Per App zu mehr Inklusion im Museum
Mit einer neuen App will das Deutsche Schifffahrtsmuseum / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen den Museumsbesuch erleichtern. Die Anwendung entsteht in Zusammenarbeit mit der Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung Ortsvereinigung Bremerhaven und der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel im Rahmen des Leibniz-WissenschaftsCampus Postdigitale Partizipation.
Große grüne Kugeln weisen den Weg. Sie führen die Museumsgäste vorbei an interessanten Objekten in der Kogge-Halle zu den historischen Schiffen im Alten Hafen. Kurze Texte zum Lesen oder Hören vermitteln Informationen zum Walfänger RAU IX, zum Betonschiff PAUL KOSSEL oder zur Bremer Kogge von 1380. Noch ist die App auf dem Handy von Informatik-Professorin Dr. Ina Schiering von der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel ein Prototyp, doch schon bald könnte sie Menschen den Weg durch das DSM erleichtern. Zu verdanken ist das auch der Museumsgruppe bei der Lebenshilfe Bremerhaven – vier Frauen und vier Männern, die im Museum zwar vieles spannend finden, mit der räumlichen Orientierung und längeren Ausstellungstexten jedoch ihre Schwierigkeiten haben. Entstanden ist das partizipative Forschungsprojekt im Rahmen eines vom Leibniz-Institut für Bildungsmedien geleiteten Forschungscampus, der sich mit gesellschaftlicher Teilhabe und Digitalisierung befasst.
Bei Vor-Ort-Besuchen in der Kogge-Halle und einer Schnitzeljagd durch den Museumshafen haben die Gruppenmitglieder partizipativ mit den Forschenden herausgearbeitet, was ihnen beim Museumbesuch schwerfällt und was ihnen helfen kann. So entstanden auch die grünen Kugeln – in einer früheren Version waren andere Symbole zu sehen. Die Mitglieder der Lebenshilfe haben in einem Workshop aus mehreren Alternativen für sie sinnvolle und verständliche Symbole ausgesucht. „Je einfacher und eindeutiger die Inhalte der App sind, desto besser“, so fasst es Dr. Sandra Verena Müller, Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit der Ostfalia-Hochschule zusammen. „Kulturelle Teilhabe ist neben der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und der beruflichen Teilhabe ein wichtiger Teilhabe-Aspekt, der mehr als ein Add-On ist und nicht hinten runterfallen sollte.“
Das Projekt lief über einen Zeitraum von vier Jahren. „Das Interesse in der Gruppe war riesig“, sagt Rosemarie Brikmanis-Brückner vom dem Begleitenden Dienst der Lebenshilfe Bremerhaven. Es war so groß, dass selbst Corona die Zusammenarbeit nicht unterbrechen konnte. Statt vor Ort wurden die Gespräche über Webkonferenzen geführt. Es bereite den Teilnehmenden große Freude, kreativ zu arbeiten und dieses Projekt auch überregional selbstbestimmt zu präsentieren. „Die Museumsgruppe hat großes Interesse, die kommenden Projektphasen mitzugestalten“, so Brikmanis-Brückner.
„Wir sehen viel Potenzial in diesem Projekt“, ergänzt Selim Ercins, Werkstattleiter und Pädagogischer Leiter bei der Lebenshilfe Bremerhaven. So könne die App künftig Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen auch auf Wegen außerhalb des Museums die Orientierung erleichtern.
Die Anwendung ist so angelegt, dass Kulturbetriebe oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sehr leicht selbst Inhalte einstellen können. Programmierkenntnisse sind hierfür nicht erforderlich. Die App selbst basiert auf einer Kombination aus Augmented Reality und GPS; sie ergänzt also die jeweils aktuelle Perspektive der Smartphone-Kamera vor Ort mit zusätzlichen Informationen.
Für DSM-Direktorin Prof. Dr. Ruth Schilling liegen die Gründe für mehr Inklusion im Museum auf der Hand: „Als Deutsches Schifffahrtsmuseum wollen wir ein Museum für alle sein und müssen dies auch sein“, sagt sie. „Unsere Ausstellungen geben Impulse zu Fragen, die uns alle angehen: Zum Beispiel: Wie wollen wir mit dem Ozean umgehen? Oder: Wie global wollen wir leben? Umso wichtiger ist es, dass unsere Ausstellungen niedrigschwellig und so breit wie möglich zugänglich sind“, sagt sie und verweist auf eine ganze Reihe von Inklusionsaktivitäten am DSM: Angefangen von Tastmodellen der Bremer Kogge über Bodenleitspuren bis hin zu tastbaren QR-Codes.
Seit diesem Sommer bietet das Museum unter dem Motto „Lauschflut“ Hör-Führungen an, die sich speziell an Menschen mit Sehbeeinträchtigungen und Mobilitätseinschränkungen richten. Hinzu kommen bald weitere digitale Angebote. So können die Schiffe im Museumshafen künftig mithilfe von 360-Grad-Aufnahmen digital erkundet werden. Auf diese Weise bekommen auch Menschen die aufgrund von Mobilitätseinschränkungen nicht an Bord kommen können, einen Eindruck davon, wie es auf und unter Deck der historischen Schiffe aussieht.
Partizipation spielt auch bei der Entwicklung der jeweiligen Angebote eine große Rolle: „Unser Ansatz ist es nicht, Angebote für Menschen mit Beeinträchtigungen zu gestalten, sondern es mit ihnen gemeinsam zu tun“, sagt Digital-Kuratorin Dr. Isabella Hodgson. „Wer eine Beeinträchtigung hat, weiß schließlich selbst am besten, was ihm oder ihr im Alltag hilft. Und dieses Wissen hilft wiederum uns dabei, Barrieren im analogen wie im digitalen Bereich abzubauen.“
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