MATH+ Team liefert neue Erkenntnisse zur HIV-Prävention bei Cisgender Frauen
Ein internationales und interdisziplinäres Team unter der Leitung von MATH+ Professor Max von Kleist hat neue Erkenntnisse zur HIV-Prävention bei cisgender Frauen in "Nature Medicine" veröffentlicht. Im Mittelpunkt der Studie steht der Selbstschutz mittels Präexpositionsprophylaxe (PrEP), welches eine wesentliche Säule der HIV-Prävention bildet.
Global gesehen treten die meisten HIV-Infektionen bei jungen Frauen in ärmeren Ländern der Welt auf, wo bis zu 25% der Frauen mit dem HIV-Virus infiziert sein können. Für heterosexuelle Frauen stellt die Prävention mittels Präexpositionsprophylaxe (PrEP) mit den Wirkstoffen emtricitabine/tenofovir eine der wenigen Möglichkeiten dar, sich selbstbestimmt vor HIV zu schützen. Darüber hinaus ist es ein sehr günstiges Mittel, das auch in Ressourcen-ärmeren Ländern verfügbar ist.
Während aber PrEP bei homosexuellen Männern bereits seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt wird, ergaben klinische Studien ein „extrem uneinheitliches Bild bezüglich der vermeintlichen Wirksamkeit von PrEP bei Frauen“, so von Kleist. Die Ergebnisse dieser klinischen Studien führten daraufhin zu Verunsicherung bezüglich der Bewertung der PrEP, was direkte Auswirkungen auf die entsprechenden WHO-Empfehlungen hatte, sowie auf die generelle Akzeptanz der PrEP bei Frauen.
Ein internationales und interdisziplinäres Team, geleitet von MATH+ Professor Max von Kleist (Freie Universität Berlin und Robert-Koch-Institut/RKI), erforscht dieses Thema seit zwölf Jahren und hat die vermeintlich uneinheitliche Wirksamkeit der HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bei Männern und Frauen tiefgehend untersucht. Die Wissenschaftler*innen aus den Disziplinen Medizin, Public Health, Pharmakologie und Mathematik entwickelten neue Modellierungsansätze und statistische Tests auf Grundlage der klinischen Daten.
Im Gegensatz zu einer Impfung müssen Probanden das PrEP-Medikament regelmäßig aktiv selbst einnehmen. Die Forscher fanden heraus, dass ein Teil der Frauen in klinischen Studien die Medikamente gar nicht einnahm, und damit auch keine Schutzwirkung erzielen konnten. Diesen Anteil konnten die Forscher zunächst „herausrechnen“, da er ansonsten Abschätzungen zur biologischen Wirksamkeit der PrEP verfälscht hätte. Dann entwickelten sie neuartige Methoden, um Konfidenzbereiche (Vertrauensintervalle) zu der Wirksamkeit von PrEP bei Frauen anhand der verfügbaren klinischen Studien zu schätzen. Konfidenzbereiche geben an, in welchem Bereich der tatsächliche Wert mit hoher Wahrscheinlichkeit liegt. Im Anschluss daran integrierten sie in einem unabhängigen mathematischen Modellierungsansatz alle zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Daten, um Hypothesen zu simulieren, die zuvor zur Erklärung der unterschiedlichen Wirksamkeit von PrEP bei Männern im Vergleich zu Frauen formuliert wurden. Dieser duale Ansatz ermöglichte es, verschiedene Hypothesen mithilfe statistischer Tests unter Verwendung der klinischen Daten zu (in-)validieren (siehe Graphik).
Die Untersuchung ergab, dass PrEP bei Frauen sehr wohl das HIV-Infektionsrisiko äußerst effektiv reduziert (>90%), und dass es derzeit keinen Anhaltspunkt gibt, warum der Schutz vor HIV-Ansteckung mit PrEP bei heterosexuellen Frauen weniger effektiv sein sollte als bei homosexuellen Männern. Die Gründe für die vermeintlich unterschiedliche Wirksamkeit, so in der Studie nachzulesen, würden eher im PrEP-Einnahmeverhalten sowie in der Akzeptanz, als in der biologischen Wirksamkeit bei Frauen liegen. Diese Ergebnisse könnten für cisgender Frauen eine große Veränderung hinsichtlich der Wahrnehmung, und der Möglichkeiten des selbstbestimmten Schutzes vor HIV-Infektionen bedeuten.
Auf Grundlage dieser Studie besteht die Möglichkeit, dass die WHO künftig ihre Empfehlungen bezüglich der PrEP-Einnahme bei Frauen an diejenigen für Männer anpassen könnte. Wie es bereits seit langem bei homosexuellen Männern der Fall ist, könnten weitere Studien auch die Effektivität von PrEP bei einer "bedarfsorientierten" Einnahme (on-demand) untersuchen. Dieser Ansatz wäre im Alltag erheblich praktikabler als die bisherige Empfehlung der täglichen PrEP-Pilleneinnahme. Max von Kleist sagte dazu abschließend: „Nachdem es keine soliden Anhaltspunkte für eine unterschiedliche Wirksamkeit von PrEP bei Männern vs. Frauen gibt, wäre es deshalb folgerichtig, die Wirksamkeit von PrEP auch bei Frauen bei der „on-demand“ Dosierung zu erforschen, langfristig mehr Optionen des HIV-Selbstschutzes für Frauen zu schaffen, und somit einen stärkeren Rückgang von HIV in ärmeren Regionen zu bewirken“.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Max von Kleist (Freie Universität Berlin und Robert Koch-Institut Berlin)
vkleist@zedat.fu-berlin.de
http://systems-pharmacology.de/
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1038/s41591-023-02615-x
Weitere Informationen:
https://mathplus.de/ Das Forschungszentrum der Berliner Mathematik MATH+