Wie kann die Wissenschaft Transformationen mitgestalten? Policy Paper zu Wissenstransfer zeigt neue Wege auf
Damit Wissenstransfer aus Hochschulen und Instituten wirksam zur Bewältigung gesellschaftlicher und ökologischer Transformationen beiträgt, muss er neu aufgestellt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung, das die Rolle von Hochschulen in Innovationsprozessen untersucht hat. Die Ergebnisse wurden in einem Policy Paper zusammengefasst, das am heutigen Mittwoch dem 8. November bei einer Veranstaltung in Erkner vorgestellt wurde. Zentrale Forderungen sind eine Zuwendung zur Zivilgesellschaft als Zielgruppe von Transfer, die Abkehr von reiner Technologie-Orientierung und die Öffnung der Hochschulen für Impulse aus der Praxis.
Erkner. Auf dem 55. Brandenburger Regionalgespräch des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) zum Thema „Was heißt hier Transfer? Wissenschaftliche Einrichtungen und ihre Rolle für die regionale Entwicklung“ diskutierten heute Fachleute aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik, wie das Wissenschaftssystem die Gesellschaft beim Umgang mit aktuellen Herausforderungen wie dem Klimawandel und der sozialen Spaltung zwischen Stadt und Land unterstützen kann. Suntje Schmidt, Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Ökonomie und Zivilgesellschaft“ des IRS, stellte bei dieser Gelegenheit das Policy Paper „Wissenstransfer als kritische Infrastrukturierung: Vier Thesen zur Gestaltung von Wissenstransfer als Zusammenspiel von Wissenschaft und gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit“ vor.
Laufend in Kontakt mit der Gesellschaft
Die Autor*innen des Policy Papers, Suntje Schmidt und Tim Rottleb, kommen zu dem Schluss, dass evidenzbasiertes Handeln heute für die Gesellschaft unverzichtbar ist, wie beispielsweise die Corona-Pandemie gezeigt hat. Die Forschung nimmt deshalb die Rolle einer kritischen Infrastruktur für die Gesellschaft ein. Zugleich wird der klassische Weg, Wissen in Form von Patenten, Publikationen oder Beratung in die Praxis zu „transferieren“, den heutigen Bedarfen nicht gerecht. „Wir wollen Wissenstransfer nicht mehr als Einbahnstraße verstehen. Die Wissenschaft muss laufend mit der Gesellschaft in Kontakt sein und sich in Transformationsprozesse einbringen, offen und agil. Deshalb sprechen wir von Wissenstransfer als kritischer Infrastrukturierung“, sagt Suntje Schmidt.
Mit Communities und Initiativen arbeiten
So sollte der Wissenstransfer seinen bisherigen Fokus auf Technologie und wirtschaftliche Verwertung überwinden und „soziale Innovationen“, also die gesellschaftliche Verankerung neuer Problemlösungen, anvisieren. Entsprechend sollen neben Unternehmen vielfältige gesellschaftliche Akteure, von der Stadtverwaltung bis zur Dorfinitiative, als Partner für den Wissenstransfer verstanden werden. Wissenschaft und Praxis sollen dabei gleichberechtigt voneinander lernen und Probleme als Gelegenheiten für Innovationen begreifen. Als ideale Form der gemeinsamen Arbeit an Problemen skizziert das Paper „Communities of Practice“: Gruppen von Menschen aus unterschiedlichen Organisationen, die sich um eine konkrete praktische Herausforderung versammeln und langfristig daran arbeiten. Solche Communities aufzubauen und zu pflegen soll demnach als Aufgabe von Wissenstransfer begriffen und in der Wissenschaft verankert werden.
Das Wissenschaftssystem öffnen
Um diese Neuausrichtung zu erreichen sind nach Auffassung von Schmidt und Rottleb neue Strukturen von Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen nötig. Unter anderem soll bei Berufungen auf Professuren das Engagement für den Wissenstransfer gewürdigt werden. Hochschulen sollten außerdem Forschung und Lehre für den Transfer öffnen. Auch Menschen, die lange in der Praxis tätig waren und nun über Reformen in ihrem Feld nachdenken wollen, sollen im Wissenschaftssystem willkommen sein – über Promotionsstellen, Lehrtätigkeit und Fellowships.
Das Policy Paper basiert auf den Erkenntnissen des Projekts „Open Region: Regionale Problemlagen als Ausgangspunkte von Innovationen“, ein Teilprojekt der Innovativen Hochschule „Innovation Hub13 – fast track to transfer“. Es lief von Januar 2018 bis Dezember 2022 und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die im Papier formulierten Thesen wurden vom Team des „Open Region“-Projekts in einem Policy Lab Ende 2022 gemeinsam mit Akteuren aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft entwickelt.
Über das IRS
Das Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner untersucht die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen Veränderungen und der Transformation von Räumen. Es berät Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft, um die zukunftsfähige Entwicklung von Dörfern, Städten und Regionen zu fördern und sozialräumliche Ungleichheit zu lindern. Dafür arbeiten über 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Wirtschafts- und Sozialgeographie, Politikwissenschaft, Soziologie, Planungswissenschaft, Geschichtswissenschaft sowie der Kunst- und Architekturgeschichte als interdisziplinäres Team zusammen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Suntje Schmidt
Leiterin des Forschungsschwerpunkts "Ökonomie und Zivilgesellschaft"
suntje.schmidt@leibniz-irs.de
03362 793-172
Originalpublikation:
Schmidt, Suntje & Rottleb, Tim (2023): Wissenstransfer als kritische Infrastrukturierung: Vier Thesen zur Gestaltung von Wissenstransfer als Zusammenspiel von Wissenschaft und gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit. Policy Paper. IRS Dialog 3/2023. Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung. https://leibniz-irs.de/fileadmin/user_upload/231017_PolicyPaper4-23.pdf
Weitere Informationen:
https://leibniz-irs.de/fileadmin/user_upload/231017_PolicyPaper4-23.pdf
https://leibniz-irs.de/aktuelles/default-00cb0966d0/11/was-heisst-hier-transfer-wissenschaftliche-einrichtungen-und-ihre-rolle-fuer-die-regionale-entwicklung