen und angeblich Schuldige dafür benennen. „Solche Erklärungen können die Empfängerinnen und Empfänger erleichtern – egal, wie absurd sie bei nüchterner Betrachtung sind. Die Erzählungen bedienen affektive Bedürfnisse, doch bleibt dieser Zusammenhang meist unbewusst. Gerade in Krisensituationen haben Menschen die Tendenz, einfache Lösungen zu bevorzugen“, so Herrmann.
Die Corona-Pandemie sei ein gutes Beispiel für die Neigung, sich klare Ursachen und Schuldige zu wünschen. Doch die Informationen seien nicht eindeutig und zum Teil widersprüchlich gewesen, weil sich das Wissen um die Pandemie erst im Laufe der Zeit ausdifferenziert habe. Diese Ambiguität sei für manche Menschen gerade in Krisensituationen nur schwer auszuhalten und verursacht Ängste. Dies machten sich wiederum die Initiatoren von Desinformationskampagnen gezielt zunutze, um den öffentlichen Diskurs in eine Richtung zu lenken.
Die Kommunikationswissenschaftlerin erklärt: „Wir setzen einen Schritt vor den eigentlichen Desinformationskampagnen an und beschäftigen uns mit ihrem Nährboden. Die These dahinter ist, dass bestimmte Narrative den Boden dafür bereiten, dass Desinformation und Polarisierung bei Menschen überhaupt vergangen und sie nur noch schwer erreichbar sind für die Richtigstellung von Fakten.“
Zwar seien Narrative als Triebfeder von Desinformationskampagnen etwa zu Fragen von Migration schon eingehend Thema der wissenschaftlichen Diskussion gewesen, jedoch meist bezogen auf explizit sichtbare Inhalte. Unberücksichtigt geblieben sei bislang die subtile Wirkung von latenten Narrativen, die „gewissermaßen zwischen den Zeilen stehen und sich erst durch die Reaktion der Mediennutzenden darauf entfalten“. So schenkten Menschen einer Information eher Glauben, die ihnen bereits vertraut vorkomme, etwa weil sie – ein typisches Merkmal von Kampagnen – häufig wiederholt wurde. Vor diesem Hintergrund haben es seriöse Informationen schwer, durchzukommen, weil sie differenzieren und keine einfachen Lösungen präsentieren. „Sie können damit nicht in gleicher Weise an bestimmte Grundmuster des Denkens und Fühlens anknüpfen und keine vergleichbare Macht entfalten“, erklärt Professorin Herrmann.
Entgegen dieser Erkenntnisse operierten bisherige Ansätze gegen die Verbreitung von Desinformation meist auf kognitiver Ebene. Doch mit rationalen Argumenten sei nur schwer gegen Emotionen anzukommen. Deshalb verfolgt das IKIP-Projekt einen breiteren Ansatz: „Die Funktionen der in Desinformation enthaltenen Narrative und Frames müssen in ihrer Wirkungsweise bewusstgemacht werden, um sie zu entzaubern.“ Auch Journalisten sind, wie alle Menschen, in bestimmten Situationen anfällig für einfache Lösungen. Deshalb gehören neben Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in Hochschule und Schule auch explizit Medienschaffende zur Zielgruppe von speziellen Trainings, die dazu beitragen sollen, einfachen Antworten und Polarisierungen zu widerstehen. In Kooperation mit der Süddeutschen Zeitung und der Medienakademie von ARD und ZDF sollen außerdem Konzepte entstehen, die Journalistinnen und Journalisten Orientierung dafür bieten, wie sich Desinformationskampagnen in sozialen Medien, Nutzerkommentaren oder der Berichterstattung entgegenwirken lässt.
Die Entwicklung der Präventions- und Interventionsmaßnahmen beruht auf Fragebogen- und Interviewstudien der IKIP-Forschenden zu den psychischen Faktoren, die für Desinformation anfällig machen. Sie werden mit der qualitativen und quantitativen Analyse der Angstnarrative verknüpft.
Bisher gebe es, wie Professorin Herrmann schildert, erst relativ wenig Forschung dazu, welche Personen in besonderer Weise für Desinformationskampagnen anfällig sind; der Zusammenhang der Empfänglichkeit für bestimmte Narrative aufgrund spezifische psychischer Dispositionen wurde bislang noch nicht untersucht. Zentral ist hier das Konzept der Ambiguitätstoleranz. Es bezeichnet die Fähigkeit, Widersprüchlichkeiten, Mehrdeutigkeit und Unsicherheit zu ertragen. Gerade in Krisensituationen neigen manche Menschen zu einfachen Antworten und schablonenhaftem Schwarz-Weiß-Denken, das durch Angstnarrative und Verschwörungserzählungen bedient wird, so Herrmann. Menschen mit geringer Ambiguitätstoleranz würden unerwartete, schwer kontrollierbare Situationen oft als Bedrohung wahrnehmen. Vom Wunsch nach Eindeutigkeit ist es nicht weit zu einfachen Antworten, wie sie von den Verschwörungserzählungen und Desinformationskampagnen geliefert werden. Sie stellten den Versuch dar, Ambiguität gar nicht erst spürbar werden zu lassen, und seien damit eine Triebkraft für radikale Einstellungen sowie eine Bedrohung für die Demokratie. „Denn die psychische Entlastung erfolgt um den Preis einer verzerrten Wahrnehmung der Realität und damit verbundenen Einschränkungen der Handlungsoptionen.“
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Friederike Herrmann (Professur für Journalistik und Kommunikationswissenschaft, friederike.herrmann@ku.de)