Hochschulbildung als Katalysator für den Wandel in Krisenregionen
In Kooperation mit dem jesuitischen Bildungswerk „Jesuit Worldwide Learning – Higher Education at the Margins“ (JWL) bietet die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) in Krisenregionen und Armutsgebieten vor Ort die Möglichkeit zur Hochschulbildung. Eine detaillierte Befragung unter Absolventinnen und Absolventen in Ländern wie dem Irak, Afghanistan oder Kenia zeigt nun, welchen Wert solche Angebote nicht nur für die Studienden selbst, sondern auch innerhalb ihrer Gemeinschaften haben.
Ein Angebot der KU ist das „Learning-Facilitator-Programm“, welches mittlerweile rund 500 Absolventinnen und Absolventen in zehn verschiedenen Ländern wie dem Irak, Afghanistan, Kenia oder Sri Lanka zählt. Der 24-wöchige Kurs vermittelt den Studierenden die Kompetenzen, zu Lehrkräften zu werden, die einen schülerzentrierten Unterricht innerhalb und außerhalb von Schulen gestalten können. Und dies in Weltregionen, in denen der Zugang zu einem Lehramtsstudium die Ausnahme ist. Der Lernstoff wird sowohl online als auch vor Ort in Lernzentren vermittelt. Wie die JWL-Studie darlegt, fungieren die Studierenden als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren von Bildung in ihrem Umfeld. „Die Rückmeldungen der Absolventinnen und Absolventen bestätigen unsere Zielsetzung: Das Angebot erweist sich als Katalysator für den Wandel und macht Lehrkräfte zu Führungspersönlichkeiten, die auch über das Klassenzimmer hinaus wirken“, betont KU-Präsidentin Prof. Dr. Gabriele Gien.
Das Learning-Facilitator-Programm befähige Lehrerinnen und Lehrer auch dazu, zum Wohlergehen und Wachstum sowie einer Kultur des Lernens beizutragen, die Engagement in der Gemeinschaft und gemeinsame Verantwortung fördere. Prof. Dr. Rowena Roppelt, die an der School of Transformation and Sustainability der KU die Zusammenarbeit mit JWL gemeinsam Dr. Marina Tsoi und weiteren Mitarbeiterinnen koordiniert, ergänzt: „Unsere Absolventinnen und Absolventen sind – wie sie schildern – in der Lage, Konflikte zu lösen und Zusammenarbeit zu fördern. Sie fühlen sich gestärkt und sind starke Vorbilder, die Normen in Frage stellen.“ Im laufenden Wintersemester hätten sich allein in Afghanistan 58 Studierende für das Learning Facilitator-Programm eingeschrieben, darunter 51 junge Frauen. „Und das trotz aller Widrigkeiten, die die Bildungspolitik der Taliban mit sich bringt, die alle Mädchen ab 12 Jahren von der Hochschulbildung ausschließt. Das Learning Facilitator-Programm ist eine Antwort auf den enormen Bedarf, jungen Frauen Zugang zu einer Berufsausbildung zu verschaffen und sie zu befähigen, ihre jüngeren Schwestern und Brüder in ihren Dörfern zu unterrichten“, so Roppelt.
Für die nun abgeschlossene Studie zur Wirksamkeit dieses Bildungsangebotes wurden rund 50 Absolventinnen und Absolventen in Afghanistan, Guyana, Indien, Irak, Kenia und Malawi befragt. Die Teilnehmenden schildern tiefgreifende Veränderungen im Vergleich zur Unterrichtspraxis, die sie selbst erlebt haben. „Wir sollten eine lernfreundliche Umgebung schaffen und flexibler sein, weil jeder Schüler seine eigene Art zu lernen hat“, äußerte ein Absolvent. Ein anderer Befragter, der den Kurs im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma absolviert hat, schildert, dass er seine Unterrichtspraxis nun gewaltfrei gestaltet: „Früher neigte ich dazu, sehr aggressiv zu sein […]. Jetzt jedoch genieße ich eine ausgezeichnete Beziehung zu meinen Schülern, da sich meine Unterrichtstechniken von damals bis heute deutlich gewandelt und verbessert haben."
Die Absolventinnen und Absolventen setzen sich – wie die Befragung außerdem zeigt – häufig für den Zugang von Schülerinnen zur Bildung ein und dienen auch als Vorbilder. In Afghanistan hob eine Absolventin diese Rolle in ihrer Gemeinde hervor, indem sie Eltern dazu inspirierte, ihre Töchter zur Schule zu schicken. Indem sie die Vorteile der Mädchenbildung aufzeigte, trug sie dazu bei, die Einstellung zugunsten der Förderung eines geschlechtergerechten Lernumfelds zu verändern.
Die Befragten betonten außerdem, wie sich die Bereitstellung von Bildung auf die Stärkung der Gemeinschaft auswirkt. Ein Absolvent in Kenia erzählt: „Dieser Kurs hat mich dazu gebracht, mir neue Ziele zur Unterstützung von Gemeinschaft zu setzen. In meinem Dorf lernen die meisten Kinder nicht oder sie gehen nicht zur Schule. Als ich diesen Kurs begann, [...] bat mich mein Betreuer vor Ort, die Menschen in ihrem Dorf zu unterrichten. [...] Dieser Kurs hat also wirklich eine Menge Veränderung in mir bewirkt." Und das Learning-Facilitator-Programm eröffnet auch den Studierenden selbst Perspektiven, die für sie bislang nicht erreichbar erschienen: „Meine Eltern konnten es sich nicht leisten, mich zum College zu bringen, ich bin jetzt in der Lage, das Ziel meiner Eltern zu erreichen. Sie möchten diesem Projekt und dem Gründer dieses Kurses dafür danken, dass sie das getan haben, was sie nicht für mich tun konnten.“
Das Learning Facilitator-Programm wird in einem Blended-Learning-Format angeboten. Die Kursinhalte sind über eine webbasierte Schulungsplattform oder über die JWL Global ELearning App zugänglich, über die sich die Inhalte auch für die Offline-Nutzung heruntergeladen lassen. Während des gesamten Kurses müssen die Studierenden wöchentliche Aufgaben einreichen, die Erfahrung, Reflexion und Aktion miteinander verbinden. Dazu gehört auch der Erfahrungsaustausch in einer globalen Gemeinschaft von Lernenden, die Studierende aus verschiedenen gemeinschaftlichen Lernzentren in einem virtuellen globalen Klassenzimmer verbindet.
Während des gesamten Programms führen die Teilnehmer ein Abschlussprojekt und ein Praktikum durch, bei dem sie die pädagogischen Grundsätze und Praktiken in ihrer Lehrtätigkeit anwenden, um einen bestimmten Bedarf in ihrer Gemeinde zu decken. Learning Facilitator-Studierende sind regelmäßig in Kontakt mit Online-Moderatoren der KU, die für die akademische Betreuung durch Feedback und die Benotung jedes Studierenden zuständig sind. Die Studierenden profitieren auch von der Unterstützung vor Ort, denn ein Lernmoderator ist dafür zuständig, die Diskussionen zweimal wöchentlich in einem Lernzentrum zu leiten. Durch diese Präsenztermine werden die Studierenden ermutigt, relevante Themen mit ihren Kurskollegen zu diskutieren und die Relevanz der Kursinhalte in ihrem lokalen Kontext zu erkennen.
Mehr Informationen zum Learning-Facilitator-Programm finden sich auf der Homepage der School of Transformation and Sustainability der KU unter www.ku.de/sts/studienangebote. Die ausführliche Studie in englischer Sprache ist verfügbar unter www.jwl.org/news-media.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rowena Roppelt (rowena.roppelt@ku.de)