Wie sich Einsamkeit auf unser Leben auswirkt
Die Universität Witten/Herdecke beruft Prof. Dr. Susanne Bücker auf die Professur für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie.
Sind junge Erwachsene heute einsamer als vor 30 Jahren? Kann man Einsamkeit bei Kindern messen? Und wie entwickelt sich Zufriedenheit im Laufe des Lebens? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Prof. Dr. Susanne Bücker in ihrer Forschung. Nun wurde sie auf die Professur für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) berufen.
In ihrer entwicklungspsychologischen Forschung konzentriert sich Prof. Bücker auf die Spanne von der späten Kindheit bis ins hohe Lebensalter und nimmt vor allem die sozio-emotionalen Phänomene Einsamkeit und Selbstwert in den Blick. So hat sie beispielsweise untersucht, wie sich das Einsamkeitsempfinden im Laufe des Lebens verändert: Vor allem das junge Erwachsenenalter (18 bis 29 Jahre) und das hohe Lebensalter (ab 80 Jahre) stellen Risikophasen dar, in denen Menschen sich häufiger einsam fühlen als in anderen Lebensabschnitten. „Dieser Befund erscheint vielen zunächst überraschend, weil junge Erwachsene stark vernetzt sind und scheinbar alle Möglichkeiten haben. Trotzdem sind viele junge Menschen offenbar unzufrieden mit ihren sozialen Beziehungen oder fühlen sich nicht verstanden“, so die Wissenschaftlerin.
Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen messbar machen
Zurzeit entwickelt sie mit ihrem Team außerdem einen Fragebogen, um Einsamkeit bei Kindern und Jugendlichen zu messen; zu diesem Thema gibt es im deutschen Sprachraum bislang nur wenig Forschung. In den kommenden Monaten soll der Fragebogen in einer größer angelegten Validierungsstudie getestet werden. Dann wird es auch darum gehen, welche Rolle Persönlichkeitseigenschaften von Kindern spielen – ob schüchterne Kinder zum Beispiel anfälliger für Einsamkeitsgefühle sind. „Während wir von zurückhaltenden Erwachsenen bereits wissen, dass sie sich häufig nach mehr Kontakt sehnen, gibt es dazu von Kindern noch keine Forschungsergebnisse“, erklärt Prof. Bücker.
Zum Thema Einsamkeit hat sie als wissenschaftliche Sachverständige auch zwei Jahren lang in einer Enquete-Kommission im NRW-Landtag gearbeitet. Die Expert:innen haben evidenzbasierte Empfehlungen an die Landesregierung gegeben, wie Vereinsamung in unterschiedlichen Altersgruppen bekämpft und wie das Thema in Ausbildungscurricula von Pflege- und pädagogischen Fachkräften integriert werden kann. Denn die jahrelange Forschung habe gezeigt, dass Menschen, die sich chronisch einsam fühlen, nicht nur ein erhöhtes Risiko für Depression oder Angststörungen haben, sondern auch für Schlaganfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Demenz. „Das ist in der Wissenschaft inzwischen bekannt, in der Gesundheitspolitik aber noch nicht ausreichend angekommen“, so Bücker. „Ich plädiere stark dafür, deutlich mehr Präventionsarbeit zu leisten.“
Die Theorie der Midlife-Crisis kann wissenschaftlich nicht bestätigt werden
In vergangenen Studien hat sich die Forscherin auch ganz allgemein mit der Frage beschäftigt, wie zufrieden Menschen mit ihrem Leben sind, wie sich die Zufriedenheit im Laufe des Lebens entwickelt und ob es tatsächlich eine Midlife-Crisis gibt. Das Ergebnis: „Zur Lebensmitte sehen wir keine Abnahme der Lebenszufriedenheit, was gegen die Theorie einer Midlife-Crisis spricht. In der Pubertät fällt das Wohlbefinden dagegen deutlich ab“, berichtet Bücker. „Es ist eine turbulente und fordernde Lebensphase, in der körperlich natürlich auch viel passiert.“ Nach der Pubertät steige die Lebenszufriedenheit dann kontinuierlich leicht an; ein Trend, der sich erst im hohen Alter ab etwa 70 Jahren wieder umkehre.
Nach Stationen an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Ruhr-Universität Bochum lehrt Prof. Bücker derzeit an der UW/H im Bachelor-Studiengang Psychologie. „Viele Psychologie-Studierende aus Witten berichten, dass sie später als Therapeut:innen arbeiten möchten. Sehr viele psychischen Störungen – auch die, die erst im Erwachsenenalter diagnostiziert werden – haben ihre Anfänge in der Kindheit und Jugend. Deshalb braucht man ein entwicklungspsychologisches Grundverständnis, um die Bedarfe der Patient:innen gut adressieren zu können. Das bekommen sie in Vorlesungen und interaktiven Seminaren zur Entwicklungspsychologie und Pädagogischen Psychologie an die Hand.“