Molekülbewegung in Reifengummi
Forschende haben die molekulare Bewegung von Gummibestandteilen, die typischerweise in Autoreifen verwendet werden – Polybutadien und Ruß – mit der weltweit höchsten Zeitauflösung beobachtet. Die Studie zeigt die Wechselwirkung zwischen den beiden Komponenten auf atomarer Ebene und ebnet den Weg für neue Erkenntnisse zur Abnutzung von Reifengummi und zur Entwicklung langlebiger Materialien.
Reifengummi ist ein Verbundwerkstoff, der meist synthetischen Kautschuk wie Polybutadien sowie Nanopartikel wie Ruß enthält, die die physikalischen Eigenschaften verbessern. Während des Fahrens wirken starke Kräfte auf den Reifen, wodurch sich seine Bestandteile gegeneinander bewegen, was zu Verschleiß und Abbau des Materials führen kann. Es ist daher wichtig, nicht nur die statische Struktur des komplexen Partikelnetzwerks von Polymer und Nanopartikeln im Reifen zu verstehen, sondern auch ihre Wechselwirkung und ihre Bewegungen, da diese die Materialeigenschaften wie Verschleißbeständigkeit direkt beeinflussen. Da einige der molekularen Bewegungen extrem schnell ablaufen, ist für Messungen mit atomarer Auflösung die schnellstmögliche Zeitskala erforderlich.
An der SPB/SFX-Experimentierstation bei European XFEL hat ein internationales Team unter der Leitung von Forschenden der Universität Tokio, der Ibaraki Universität und von European XFEL nun die durch die Materialstruktur bedingte natürliche Molekülbewegung in Proben von Polybutadien und Ruß mit einer zeitlichen Auflösung von 890 Nanosekunden (Milliardstel Sekunden) beobachtet – der bisher höchsten in solchen Studien erreichten Auflösung.
Mit der kürzlich entwickelten Methode des Diffracted X-ray Blinking – zu Deutsch etwa gebeugtes Röntgenblinken – konnte das Team gleichzeitig schnelle Veränderungen in den Polymerketten und in den zugesetzten Nanopartikeln auf atomarer Ebene nachweisen, erklärt Tokushi Sato von European XFEL, einer der Hauptautoren der Veröffentlichung: „Wir haben eine klare Wechselwirkung zwischen Polybutadien und Ruß beobachtet, was darauf hindeutet, dass sich die Beweglichkeit des Polybutadiens je nach Art des zugesetzten Rußes deutlich unterscheidet.“ Jede Probe enthielt dabei eine andere Art von Ruß. Das Experiment zeigte, dass sich das Polybutadien in der einen Probe viel schneller auf der Oberfläche der Rußpartikel bewegt als in der anderen – was zu schlechteren Leistungseigenschaften dieses Materials für den Einsatz in Autoreifen führt als bei der Probe, in der die beiden Komponenten stärker gebunden sind. Die Ergebnisse könnten helfen, bessere Methoden zu finden, um den Verschleiß von Reifengummi während des Entwicklungsprozesses im Labor zu untersuchen und so langlebigere Materialien herzustellen.
An der Studie waren neben European XFEL auch Forschungseinrichtungen aus Japan, Australien und Neuseeland sowie das japanische Unternehmen Sumitomo Rubber Industries beteiligt.
Über European XFEL
European XFEL ist eine internationale Forschungsanlage der Superlative in der Metropolregion Hamburg: 27°000 Röntgenlaserblitze pro Sekunde und eine Leuchtstärke, die milliardenfach höher ist als die besten Röntgenstrahlungsquellen herkömmlicher Art, werden völlig neue Forschungsmöglichkeiten eröffnen. Forschergruppen aus aller Welt können an dem europäischen Röntgenlaser atomare Details von Viren und Zellen entschlüsseln, dreidimensionale Aufnahmen im Nanokosmos machen, chemische Reaktionen filmen und Vorgänge wie die im Inneren von Planeten untersuchen. European XFEL ist eine gemeinnützige Forschungsorganisation, die eng mit dem Forschungszentrum DESY und weiteren internationalen Institutionen zusammenarbeitet. Sie beschäftigt mehr als 500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im September 2017 hat die Anlage den Nutzerbetrieb aufgenommen. Derzeit beteiligen sich zwölf Länder: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Russland, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Spanien, Ungarn und das vereinigte Königreich. Deutschland (Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein) trägt 58 Prozent der Kosten für die neue Einrichtung, Russland 27 Prozent. Die anderen Partnerländer sind mit ein bis drei Prozent beteiligt. Mehr Informationen unter www.xfel.eu/de.
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