Dauerkrise: Ad-hoc-Management half dabei, Russlands Wirtschaft auf Sanktionen vorzubereiten
In einem neuen ZOiS Report wird untersucht, wie die russische Wirtschaft durch eine besondere Art des Managements in der Lage war, sich an die Sanktionen anzupassen, die gegen das Land seit seiner vollumfänglichen Invasion der Ukraine verhängt wurden. Der Ansatz der Behörden ist weitgehend durch die Erfahrungen mit wiederkehrenden Krisen in den letzten 15 Jahren geprägt, was zu einer Gewohnheit von Ad-hoc-Managementpraktiken geführt hat.
Nach dem Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022 verhängte eine Koalition westlicher Staaten ein umfangreiches Sanktionspaket gegen Russland. Doch die russische Wirtschaft hat sich diesen Strafmaßnahmen gegenüber bemerkenswert resistent gezeigt, mit einem geschätzten BIP-Wachstum von über 2 % im Jahr 2023. „Die Annahme, dass dies hauptsächlich auf Einnahmen aus Ölverkäufen zurückzuführen ist, ist ein Irrtum“, erklärt ZOiS-Forscherin Alexandra Prokopenko. Auf der Grundlage von Daten des staatlichen russischen Statistikamtes (Rosstat), der Zentralbank der Russischen Föderation, Medienquellen und Interviews mit Führungskräften des Finanzsektors hat sie analysiert, wie vier Krisen zwischen 2008 und 2023 einen Ad-hoc-Managementstil im russischen Finanzsektor befördert haben.
Krisen und Management
In den letzten 15 Jahren hat Russland mehrere Krisen mit teilweise geopolitischen Auswirkungen durchlebt. Dieser Zeitraum wurde durch die Führung von Elvira Nabiullina und Anton Siluanov geprägt, die heute als Gouverneurin der Zentralbank beziehungsweise Finanzminister fungieren. Die aufeinanderfolgenden Krisen haben bei ihnen eine spezielle Denkweise geprägt. „Die ständige Notwendigkeit, Herausforderungen zu bewältigen, die von Faktoren außerhalb ihrer Kontrolle herrührten, etwa von Maßnahmen, die nichts mit geld- und fiskalpolitischen Belangen zu tun haben, hielt sie in einem Zustand ständiger Bereitschaft für das Unerwartete“, meint Prokopenko. Ihre Ansätze zielten darauf ab, zu verhindern, dass Krisen im Finanzsektor auf die Realwirtschaft übergriffen, und verfolgten eine konservative Finanzpolitik, die sich auf große Reserven stützte.
Der Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008 und die darauffolgende weltweite Finanzkrise lösten die erste große Krise Russlands unter Putin, damals Premierminister, aus. Der drastische Verfall der Ölpreise führte zu erheblichen Abflüssen aus dem Privatsektor und zu einem beträchtlichen Rückgang der Reserven. Notmaßnahmen der Finanzbehörden und die Konzentration auf die Erhaltung der Reserven führten zu einem anschließenden BIP-Wachstum.
In den Jahren 2014-2015 wurde Russland von einem Abschwung auf den Rohstoffmärkten sowie von Sanktionen wegen der Annexion der Krim und seiner Beteiligung am Krieg in der Ostukraine getroffen. Der Einbruch der Ölpreise, die Abwertung der Währung und die Inflation hatten verheerende Auswirkungen auf einen Haushalt, der stark von Öleinnahmen abhängig ist. Im Krisenmanagement erhielt in diesem Fall eine unmittelbare Reaktion Vorrang vor langfristigen Reformen.
Die Covid-19-Pandemie verursachte mit globalen Pandemie-Beschränkungen und einer geringeren Energienachfrage einen doppelten Schock für die russische Wirtschaft. Die Regierung stellte der Wirtschaft große finanzielle Hilfen zur Verfügung und die russische Zentralbank verfolgte eine lockere Geldpolitik. Die Regierung unterstützte die Unternehmen mit Steuererleichterungen und Krediten und lieferte ein weiteres Beispiel für Russlands Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten.
Trotz einer florierenden Wirtschaft Anfang 2022 veränderten der vollumfängliche Krieg gegen die Ukraine und die darauffolgenden Sanktionen die wirtschaftliche Landschaft Russlands. Strenge Kapitalkontrollen, die vorübergehende Schließung der Börse und ein Zinssatz von 20 % schränkten die Wirtschaftstätigkeit ein, stabilisierten aber im Frühling 2022 das Finanzsystem. Anpassungsmaßnahmen halfen der Wirtschaft dabei, eine fragile Stabilität wiederzuerlangen.
Ausreichend gegen den Niedergang, nicht genug für Wachstum
Russlands Wirtschaftsmanagement, das auf die Bewältigung von Krisen ausgerichtet ist, zieht einen konservativen Ansatz dem Schaffen von Investitionsanreizen vor. Gewöhnt an Sanktionen und globale Schocks, verlassen sich die Finanz-Entscheider*innen auf ein Ad-hoc-Krisenmanagement, was auch in Friedenszeiten auf Kosten der institutionellen Entwicklung geht. „Diese ständige Habachtstellung fördert die Abhängigkeit von manuellen Eingriffen und behindert das institutionelle Wachstum und die langfristige wirtschaftliche Stabilität. Der Ansatz ist zwar bei der Krisenbewältigung wirksam, kann aber die notwendige Entwicklung robuster Institutionen untergraben, die für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum unerlässlich sind“, schließt Prokopenko.
Originalpublikation:
Prokopenko, Alexandra: Permanent Crisis Mode: Why Russia’s Economy Has Been So Resilient against Sanctions, ZOiS Report 4/2023.
Weitere Informationen:
https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-report/permanent-crisis-mode-why-russias-economy-has-been-so-resilient-against-sanctions