Eingeschleppte Arten spiegeln weltweite Biodiversität wider: Studie zeigt enormes Potenzial für Zunahme invasiver Arten
16.11.2023/Kiel. Auf unseren globalisierten Handels- und Transportwegen verschleppen wir Menschen – ob absichtlich oder unabsichtlich – Pflanzen, Tiere, Bakterien oder Viren aus ihren ursprünglichen Verbreitungsgebieten in neue Lebensräume, wo sie zu großen Problemen führen können. Wie viele dieser gebietsfremden Arten es weltweit bereits gibt und welche Gruppen von Lebewesen besonders invasiv sind, hat eine Studie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel untersucht, die jetzt in der Fachzeitschrift Global Ecology and Biogeography erschienen ist.
„Alles, was existiert, kann irgendwann irgendwo gebietsfremd eingeschleppt werden“, sagt Dr. Elizabeta Briski. Die Meeresbiologin ist Expertin für Invasionsökologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Gemeinsam mit einem großen internationalen Team renommierter Ökolog:innen hat sie in einer Studie untersucht, ob die Anzahl eingeschleppter Arten proportional die globale Biodiversität widerspiegelt, oder ob bestimmte Artengruppen dazu neigen, sich häufiger außerhalb ihrer angestammten Lebensräume anzusiedeln. Die Ergebnisse sind jetzt in der Fachzeitschrift Global Ecology and Biogeography erschienen.
Von „invasiven Arten“, also „Eroberern“ spricht Briski nicht generell: „Invasoren, das sind die Bad Guys, das sind die, die Probleme verursachen.“ Diese Probleme können gewaltig sein: Biologische Invasoren können heimische Arten ausrotten, immense Kosten verursachen und Krankheiten verbreiten. Das muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein, weshalb Briski lieber neutraler von „gebietsfremden Arten“ spricht. Und deren Anzahl nimmt zu. Daher gebe es ein großes Interesse daran, die Ausbreitung umfassend zu verstehen und Vorhersagen über Ausbreitungsmuster zu ermöglichen, erklärt sie die Motivation ihrer Forschung.
„Wir sind der Frage nachgegangen, ob die Anzahl der gebietsfremden Arten Muster in der globalen Biodiversität widerspiegelt. Dann haben wir ermittelt, ob bestimmte Artengruppen überproportional oft eingewandert sind.“ Dazu haben die Forschenden eine umfassende Liste der bislang beschriebenen gebietsfremden Arten erstellt – es sind rund 37.000 weltweit – und diese nach der biologischen Taxonomie gruppiert – vom Stamm über die Klassen, Familien bis hin zur einzelnen Art und Unterart. Diese haben sie dann in Relation zur globalen Biodiversität gesetzt. Das Ergebnis: Egal ob mikroskopisch klein oder nilpferdgroß, ob an Land oder unter Wasser – von allen uns bekannten Lebewesen sind bislang im Durchschnitt etwa ein Prozent irgendwohin auf der Welt eingeschleppt worden oder eingewandert, wo sie ursprünglich nicht existierten.
„Natürlich ist die Datenlage zum Teil sehr unterschiedlich“, gibt Briski zu bedenken. Arten an Land seien generell besser untersucht als solche im Wasser. Größere Forschungsanstrengungen würden daher wahrscheinlich eine beträchtliche Anzahl neuer nichtheimischer Arten in marinen Lebensräumen zutage fördern. Auch andere wenig untersuchte Gruppen, wie etwa Mikroorganismen, würden in den Verzeichnissen nichtheimischer Arten bislang wahrscheinlich stark unterschätzt. „Außerdem gibt es in verschiedenen Ländern unterschiedlich viel Forschung dazu. Es ist also durchaus möglich, dass es zum Beispiel im tropischen Regenwald sehr viele gebietsfremde Arten gibt, von denen wir schlicht nichts wissen.“
Bei einigen Gruppen hat sich außerdem gezeigt, dass sie überproportional häufig außerhalb ihres angestammten Verbreitungsgebiets etabliert sind, darunter Säugetiere, Vögel, Fische, Insekten, Spinnen und Pflanzen. „Das sind meist die Arten, die vom Menschen absichtlich für die Landwirtschaft, den Gartenbau, die Forstwirtschaft oder einfach aus Liebhaberei eingeführt wurden.“ Und mit den gewollten Arten kämen immer auch ungewollte, beispielsweise als blinde Passagiere auf Schiffen. Briski: „Niemand wollte die Ratte bei sich ansiedeln, aber sie ist mit uns um die Welt gereist.“
Insgesamt deuteten ihre Ergebnisse auf ein enormes Potenzial für zukünftige biologische Invasionen in verschiedenen Artengruppen hin, resümieren die Ökolog:innen. Briski: „Wenn bislang nur ein Prozent der globalen Biodiversität betroffen ist, ist davon auszugehen, dass das Ausmaß noch erheblich zunehmen wird.“ Bemerkenswert sei dabei die Zufälligkeit: „Früher oder später kann jede Art auf irgendeine Weise mithilfe unserer Transportwege in Gebiete gelangen, zu denen sie natürlicherweise keinen Zugang hätte.“ Daher mahnen Briski und ihre Kolleg:innen dringend Maßnahmen an, um zukünftige Einschleppungen zu verhindern und die schädlichsten invasiven Arten, die bereits etabliert sind, unter Kontrolle zu bringen.
Originalpublikation:
Briski E., Kotronaki SG., Ross NC. Et al. (2023): Does Non-Native Diversity Mirror Earth’s Biodiversity? Global Ecology and Biodiversity
https://doi.org/10.1111/geb.13781
Weitere Informationen:
http://www.geomar.de/n9200 Bildmaterial zum Download
https://www.geomar.de/ebriski Forschungsgruppe Invasionsökologie im Forschungsbereich Marine Ökologie
Korrekturen
17.11.2023 11:47
Berichtigung: Der Name des Journals muss richtig heißen: Global Ecology and Biogeography.