Guter Start ins Leben: Wie UPlusE die psychische Gesundheit von jungen Familien verbessert
In der Praxis ist das vom Innovationsausschuss beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit 4,6 Mio. Euro geförderte Projekt „UPlusE“ bereits am 1. August 2023 gestartet. Den offiziellen Startschuss gab es jetzt beim ersten Netzwerktreffen aller beteiligten Konsortial- und Kooperationspartner im Klinikum Nürnberg.
Im Rahmen einer ganztägigen Veranstaltung mit Vorträgen und Workshops beleuchteten die Teilnehmenden aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen die Zielsetzung und Perspektiven des Projekts. UPlusE soll werdenden Müttern und Familien in teilnehmenden Praxen ab Februar 2024 wertvolle Hilfe leisten, indem es dank eines App-basierten Screenings Depressionen rund um Schwangerschaft und Geburt frühzeitig aufspüren kann.
Rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren der Einladung ins Klinikum Nürnberg gefolgt, darunter Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten sowie Vertreterinnen und Vertreter der Verbände, Gesellschaften, von pro familia und dem Bündnis gegen Depression Würzburg.„Forschung mit Praxisbezug und Patientennutzen – das schreiben wir am Klinikum Nürnberg und der Paracelsus Medizinischen Privatuniver-sität PMU Nürnberg groß“, so Prof. Dr. Achim Jockwig, Vorstand Medizin und Strategie sowie Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg, in seinem Grußwort. „Wenn wir sehen, wie viele Frauen während Schwangerschaft und Geburt unerkannt an einer Depression erkranken, belegt das die Bedeutung eines Projekts wie UPlusE, das hier Abhilfe schaffen soll. Ich bin sehr dankbar, dass unser Engagement vom G-BA so großzügig gefördert wird, und ich wünsche allen Beteiligten viel Erfolg bei der weiteren Ausarbeitung.“
Auch der Vorstandsvorsitzende vom BKK Landesverband Bayern, Dr. Ralf Langejürgen, betonte das große Potenzial, das UPlusE mit Blick auf mehr Patientenwohl verspricht: „Uns Betriebskrankenkassen ist wichtig: Wochenbettdepressionen gehören aus der Tabuzone heraus, damit sie früh erkannt und behandelbar werden, deshalb sind wir bei UPlusE dabei.“
Und Dr. Michael Hubmann, designierter Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen e. V. (BVKJ) ergänzt: „UPlusE ist ein schönes Beispiel für sektoren- und fachgruppenübergreifende Versorgung. Wir erwarten eine Verkürzung der für die Familien oft belastenden Zeit bis zur Diagnosestellung einer peri- oder postpartalen Depression, eine Vermeidung diagnostischer Irrwege sowie eine Entlastung des medizinischen Systems.“
Wochenbett-Depressionen können schwere Verläufe haben
Das sind die Fakten: Etwa 15 Prozent der Mütter und fünf Prozent der Väter leiden in der Zeit rund um die Geburt an Depressionen und Angststörungen. Anders als der harmlose Baby-Blues sind Wochenbett-Depressionen schwere Erkrankungen, die nicht selten schon in der Schwangerschaft beginnen. Neben den negativen Auswirkungen für die gesamte Familie, insbesondere auch für die Entwicklung der Kinder, sind schwere Folgen und sogar Suizide möglich. Und ein weiteres Problem: Oft bleiben die sogenannten peripartalen Depressionen unentdeckt. „Das Thema ist schambesetzt und wird von den Betroffenen nicht angesprochen“, erklärt Dr. Susanne Simen, Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiterin der Mutter-Kind-Tagesklinik des Klinikums Nürnberg –
sie zeichnet gemeinsam mit Chefarzt Prof. Dr. Christoph Fusch von der Nürnberger Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche für die Leitung des deutschlandweiten Projekts verantwortlich. „Unbehandelt zeigen sich häufig jahrelange Krankheitsverläufe, die sowohl für die erkrankten Elternteile als auch für die Partner und die Kinder ein hohes Maß an Leiden bedeuten. Dabei lassen sich gerade die peripartalen Depressionen oft gut behandeln – wenn sie frühzeitig erkannt werden. Der Bedarf an Früherkennung gekopppelt an Frühbehandlung ist groß.“
Vernetzte Versorgung und Unterstützung per App
Wie aber können peripartale Depressionen frühzeitig erkannt und be-handelt werden? Indem die werdenden Familien bei den obligatorischen Vorsorgeuntersuchungen mit befragt werden. „Die Abkürzung UPlusE steht für U-Untersuchung für Kinder PLUS Eltern beim Pädiater zur Förderung der kindlichen Entwicklung mit Impuls aus frauenärztli-cher Schwangerenvorsorge“, so Dr. Simen weiter. Die Idee: Werdende Eltern und junge Familien werden in den Praxen, zum Beispiel beim Frauen- oder Kinderarzt, über die bereits etablierten und bewährten Praxis-Apps mit standardisierten Fragebögen zu ihrem psychischen Befinden oder bestehenden Belastungen befragt. Je nach Screening-Ergebnis kann gezielte Hilfe angeboten werden – integriert in das Projekt sind auch Expertinnen und Experten aus der Psychiatrie, der Psychosomatik, aber auch Frühe Hilfen, Schwangeren- und Erziehungsbe-ratungen sowie im Hintergrund die Hebammen.
In der Praxis ist das System gut umsetzbar, wie der Rother Kinder- und Jugendarzt Dr. Ronny Jung, ein wichtiger Motor und Partner in dem Projekt, berichtet. „Wir beteiligen uns bereits seit über zwei Jahren aktiv an dem Projekt. So waren wir schon in die Pilotstudie ‚Screening für Wochenbett-Depressionen‘ in Nürnberg eingebunden. Wir haben das Screening sowie die anschließenden Auswertungen und Gespräche sehr gut in den Praxisablauf integriert. Jetzt muss unser Ziel sein, die Screenings flächendecken einzuführen und in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen einzubinden.“ Mit seinen Grußworten vertritt Jung beim Projekttreffen den Bundesvorstand der BVKJ e. V. Als Vorstandsmitglied hat er maßgeblich den BVKJ überzeugt, dass UPlusE ein wichtiges Projekt für die Pädiatrie ist.
Seit August 2023 laufen die Vorbereitungen. Ab Februar 2024 wird in teilnehmenden Praxen die neue Versorgungsform angeboten. Insgesamt sollen dann bis Mitte 2026 bundesweit 10.000 Mütter und Väter mit diesen zusätzlichen Angeboten versorgt werden. Finanziert wird das Projekt vom Innovationsfonds des G-BA, also aus Mitteln der ge-setzlichen Krankenkassen und des Gesundheitsfonds. Im Rahmen der Studie wird die Leistung zunächst nur BKK-Versicherten zur Verfügung stehen. Zeigen die neuen Angebote ausreichend positive Effekte, so führt das zu der Möglichkeit, dass diese in Zukunft allen gesetzlich Versicherten im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen angeboten werden können.
Ein Beispiel aus der Praxis: Wenn das Wunder zum Albtraum wird
Warum UPlusE für die betroffenen Frauen und Familien so wichtig sein kann, zeigt das Beispiel von Viola Tamm. Per Video zugeschaltet blickte die Sängerin, Songwriterin und Bloggerin im Gespräch mit ihrer ehemaligen Ärztin Prof. Dr. Sarah Kittel-Schneider (heute Lehrstuhlinhaberin für Psychiatrie am University College Cork in Irland) auf die Zeit zurück, in der sie selbst psychische Probleme in der Schwangerschaft bekom-men hatte – als das Wunder zum Albtraum wurde, wie sie sagt. Als Schirmherrin des Bündnisses engagiert sich die 1982 geborene Hessin unter anderem mit ihrem Blog „Balsam für die Seele“ dafür, dass Betroffenen frühzeitig mit einer verbesserten Prävention, Diagnostik und Behandlung geholfen wird – und dass Depressionen grundsätzlich entstigmatisiert werden.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Susanne Simen,
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Klinikum Nürnberg
E-Mail: susanne.simen@klinikum-nuernberg.de