Wissenschaftsreihe von ZEIT-Stiftung und Volkswagenstiftung zum Schutz von Wissenschaft und Forschenden gestartet
Bedrohung von Wissenschaft und Forschenden weltweit – Neue Wissenschaftsreihe der ZEIT-Stiftung und der VolkswagenStiftung mit internationalen Expert:innen zum besseren Schutz gestartet
Über 390 Angriffe auf Wissenschaftler:innen allein 2022 verzeichnet die internationale Organisation „scholars at risk“ in ihrem jährlichen Bericht. Laut einer im Herbst 2021 veröffentlichten Umfrage des Magazins „Nature“ berichtet ein knappes Viertel der dort befragten Forschenden von Drohungen mit körperlicher und sexueller Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein. Dazu kommen „hate speech“ in den Sozialen Medien, manchmal gar öffentliche Diffamierung, aber auch institutionelle Repressionen etwa durch autoritäre Regime weltweit. Wissenschaftler:innen erleben hier juristische Verfolgung oder den Entzug akademischer Positionen bis zu politischer Einflussnahme auf Themen in Forschung und Lehre. Ebenso haben auch stark durch Wettbewerb geprägte Arbeitsbedingungen oder strukturelle Abhängigkeiten negativen Einfluss auf die Wissenschaftsfreiheit.
Was können wir tun, um Forscher:innen ebenso wie die Freiheit der Wissenschaft weltweit besser zu schützen? Wie arbeiten Exil-Wissenschaftler:innen, die aus ihren Ländern zum Beispiel nach Deutschland flüchten mussten?
Kick-Off der neuen Formatreihe zur Freiheit der Wissenschaft mit Erfahrungsberichten aus der Ukraine und der Türkei
Damit beschäftigt sich die neue internationale Diskussionsreihe „Protecting Academic Freedom“ der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der VolkswagenStiftung in Kooperation mit der Staatsbibliothek zu Berlin und dem Tagesspiegel. Zum Auftakt am Mittwoch, 18. Oktober 2023, diskutierten auf dem Podium in der Staatsbibliothek in Berlin die ukrainische Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. Viktoria Sereda vom Virtual Ukraine Institute for Advanced Study, die mittlerweile aus Deutschland arbeitet, und die Historikerin Prof. Dr. Nazan Maksudyan vom Centre Marc Bloch in Berlin, die die Türkei verlassen hat, weil sie dort ihre Forschung nicht frei durchführen konnte.
Professorin Sereda betonte zur Situation in der Ukraine, dass dort im Vergleich zu autoritären Regimes die Wissenschaftsfreiheit nicht grundsätzlich infrage gestellt sei. Jedoch „sind bestimmte Informationen aufgrund des Krieges nicht vorhanden oder dürfen nicht verbreitet werden. Der Raum für Forschung und Diskussion ist also begrenzt.“ „Die Ukraine ist daran interessiert, das Netzwerk von wissenschaftlichen Einrichtungen in ihrem Land aufrecht zu erhalten, um langfristig eine Resilienz zu bilden und ‚Brain Drain‘ zu vermeiden. Das bedeutet aber auch, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Teil ihr Leben riskieren und unter sehr schwierigen Bedingungen arbeiten.“
Professorin Maksudyan berichtete aus der Türkei: „Auf jeden Fall verschlechtern sich die Bedingungen und die [türkische] Regierung hat es geschafft, viele kritische Stimmen zu beseitigen. Die kritische Theorie wird nicht mehr unterstützt und gelehrt in den türkischen Universitäten, sodass Studierende in einem System ausgebildet werden, in dem es nicht möglich ist, etwas infrage zu stellen und das Lernen vor allem aus dem Auswendiglernen besteht.“
Beide betonten auch: Bei den Wissenschaftler:innen, die im Exil sind, müsse man darauf achten, dass ihr Wissen nicht als ein „Wissen aus der Peripherie“ angesehen und nicht als dem „westlichen Wissen“ unterlegen betrachtet werde. Schon das Label „Exil-Wissenschaftler:in“ zementiere Machtstrukturen. „Wir müssen aufpassen, dass sie nicht isoliert werden – zum Beispiel durch getrennte Orte, Büros, Projekte“, warnte Prof. Dr. Viktoria Sereda.
In dem Gespräch, moderiert von Anja Wehler-Schöck, Ressortleiterin Internationale Politik beim Tagesspiegel, ging es um verschiedene Formen der Einschränkungen akademischer Freiheit, die Situation von Kolleg:innen in autoritär regierten Ländern sowie in Kriegs- und Krisengebieten wie der Ukraine, aber auch um die persönliche Situation von Wissenschaftler:innen im deutschen Exil.
Podiumsdiskussion und Lounge-Gespräche / Ansprechpartner für Betroffene
Nach der Podiumsdiskussion gab es bei einem Lounge-Gespräch die Möglichkeit für alle Interessierten wie Betroffenen, mit den Panelist:innen und weiteren Expert:innen vor Ort auch persönlich zu sprechen. Diese zusätzlichen Gesprächspartner:innen vertraten Einrichtungen und Initiativen, die bedrohte oder exilierte Wissenschaftler:innen unterstützen:
- Irene Bollien, Leiterin des Bereichs „Russland“ des „Science at Risk Emergency Office“ beim Akademischen Netzwerk Osteuropa e.V., Berlin; sie unterstützt russische Wissenschaftler:innen.
- Dr. Tuba İnal-Çekiç Fellow am Center for Comparative Research on Democracy (CCRD) an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitgründerin der Off-University: Organisation für den Frieden e.V., die sich für Forschende und Studierende weltweit einsetzt, die mit autoritären Regimen konfrontiert sind.
- Dr. Oksana Zaporozhets, Senior-Researcher am Georg-Simmel Center for Metropolitan Studies und Mitglied der Off-University.
- Christina Rogers, Programmleiterin von „Academics in Solidarity“ (AiS) an der Freien Universität Berlin; das Mentoring-Programm richtet sich insbesondere an Geflüchtete und Forschende in Gefahr.
Follow-Up und Format
Ein erstes Folgeformat der neuen Reihe ist für den 24. Januar 2024 geplant und steht unter dem Titel „Academia and Democracy – Why is freedom of inquiry essential for a democratic political culture?“ Die neue auf Publikumsteilhabe ausgerichtete Veranstaltungsreihe „Freiheit in der Wissenschaft schützen / Protecting Academic Freedom“ der ZEIT-Stiftung und der VolkswagenStiftung setzt sich in internationaler Perspektive mit Formen der Bedrohung von Wissenschaftler:innen und den Möglichkeiten ihres Schutzes auseinander. Die Veranstaltungen richten sich ebenso an die interessierte Öffentlichkeit wie an Studierende und Mitarbeitende der Berliner Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie an Mitglieder von Initiativen und Netzwerken zum Schutz von Wissenschaftler:innen.
Weitere Informationen:
http://Weitere Informationen auch unter: www.zeit-stiftung.de/news2021/278