Organisierte Kriminalität als Herausforderung: Forschungsprojekt unter Leitung der Uni Osnabrück
Wie sich Organisierte Kriminalität aktuell verändert und wie Polizei, Justiz und Politik darauf bestmöglich reagieren können, hat ein Forschungsverbund unter der Leitung des Strafrechtswissenschaftlers Prof. Dr. Prof. h.c. Arndt Sinn von der Universität Osnabrück in den vergangenen drei Jahren untersucht. Die Ergebnisse des zu diesem Thema deutschlandweit umfangreichsten Forschungsprojekts „Systematische und umfassende Analyse sowie Bekämpfungsperspektiven der Organisierten Kriminalität (OK 3.0)“ wurden jetzt auf einer Tagung veröffentlicht.
„Das Projekt stellt einen Meilenstein zur Bekämpfung der OK dar. Wir konnten über drei Jahre die Organisierte Kriminalität aus unterschiedlichen Perspektiven beobachten und analysieren. Dazu haben wir Interviews mit Expertinnen und Experten, aber auch mit Straftäterinnen und Straftätern geführt, Statistiken und Studien der letzten Jahrzehnte ausgewertet und KI-basiert Daten aus illegalem Onlinehandel ausgewertet“, erklärt Sinn. „Durch die Analysen können wir jetzt Prognosen aufstellen und Handlungsempfehlungen für Strafverfolgung und Politik geben“, so der Rechtswissenschaftler weiter.
Die OK verändert sich aktuell besonders auf Grund von Krisen und Kriegen, aber auch durch Digitalisierung: Kanäle für digitale Kommunikation haben es Täterinnen und Tätern leichter gemacht, sich verdeckt zu organisieren. Kryptowährungen vereinfachen Transaktionen illegaler Geschäfte und über Online-Märkte können Drogenkäufe, Dokumentfälschungen und andere Straftaten ohne persönlichen Kontakt im sogenannten Darknet abgewickelt werden. Für die Strafverfolgung ist es daher im digitalen Raum oft schwierig, Verbindungen zwischen Verdächtigen herzustellen oder Hauptverantwortliche zu finden.
Durch die Digitalisierung im legalen Raum, haben sich auch für die OK neue Tätigkeitsfelder gebildet: So nehmen z.B. Cyberangriffe auf Unternehmen, das Ausnutzen von verfügbaren Datenmengen oder das Hacken von Gegenständen, die mit dem Internet verbunden sind, stetig zu. „Durch die digitalen Möglichkeiten wird auch die OK internationaler: 70 Prozent sind überstaatlich aktiv – Tendenz steigend“, sagt Sinn.
Globale Krisen, wie die Pandemie oder der Ukrainekrieg, beeinflussen nicht nur zunehmend den internationalen Schwarzmarkt und Waffenhandel. Wenn legale Unternehmen auf Grund dieser Krisen insolvent werden oder das Land verlassen müssen, können sie leicht mit illegalem Geld aufgekauft werden. So werden Gesellschaft und Staat durch Organisierte Kriminalität unterwandert. Die Organisierte Kriminalität gibt sich so den Anschein von Legalität und nutzt diesen zur Geldwäsche.
„Unsere Forschung zeigt, dass bereits 80 Prozent der OK solche legalen Strukturen ausnutzen. Wer mit Drogen handelt, besitzt z.B. einen legalen Kurierdienst für den Vertrieb, aber auch zum Waschen von Geld“, erklärt Sinn. „Diese Veränderungen haben dazu geführt, dass sich die OK immer weniger hierarchisch organisiert. Die klassische Struktur vom Mafiaboss und seinen Handlangern wird zunehmend von einem Netzwerk der Organisierten Kriminalität abgelöst. Hier agieren öfter unabhängige Geschäftspartner in Projekten miteinander. Sind die Geschäfte abgeschlossen, lösen sich auch die Partnerschaften auf und formen sich dann wieder neu. Die Netzwerke der Organisierten Kriminalität sind viel flexibler und wandelbarer geworden. Daher ist es wichtig, dass sich Strafverfolgung, Justiz und Politik an diese Veränderungen anpassen.“ Der Forschungsverbund hat dazu 18 konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt. So soll unter anderem die seit den 1990er Jahren unverändert bestehende Exekutivdefinition der Organisierten Kriminalität durch eine Definition modernisiert werden.
Außerdem empfehlen die Expertinnen und Experten einen sogenannten administrativen Ansatz – dazu sollen Verwaltungsbehörden stärker zur Eindämmung der OK eingebunden werden. Da die Organisierte Kriminalität häufig legale Unternehmen für ihre Zwecke nutzt, könnten Verwaltungsbehörden durch ihre spezifischen Befugnisse, etwa bei der Erteilung von Genehmigungen, einer Unterwanderung der legalen Infrastruktur entgegenwirken.
Bei der Strafverfolgung sollten, so die Empfehlung, mehr sogenannte JITS (Joint Investigation Teams) zum Einsatz kommen, da sie international agieren können. Die Strafverfolgung sollte, meinen die Expertinnen und Experten, auf eine verbesserte digitale Infrastruktur zugreifen können: z.B. auf Datenbanken mit E-Akten, die international kompatibel sind oder auf Plattformen zur Beobachtung von Kriminalität (crime monitoring). Der Forschungsverbund spricht sich außerdem für die Einrichtung von Cybercrime-Spezialabteilungen aus.
Für weitere Forschung wurde die Einrichtung eines Interdisziplinären OK-Forschungsinstituts empfohlen. So könnten weitere Maßnahmen an den aktuellen Forschungsstand angepasst werden. Auch Aus- und Weiterbildungen könnten dort wissenschaftlich fundiert angeleitet werden.
Der interdisziplinäre Forschungsverbund umfasste neben dem Zentrum für Europäische und Internationale Strafrechtsstudien (ZEIS) und dem Institut für Wirtschaftsstrafrecht der Universität Osnabrück, auch die Eberhard Karls Universität Tübingen, die Deutsche Hochschule der Polizei in Münster und das Fraunhofer Institut für Sichere Informationstechnologie SIT in Darmstadt. Weitere assoziierte Partner waren die Generalzolldirektion Köln, die Generalstaatsanwaltschaften Frankfurt a.M. und Rheinland-Pfalz, das Ministerium der Justiz NRW, die Staatsanwaltschaft Darmstadt und die Landeskriminalämter Baden-Württemberg sowie Brandenburg, das Bayerische Staatsministerium der Justiz sowie das Polizeipräsidium Essen.
Weitere Informationen für die Redaktionen:
Prof. Dr. Prof. h.c. Arndt Sinn
Professur für Internationales Strafrecht, Uni Osnabrück
E-Mail: arndt.sinn@uni-osnabrueck