Gleichstellung am Arbeitsmarkt braucht mehr als öffentliche Kinderbetreuung
Eine Studie von Ökonominnen der Universitäten Passau und Potsdam zeigt: Kinderbetreuung ermöglicht es Müttern, nach der Geburt schnell in den Beruf zurückzukehren. Doch für Karrieresprünge reicht eine schnellere Rückkehr nicht.
Elternschaft hat schwerwiegende finanzielle Folgen. Gezeigt hat dies unter anderem die US-Ökonomin Claudia Goldin, die für ihre Forschung zu geschlechtsspezifischen Unterschieden am Arbeitsmarkt den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat. Die Wissenschaft hat dafür den Begriff „Child Penalty“ geprägt, die Abstrafung fürs Elternsein. Nach aktuellem Stand trifft diese vor allem die Mütter, weniger die Väter. In Deutschland ist das Phänomen besonders ausgeprägt. Mit ein Grund ist, dass viele Frauen nach der Geburt von Kindern Teilzeit in den Beruf zurückkehren und zu Hause mehr unbezahlte Sorgearbeit leisten.
Ökonominnen der Universitäten Passau und Potsdam haben untersucht, ob der Ausbau von Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren diese langfristigen Folgen mindern kann. Schließlich könnte eine schnellere Rückkehr an den Arbeitsmarkt die Chance eines beruflichen Aufstiegs erhöhen. Doch tatsächlich finden die Ökonominnen keinen solchen Effekt.
"Öffentliche Kinderbetreuung – so wie sie aktuell in Deutschland ausgestaltet ist – hilft, um schnell wieder in den Beruf zurückkehren zu können. Aber sie stößt an ihre Grenzen, wenn es um die Karriere der Mütter geht", fasst Geske Rolvering von der Universität Passau das Ergebnis zusammen. Rolvering ist Doktorandin am Lehrstuhl für Public Economics. Die Studie, die sie gemeinsam mit Katrin Huber von der Universität Potsdam verfasst hat, ist Teil ihrer kumulativen Dissertation.
Die Forscherinnen analysieren darin mit Hilfe mikroökonometrischer Methoden Daten von Müttern in Westdeutschland, die zwischen 2005 und 2019 ihr erstes Kind bekommen haben. Von 2005 bis 2008 sorgten mehrere familienpolitische Reformen für einen massiven Ausbau der Kinderbetreuungsplätze, der jedoch unter anderem aufgrund von administrativen Hürden in den Landkreisen unterschiedlich schnell erfolgte. Diese regionalen Abweichungen nutzen Huber und Rolvering für ihre Studie. Um Rückschlüsse über das berufliche Fortkommen der Mütter ziehen zu können, kombinieren die Ökonominnen Sozialversicherungsdaten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg mit einer Erwerbstätigenbefragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin sowie des Bundesinstituts für Berufsbildung aus dem Jahr 2018.
Die Ergebnisse im Überblick:
• Öffentliche Kinderbetreuung führt dazu, dass Frauen nach der Geburt schneller in den Beruf zurückkehren. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie zwei Jahre nach der Geburt des ersten Kindes wieder erwerbstätig sind, ist in Regionen mit einem gut ausgebauten Angebot um 5,5 Prozentpunkte höher als in Regionen mit geringerem Ausbau.
• Allerdings kehren die meisten nur in Teilzeit zurück.
• Auf den beruflichen Aufstieg, die Übernahme anspruchsvollerer Tätigkeiten oder einer Führungsposition, wirkt sich öffentliche Kinderbetreuung kaum aus.
• Die Forscherinnen untersuchen, ob bestimmte Gruppen von Frauen stärker profitieren, beispielsweise Frauen mit höherem Einkommen oder in weniger familienfreundlichen Berufen. Doch auch hier zeigt sich kein Effekt.
"Unsere Ergebnisse sind keinesfalls so zu deuten, dass öffentliche Kinderbetreuung nichts bringt", betonen die Forscherinnen in ihrer Studie. "Vielmehr braucht es offenbar im deutschen Kontext weitere Anstrengungen auf mehreren Ebenen, um die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt voranzutreiben." So sei gerade in Großstädten die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen noch immer höher als das Angebot. Andere Studien hätten zudem gezeigt, dass in deutschsprachigen Ländern althergebrachte Rollenmuster nach wie vor so stark wirkten, dass die Mütter zu Hause blieben.
Die Studie von Rolvering und Huber mit dem Titel "Public Child Care and Mothers’ Career Trajectories" ist als Diskussionspaper in der Reihe des IZA Institute of Labor Economics erschienen. Es handelt sich dabei um eine Vorabveröffentlichung, die noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat.
Die Ökonominnen bauen mit ihrer Arbeit auf vorangegangene Forschung am Passauer Lehrstuhl für Public Economics auf, der die Wirkung von politischen Maßnahmen untersucht, darunter auch familienbezogene Leistungen. Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Stefan Bauernschuster hatte in einer Arbeit den Nachweis erbracht, dass öffentlich geförderte Kinderbetreuung die Erwerbstätigkeit von Müttern erhöht. Die Studie war in der Öffentlichkeit breit diskutiert worden und fand Eingang in den aktuellen US-Wirtschaftsbericht.
Über die Autorinnen
Geske Rolvering ist Doktorandin am Lehrstuhl für Public Economics an der Universität Passau. Sie hat an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) Business Administration studiert und an der Universität Maastricht in den Niederlanden einen Master in Economics absolviert.
Dr. Katrin Huber ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Potsdam und affiliierte Wissenschaftlerin am Lehrstuhl für Public Economics an der Universität Passau, wo sie bis 2019 promoviert hat. In ihrer preisgekrönten Promotion beschäftigte sie sich unter anderem mit den Karrierekosten des Kinderkriegens.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Geske Rolvering
Lehrstuhl für Public Economics
Universität Passau
Innstraße 27
94032 Passau
E-Mail: Geske.Rolvering@uni-passau.de
Dr. Katrin Huber
Professur für Empirische Wirtschaftsforschung
Universität Potsdam
August-Bebel-Straße 89
14482 Potsdam
E-Mail: katrin.stephanie.huber@uni-potsdam.de
Originalpublikation:
https://docs.iza.org/dp16433.pdf
Weitere Informationen:
https://www.digital.uni-passau.de/beitraege/2023/us-wirtschaftsbericht-zitiert-passauer-forscher Wirtschaftsbericht von US-Präsident Joe Biden zitiert Passauer Forscher
https://www.digital.uni-passau.de/beitraege/2021/preisgekroente-dissertation Wie Arbeitsmarkt und Familienbericht auf Partnerschaft wirken – Bericht über preisgekrönte Dissertation von Dr. Katrin Huber