Warum fachfremde Personen auf Professuren für Hebammenwissenschaft?
Hebammenwissenschaftlicher Fachbereichstag (HWFT) beklagt Tendenz zur Fehlbesetzung von hebammenwissenschaftlichen Professuren an Hochschulen mit einem Studium von Hebammen.
Die mit Inkrafttreten des Hebammengesetzes (2019) vollzogene Überführung der Ausbildung von Hebammen an die Hochschulen diente der Umsetzung der EU-Richtlinie 2005/36/EG und leitete einen umfassenden Reformprozess ein. Der Gesetzgeber reagierte damit zudem auf die gestiegene Komplexität und Anforderungen an die Berufspraxis von Hebammen. Dabei sind Hebammen nicht nur für die Geburtshilfe, sondern auch für die prä- und postnatale Betreuung von Frauen* und ihren Neugeborenen verantwortlich. Als Expert:innen für Gesundheitsförderung und Prävention tragen sie maßgeblich zur Verbesserung der Mutter-Kind- und Familiengesundheit bei. Diese Expertise erfordert eine kontinuierliche Weiterentwicklung auf der Grundlage hebammenwissenschaftlicher Forschung und Lehre. Somit muss zwingend sichergestellt werden, dass die Disziplin „Hebammenwissenschaft“ analog internationaler Entwicklungen auch an den Hochschulen in Deutschland den erforderlichen hochschulischen Raum und Rahmen erhält, der allen Disziplinen für den notwendigen Fortschritt in fachspezifischer Forschung und Lehre zugestanden wird.
Derzeit ist dieses hochschulische Selbstverständnis jedoch nicht an allen Hochschulstandorten mit einem Studium von Hebammen erkennbar. So wurden bereits verschiedene hebammenwissenschaftliche Professuren mit disziplinfremdem Personal unbefristet besetzt und darüber hinaus mit der Funktion der Studiengangs- oder Institutsleitung betraut. Damit werden tradierte Hierarchien aus Kliniken auf Hochschulen übertragen und die junge Disziplin Hebammenwissenschaft in ihrer Eigenständigkeit von Beginn an beschränkt und fremdbestimmt. Übergangslösungen wie bspw. Vertretungsprofessuren oder befristete Lösungen werden nicht gewählt, obgleich der Nachwuchsmangel bei Hebammenwissenschaftler:innen ein vorübergehendes Phänomen ist. Da fachfremde Berufungen auch in der Pflegewissenschaft ein bekanntes Problem sind, muss von einer schwerwiegenden systemischen Fehlsteuerung in der akademischen Entwicklung der Gesundheitsdisziplinen ausgegangen werden. Eine weitere Übertragung des Phänomens auf die Therapieberufe ist zu befürchten.
Gemäß § 20 (2) des Hebammengesetzes darf die Studiengangsleitung nur von Personen ausgeübt werden, welche selbst über die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung nach § 1 Absatz 1 des Hebammengesetzes in der bis zum 31. Dezember 2019 geltenden Fassung verfügen.
„Vor diesem Hintergrund fordert der Hebammenwissenschaftliche Fachbereichstag nachdrücklich eine Regelung, welche die Leitung im Studium von Hebammen nicht nur an das hebammenwissenschaftliche Fach, sondern explizit auch an die hochschulübliche wissenschaftliche, professorale Qualifikation bindet und damit die Besetzung hebammenwissenschaftlicher Professuren unmittelbar sicherstellt“, sagt Professorin Dr.in Melita Grieshop, Präsidentin des HWFT und Studiengangsleitung für das Studium von Hebammen an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB). Die zur Zeit zwar noch geringe, aber stetig steigende Anzahl akademisch qualifizierter und promovierter Hebammenwissenschaftler:innen in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der Etablierung von Qualifizierungsprogrammen auf Master- und Promotionsniveau rasch und nachhaltig vergrößern. „Deshalb kann dies keinesfalls als Begründung dienen, die hebammenwissenschaftlich ausgeschriebenen Professuren fachfremd, beispielsweise durch Mediziner:innen, zu besetzten“, betont Melita Grieshop. Jede Fehlbesetzung hat erhebliche und langfristige negative Auswirkungen auf den Zugang zu Drittmitteln und damit auf die Machbarkeit der erforderlichen hebammenwissenschaftlichen Forschung mit gesundheitsfördernder und präventiver Ausrichtung.
Aus den aufgeführten Gründen lehnt der Hebammenwissenschaftliche Fachbereichstag (HWFT) eine Besetzung hebammenwissenschaftlicher Professuren mit Personen aus Nachbardisziplinen ohne hebammenwissenschaftliche Qualifikation entschieden ab. Der HWFT fordert die Entscheidungsträger in Wissenschaft, Gesundheit und Politik sowie an den Hochschulen selbst auf, zeitnah die notwendigen und eigentlich hochschulüblichen Entwicklungsbedingungen in Forschung und Lehre, auch in der Hebammenwissenschaft, durch eine fachspezifische Personalbesetzung, insbesondere in hebammenwissenschaftlichen Leitungsfunktionen, sicherzustellen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof.in Dr. Melita Grieshop, Präsidentin Hebammenwissenschaftlicher Fachbereichstag (HWFT) und Studiengangsleitung Hebammenwissenschaft an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB)
melita.grieshop@eh-berlin.de; Tel: +49(0)30 845 82 272
Weitere Informationen:
https://www.eh-berlin.de/meldungen/detail/hebammenwissenschaftlicher-fachbereichstag-hwft-in-berlin-gegruendet
https://www.eh-berlin.de/studium/bachelor/hebammenwissenschaft