Aus der Pandemie lernen
Am 17. und 18. November veranstaltet die Paul-Martini-Stiftung in Verbindung mit der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina das Symposium ‚Prävention und Therapie von COVID-19: Updates und Learnings‘. Geleitet wird es von Prof. Dr. Leif Erik Sander von der Charité – Universitätsmedizin Berlin zusammen mit Prof. Dr. Stefan Endres vom Klinikum der LMU München.
Professor Sander umreißt die zwei Ausrichtungen des Symposiums so: „Während der COVID-19-Pandemie haben wir in sehr kurzer Zeit einen enormen Wissenszuwachs erlebt und in Bezug auf die Entwicklung von wirksamen Medikamenten und Impfstoffen gegen neue Infektionserreger viel gelernt. Dieses Wissen muss sorgfältig analysiert werden, um auf zukünftige Infektionsausbrüche oder auf eine neue Pandemie noch besser vorbereitet zu sein. Neben den positiven Erkenntnissen müssen ebenso Rahmenbedingungen hinterfragt und Prozesse identifiziert werden, die sich in der Pandemiebekämpfung nicht bewährt haben. Das erfordert eine sorgfältige Bestandsaufnahme innerhalb der Medizin, der Wissenschaft, der pharmazeutischen Industrie, der regulatorischen Behörden und der Politik. - Aber auch COVID-19 selbst ist nicht aus der Welt. Zwar hat es den ganz großen Schrecken verloren, jedoch kommt es weiterhin zu vielen Infektionen. Einige Menschen erkranken auch heute noch schwer. Viele Menschen leiden zudem an Spätfolgen oder Komplikationen einer Infektion. Deshalb bleibt auch für diese Erkrankung die Entwicklung von effektiven Präventions- und Therapieoptionen vordringlich.“
In der Reflexion über die Pandemie sind viele Aspekte von Bedeutung: Dazu zählt, dass eine Impfstoff- oder Therapeutika-Entwicklung in Höchstgeschwindigkeit nur gelingen kann, wenn die Studiengenehmigungs- und Zulassungsverfahren mithalten – das wurde tatsächlich erreicht. Die Impfstoffe wurden breit eingesetzt und stellten den entscheidenden Durchbruch im Umgang mit der Pandemie dar, weil die Fallsterblichkeit und die Krankheitslast durch den Aufbau einer robusten Bevölkerungsimmunität massiv gesenkt werden konnten. Neue Therapeutika kamen in den Kliniken weithin zum Einsatz, in der ambulanten Versorgung oftmals jedoch nur lückenhaft: Gerade antivirale Therapien in der Frühphase der Infektion können das Erkrankungs- und Sterberisiko deutlich senken, jedoch blieben und bleiben nicht wenige Risikopatient:innen unbehandelt. Nicht-industrielle Therapiestudien wiederum wurden mitunter durch bürokratische Hürden oder Finanzierungsprobleme aufgehalten. Auch im Bereich der nicht-interventionellen Datenerhebungen und bevölkerungsweiten Studien schnitt Deutschland im internationalen Vergleich mäßig ab. Hier müssen dringend Rahmenbedingungen verbessert und die Digitalisierung des Gesundheitswesens umgesetzt werden. Das Symposium geht darauf in Vorträgen und in einer Podiumsdiskussion mit Vertreter:innen aus der Medizin und der Forschung, aus dem Paul-Ehrlich-Institut und von forschenden Unternehmen ein.
Entwicklung therapeutischer Medikamente
Weitere Vorträge auf dem Symposium stellen Trends in der Therapieentwicklung dar, die auch nach dem offiziellen Ende der Pandemie weiterlaufen. Das internationale Verzeichnis Pharmaprojects Database listet derzeit mehr als 650 laufende Arzneimittelprojekte zur COVID-19-Behandlung auf. Entwickelt werden sowohl weitere antivirale Medikamente wie auch Immunmodulatoren und andere Arzneimittel. Im Symposium wird es unter anderem um den künftigen Stellenwert von erregerspezifisch entwickelten antiviralen Antikörpern gehen. Mehrere Referent:innen gehen auch auf besondere Risikogruppen und spezielle Therapiesituationen ein, etwa im Fall von Corona-infizierten Krebspatient:innen.
Post-COVID-Syndrom
Einige Vorträge des Symposiums wenden sich dem Post-COVID-Syndrom (PCS) zu. Unter diesem Oberbegriff werden heterogene Symptome zusammengefasst, die Menschen auch Wochen und Monate nach der akuten Infektion belasten und erheblich einschränken können. Als Ursachen werden unter anderem Entzündungen, Autoimmunität, Fehlregulation in der Durchblutung von Muskeln und Organen, in Geweben persistierende Coronaviren oder eine Reaktivierung anderer, im Körper latent vorhandener Viren (z. B. Epstein-Barr-Viren) vermutet. Sowohl an der Ursachenforschung als auch an Studien zu neuen Therapien mit (schon gegen andere Krankheiten zugelassenen) Medikamenten sind deutsche Kliniken beteiligt, u. a. in der „Nationalen Klinischen Studiengruppe ME/CFS und Post-COVID-19-Syndrom“. Neueste Ergebnisse und Erkenntnisse werden auf dem Symposium diskutiert.
Impfstoffe
In der Impfstoffentwicklung und -produktion gab es während der Pandemie große Fortschritte. Markantester Beleg dafür sind die weltweit ersten zugelassenen mRNA-Impfstoffe. Doch wurde und wird auch an zahlreichen anderen Impfstoffplattformen geforscht. Denn mit Blick auf die Zukunft besteht Bedarf an möglichst breit verfügbaren und an unterschiedliche Erreger adaptierbaren Impfstoffen. Zudem wird an Pan-Coronavirus-Impfstoffen geforscht, die möglichst gegen alle bekannten Coronaviren und deren Varianten schützen. Zudem werden Impfstoffe erprobt, die möglichst Infektionen und Infektiosität noch stärker verhindern sollen. Diese Themen werden in weiteren Vorträgen auf dem Symposium besprochen.
„Was wir hier heute erfahren, sind Zwischenergebnisse“, kommentiert Professor Endres. „Viele der durch die Pandemie angestoßenen Projekte werden erst in einigen Jahren Resultate liefern. Die jedoch dürften dann der Medizin weit über die Infektiologie hinaus zugute-kommen – bei der Therapie von Autoimmunkrankheiten etwa, oder auch im Bereich Immunonkologie sowie dem weiten Feld der Gesundheitsvorsorge.“
Weitere Informationen
Das Programm des Symposiums und Abstracts der Vorträge finden sich unter https://www.paul-martini-stiftung.de/symposium/2023/
Die Paul-Martini-Stiftung
Die gemeinnützige Paul-Martini-Stiftung, Berlin, fördert die Arzneimittelforschung sowie die Forschung über Arzneimitteltherapie. Die Stiftung intensiviert den wissenschaftlichen Dialog zwischen medizinischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen in Universitäten, Krankenhäusern, der forschenden Pharmaindustrie und anderen Forschungseinrichtungen sowie Vertretern und Vertreterinnen der Gesundheitspolitik und der Behörden. Dazu dienen die jährlich ausgerichteten Symposien und Workshops und die Verleihung des Paul-Martini-Preises. Träger der Stiftung ist der vfa, Berlin, der als Verband derzeit 48 forschende Pharma-Unternehmen vertritt.
Die Stiftung ist benannt nach dem Bonner Wissenschaftler und Arzt Professor Paul Martini (1889 - 1964), in Würdigung seiner besonderen Verdienste um die klinisch-therapeutische Forschung.
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Als Nationale Akademie der Wissenschaften leistet die Leopoldina unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Dazu erarbeitet die Akademie interdisziplinäre Stellungnahmen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. In diesen Veröffentlichungen werden Handlungsoptionen aufgezeigt, zu entscheiden ist Aufgabe der demokratisch legitimierten Politik. Die Expertinnen und Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. Die Leopoldina vertritt die deutsche Wissenschaft in internationalen Gremien, unter anderem bei der wissenschaftsbasierten Beratung der jährlichen G7- und G20-Gipfel. Sie hat rund 1.700 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Sie wurde 1652 gegründet und 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt. Die Leopoldina ist als unabhängige Wissenschaftsakademie dem Gemeinwohl verpflichtet.