Vertrauen: Basis wird in der Kindheit gelegt
Das Vertrauen in andere nimmt während des Heranwachsens zu, Erfahrungen aus der Kindheit spielen dabei eine zentrale Rolle. Das zeigt eine Studie unter der Leitung der Würzburger Psychologieprofessorin Andrea Reiter.
Vertrauen ist ein elementarer Bestandteil des Lebens. Das Vertrauen in uns selbst ebenso wie das Vertrauen in andere. Ob Eltern, Partnerinnen und Partner, Kolleginnen und Kollegen – Vertrauen bildet häufig eine Grundlage für funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen.
Ein wichtiger Grundstein für die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, wird bereits in der Kindheit gelegt. Das hat nun ein Team von Forschenden unter der Leitung von Psychologin Andrea Reiter in einer mehrjährigen Studie herausgefunden. An der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) hat Reiter die Professur für Psychotherapie und Interventionspsychologie inne. Zusätzlich leitet sie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) eine Arbeitsgruppe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.
Mit dem Alter wächst das Vertrauen
In der Studie wurden insgesamt 570 Teilnehmende zwischen 14 und 25 Jahren befragt, bei einem Experiment wurde außerdem gemessen, wie sehr die Probandinnen und Probanden anderen vertrauen. Nach eineinhalb Jahren folgten Follow-ups, bei den Fragebögen noch ein weiteres nach mehr als zwei Jahren. Ein erstes spannendes Ergebnis: Mit dem Übergang ins Erwachsenenalter nahm die Fähigkeit zu vertrauen im Experiment zu. „Das deutet darauf hin, dass wir mit zunehmendem Alter tendenziell offener dafür werden, den Menschen um uns herum zu vertrauen“, so Andrea Reiter.
Noch faszinierender sei in den Augen der Psychologin die Erkenntnis, dass diese Veränderung auf eine geringere Abneigung gegenüber sozialen Risiken zurückzuführen sei. „Mit zunehmendem Alter wurden die Teilnehmenden weniger vorsichtig und waren so eher bereit, ihr Vertrauen in andere zu setzen“, erklärt Reiter.
Vertrauen als Resilienzfaktor
Die Studie zeigte weiterhin, dass das Maß an Vertrauen auch mit den familiären Umständen zusammenhänge. So entwickelten diejenigen, die angaben, mehr familiäre Widrigkeiten – wie etwa Gleichgültigkeit, wenig Wärme, Missbrauch oder übermäßige Kontrolle von Seiten der Eltern – erlebt zu haben, weniger Vertrauen. Sie zeigten im Experiment zudem eine Tendenz, ihr Gegenüber bei unkooperativem Verhalten zu bestrafen und versuchten seltener, Vertrauen zurückzugewinnen.
Für Andrea Reiter besonders interessant war hier der Umstand, dass im Laufe der Zeit gerade diejenigen, die zum ersten Messzeitpunkt bedingungsloses Vertrauen zeigten, obwohl sie gleichzeitig mit erheblichen Widrigkeiten in der Familie konfrontiert gewesen waren, allgemein bessere Beziehungen zu Gleichaltrigen entwickelten.
„Das deutet darauf hin, dass Vertrauen ein Resilienzfaktor sein kann, der Menschen hilft, trotz schwieriger familiärer Verhältnisse, stärkere Beziehungen aufzubauen“, erläutert die Forscherin.
Adoleszenz als sozial sensible Phase
Die Ergebnis untermauern eine alte Hypothese, dass frühere Erfahrungen mit den Eltern sehr wichtig sind, weil sie auch die Grundlage für die spätere Entwicklung von Vertrauen in andere Menschen legen könnten.
Die Adoleszenz bildet eine sozial besonders sensible Phase, weiß Andrea Reiter: „Das Jugendalter ist eine Zeit voller sozialer Umbauprozesse. Hier erfolgt die Ablösung von der Familie und das Etablieren eigener Kontakte und Freundschaften stellt eine wichtige Entwicklungsaufgabe dar. Die Fähigkeit, anderen zu vertrauen, scheint deshalb für Jugendliche hochrelevant zu sein.“
Die gewonnen Erkenntnisse verdankt das Team auch der Auswertung der Studie mithilfe eines mathematischen Modells, der computationalen Modellierung. So fanden die Forschenden heraus, welche Mechanismen der Entwicklung der Vertrauensbildung zugrunde liegen. Die nachgewiesen wegweisende Funktion der Eltern-Kind-Beziehung wirft dementsprechend beispielsweise die Frage auf, wie Eltern früh möglichst positiv Einfluss auf diese nehmen können.
In aktuellen Untersuchungen beschäftigt sich Andrea Reiter gezielt mit Jugendlichen, die an psychischen Problemen leiden, welche ihnen den Aufbau stabiler soziale Beziehungen erschweren: „In Zusammenarbeit mit der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Würzburg testen wir derzeit die Fähigkeit von Jugendlichen, die an einer psychischen Erkrankung leiden, Vertrauen in andere auszubilden.“ Auch hier kommt die mathematische Modellierung zum Einsatz.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andrea Reiter, Professur für Psychotherapie und Interventionspsychologie, Institut für Psychologie, E-Mail: andrea.reiter@uni-wuerzburg.de
Originalpublikation:
Andrea M. F. Reiter, Andreas Hula, Lucy Vanes, Tobias U. Hauser, Danae Kokorikou, Ian M. Goodyer, NSPN Consortium, Peter Fonagy, Michael Moutoussis & Raymond J. Dolan: Self-reported childhood family adversity is linked to an attenuated gain of trust during adolescence in Nature Communications. Oct. 30th 2023. DOI: 10.1038/s41467-023-41531-z