HoF-Publikation: Wissenschaftliche Beiräte in der Wissenschaft
Unter den zahlreichen QS/QE-Instrumenten gibt es eines, zu dem bislang kaum systematisches Wissen vorlag: Wissenschaftliche Beiräte in der Wissenschaft. In diesen werden Wissenschaftler.innen von anderen Wissenschaftler.innen in wissenschaftlichen Fragen wissenschaftlich beraten. Sie sind nun untersucht worden. Drei zentrale Daten: Im deutschen Wissenschaftssystem gibt es rund 2.500 solcher Beiräte. In diesen sind 15 Prozent aller Universitätsprofessor.innen aktiv. Die jährlichen Kosten betragen 27 Mio Euro. Neben dem Aufwand wurde auch ihr Nutzen untersucht.
Wissenschaftliche Beiräte genießen allgemein eine positive Bewertung, sind aber zugleich ein vor Beobachtung gleichsam geschützter Bereich: Sie sind das einzige verbliebene Qualitätssicherungsinstrument in der Wissenschaft, das als fraglos funktionierend gilt. Es handelt sich mithin um ein Instrument des Nachfragens, das keinen Nachfragen ausgesetzt ist.
Die Mitgliedschaftscharakteristika weisen übergreifende Gemeinsamkeiten auf: Das typische Beiratsmitglied ist Professor, männlich, älter als 40 Jahre, hat jedoch das Pensionsalter noch nicht erreicht. Im Durchschnitt sind 81 Prozent der Mitglieder Professor.innen. Abgesehen von Fachzeitschriften (mit 18 % Frauenanteil) sind weibliche Habilitierte in allen anderen Wissenschaftlichen Beiräten mit 58 bis 68 Prozent stärker präsent als im deutschen Wissenschaftssystem insgesamt.
Die Wissenschaftlichen Beiräte erzeugen direkte und indirekte Kosten: unmittelbare Kosten, welche die Logistik der Beiratstätigkeiten absichern, der Zeitaufwand der Beiratsmitglieder sowie die Transaktionskosten, die in der Pflege des Verhältnisses von Beratenen zu den Beratenden entstehen. Der so entstehende direkte und indirekte Kostenaufwand entspricht den Personalkosten für 241 Vollzeit-Professuren. Da es rund 100 Universitäten in Deutschland gibt, sind das kalkulatorisch etwa 2,5 Professuren pro Universität.
Dem Aufwand steht gegenüber, dass die Wissenschaftlichen Beiräte im Regelfall auch Nutzen stiften. Drei Hauptfunktionen lassen sich identifizieren: Entweder werden die Beiräte als ‚kritische Freunde‘ beratend tätig oder/und zur Leistungsevaluation eingesetzt oder/und für Reputationszwecke unterhalten. Hinzu treten weitere Funktionen:
So kann ein Beirat auch zur Abweisung von externen Entscheidungszumutungen genutzt werden, indem er der beratenen Einheit Konfliktlasten abnimmt: Irritationen aus der Umwelt (etwa von politischen Akteuren) lassen sich über den Beirat so gekonnt zurückweisen, dass dies nicht negativ auf die beratene Organisation zurückfällt. Daneben gibt es verschiedene latente Beiratsfunktionen, insbesondere auf der individuellen Ebene. Diese umfassen die Möglichkeit zum Austausch über Forschungsthemen und anschließende Folgekommunikationen bis hin zur Karriereoptimierung.
Als potenziell kritische Punkte konnten zum Beispiel identifiziert werden: Die Diskussion mit Peers kann auch die Gelegenheit eröffnen, initiale Ideen in Konkurrenz weiterzuentwickeln. Durch eine lange Verweildauer in einem Beirat kann eine abnehmende Distanz zur beratenen Einrichtung entstehen, so dass Critical friends zu best friends werden. Stellen sich bei Beiratsmitgliedern Unzufriedenheiten mit der Beiratsarbeit ein, bleiben sie meist formal loyal: Sie treten nicht aus, gehen aber nicht mehr hin.
Insgesamt sind Wissenschaftliche Beiräte eine in der Wissenschaft kulturell weitgehend akzeptierte Form der Qualitätsentwicklung und -sicherung. Ein Beirat kann nicht allein mit Anregungen dienen, sondern auch mit vergleichsweise überschaubarem Aufwand die Legitimität einer wissenschaftlichen Einheit bedeutsam stärken. Denn bei wissenschaftsadministrativen und -politischen Instanzen besteht eine starke Glaubensgewissheit, dass ein reputierlicher Beirat die Qualitätsentwicklung der konkreten Einrichtung verbürge. Dies stützt sich vor allem auf eine ‚gefühlte‘ Funktionserfüllung: Systematisches Wissen über die Arbeit Wissenschaftlicher Beiräte oder gar ihre Wirkungen ist kaum vorhanden.
Da das Wissenschaftssystem mit Berichterstattungs- und Prüfprozeduren nicht unterversorgt ist, mag die Berufung eines Wissenschaftlichen Beirats auch eine so elegante wie pfiffige Technik sein, mit der sich wissenschaftliche Einrichtungen vor einem zusätzlichen Aufwuchs an qualitätskontrollierender Bürokratie schützen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Für Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Prof. Peer Pasternack, Email: peer.pasternack@hof.uni-halle.de
Originalpublikation:
Andreas Beer / Daniel Hechler / Peer Pasternack / Rocio Ramirez: Der Wissenschaftliche Beirat. Das letzte bislang unaufgeklärte Qualitätsinstrument in der Wissenschaft, BWV – Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2023, 227 S. € 29,-
ISBN 978-3-8305-5565-0
Weitere Informationen:
https://www.hof.uni-halle.de/web/dateien/pdf/WissBei_Inhalt_ZE.pdf (Inhaltsverzeichnis und Zentrale Ergebnisse)
https://www.hof.uni-halle.de/projekte/wissbei/