Neue Behandlungsoptionen bei Bluthochdruck: Welche aussichtsreichen Therapieansätze sind in der Pipeline?
Auf dem 47. Deutschen Hypertonie Kongress, der vom 30. November bis zum 2. Dezember 2023 unter dem Titel „Herausforderung Hypertonie – Wege zur kardio-reno-vaskulären Gesundheit 2030“ in Berlin stattfindet, werden unterschiedliche Aspekte zum Bluthochdruck im Fokus stehen; besonders relevant sind neue Therapieoptionen – die entweder schon verfügbar sind oder künftig dringend erwartet werden, um die Behandlung Tausender Menschen in Deutschland weiter zu verbessern und Spätfolgen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Nierenversagen zu verhindern. PD Dr. Markus Tölle, diesjähriger Kongresspräsident, stellte zwei neue Substanzklassen vor.
Jeder dritte Mensch in Deutschland hat zu hohe Blutdruckwerte – jedoch nur die Hälfte der Betroffenen ist adäquat therapiert. Therapeutisch sind neben einer Verbesserung des Lebensstils (z. B. Gewichtsnormalisierung) meistens Medikamente notwendig, um die Zielwerte zu erreichen; wobei mehrere Substanzklassen zur Verfügung stehen, die entsprechend kombiniert werden können, um einerseits die Wirkung zu verbessern und andererseits mögliche Nebenwirkungen zu minimieren.
Bei einem Teil der Betroffenen (2–40 % [1]) gelingt die Blutdrucknormalisierung trotz optimaler Medikamentenkombination jedoch nicht. Dabei spielt die Adhärenzproblematik eine große Rolle, denn medikamentöse Dauertherapien stellen für viele Betroffene eine große Herausforderung hinsichtlich der Einnahmetreue dar, vor allem wenn wie bei der Hypertonie häufig gar keine spürbaren Beschwerden bestehen. Studien belegen, dass mit jedem zusätzlichen Medikament die Adhärenz weiter sinkt.
Daneben gibt es aber auch eine „echte“ Therapieresistenz, deren Ursachen vielfältig sind. Ursächlich ist bei 25 % der therapieresistenten Hypertonien ein sekundärer Bluthochdruck [1, 2], d. h., eine andere Erkrankung liegt zugrunde. Infrage kommen z. B. Nieren-, Herz- oder hormonelle Erkrankungen (z. B. Schilddrüse, Nebennieren, Hypophyse) oder ein obstruktives Schlafapnoesyndrom. Außerdem kann es zur Therapieresistenz kommen, wenn andere Medikamente als Nebenwirkung den Blutdruck erhöhen (z. B. Antidepressiva oder die Pille); hier spricht man von pseudoresistenter Hypertonie.
Um für die vielen unterschiedlichen medizinischen Situationen der Betroffenen optimale blutdrucksenkende Therapieoptionen zur Verfügung zu haben, wird auf diesem Feld ständig weiter geforscht. Derzeit machen zwei Substanzklassen Hoffnung, die Kongresspräsident Dr. Markus Tölle vorstellte. Beide Substanzen greifen in das körpereigene Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) ein. Das RAAS ist eine Kaskade von enzymatischen Schritten, wodurch eine Reihe von Wirkstoffen bzw. weiteren Enzymen entsteht, die letztendlich alle zur Blutdruckerhöhung beitragen. Die Kaskade umfasst Renin > Angiotensinogen > Angiotensin I > ACE („Angio-tensin converting enzyme“) > Angiotensin II > Aldosteron (ein Steroidhormon der Nebenniere).
Aldosteronsynthase-Inhibitoren
AS-Inhibitoren setzen „ganz unten“ am Ende der RAAS-Kaskade an, sie unterbinden die Aldosteronwirkung vollständig, jedoch nicht wie das altbekannte Spironolacton durch eine Blockade der Mineralokortikoid-Rezeptoren (d. h. auch Aldosteronrezeptoren), sondern indem sie selektiv das Enzym hemmen, das zur Aldosteronproduktion notwendig ist. Die chemische Entwicklung von Aldosteron-Synthase-Inhibitoren war langwierig und schwierig, da die Aldosteronsynthase zu 93 % dem Enzym gleicht, das zur Cortisolsynthese benötigt wird (das aber nicht mit gehemmt werden darf, da Cortisol lebenswichtig ist).
Die selektive AS-Inhibition hat weniger Nebenwirkungen als ein Mineralokortikoid-Rezeptorblocker, so kommt es nicht zu hormonellen Nebenwirkungen wie Gynäkomastie oder Libidoverlust. Ein solcher AS-Inhibitor ist Baxdrostat mit einer 100:1-Selektivität für die AS-Hemmung. Baxdrostat wurde bereits erfolgreich in einer multizentrischen, randomisierten, placebokontrollierten Phase-II-Studie bei 248 Menschen mit therapieresistenter Hypertonie untersucht [3]. Baxdrostat (einmal täglich 0,5 mg, 1 mg oder 2 mg) wurde zusätzlich zur bisherigen stabilen antihypertensiven Dreifachkombination über 12 Wochen verabreicht. Dosisabhängig sank der systolische Blutdruck um 12,1; 17,5 und 20,3 mm Hg (gegenüber 9,4 mm Hg mit Placebo). Unter Baxdrostat gab es keine schweren unerwünschten Ereignisse. Kaliumspiegelanstiege auf ≥ 6,0 mmol/l traten in zwei Fällen auf (diese Erhöhungen traten jedoch nach Absetzen und erneuter Baxdrostat-Gabe nicht wieder auf). Ein weiterer AS-Inhibitor ist Dexfadrostat(phosphat), für das eine randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-I-Studie vorliegt [4]. Insgesamt 48 normotensive Teilnehmende erhielten oral verschiedene Dosierungen (bis 16 mg) Dexfadrostat über acht Tage. Sicherheit und Verträglichkeit waren gut; die Aldosteronproduktion wurde im Vergleich zu Placebo wirksam unterdrückt. Die endokrine Gegenregulation führte dazu, dass die 4-mg-Dosis im Gegensatz zu den 8- und 16-mg-Dosen nach acht Tagen keine 24-Stunden-Wirkung mehr aufwies. Veränderungen des Blutdrucks wurden bei den gesunden, normotensiven Menschen nicht beobachtet, was zu erwarten war, da die physiologische kompensatorische Rückkopplung im RAAS durch eine Hochregulierung der Renin- und Angiotensin-II-Bildung einen neuen „Steady State“ im Salzhaushalt bewirkt.
„In der weiteren Behandlungsrealität muss sich Baxdrostat nun natürlich zunächst in der Phase-III-Prüfung beweisen“, so Prof. Tölle. „Von den AS-Inhibitoren werden dann zukünftig insbesondere Betroffene mit schwer einstellbarer Hypertonie und der speziellen Form einer aldosteronabhängigen Hypertonie bzw. primärem Aldosteronismus profitieren, die auf die herkömmlichen Therapien nicht gut ansprechen.“
Angiotensinogen-siRNA
Spezifische siRNA („small-interfering-RNA“) greifen „ganz oben“ am RAAS an. Sie stoppen die Produktion von blutdrucksteigerndem Angiotensinogen (der „Quelle aller Angiotensine“) in der Leber, indem die Expression des entsprechenden Gens gezielt herabgeregelt wird („Gen-Silencing“) [5].
Ein solches RNA-Interferenztherapeutikum mit prolongierter Wirkdauer ist Zilebesiran, für das im Sommer eine Phase-I-Studie publiziert wurde [6]. Insgesamt 107 Teilnehmende mit Bluthochdruck erhielten 2 : 1 randomisiert entweder eine Einzeldosis Zilebesiran (10, 25, 50, 100, 200, 400 oder 800 mg) oder Placebo und wurden 24 Wochen nachbeobachtet. Zilebesiran senkte dosisabhängig die Serumkonzentration von Angiotensinogen. Einzeldosen von Zilebesiran ≥ 200 mg senkten bis Woche 8 den systolischen Blutdruck um > 10 mm Hg, die Wirkung hielt auch nach 24 Wochen noch an. Bei gleichzeitiger Gabe von Irbesartan (ein ARB) wurde die antihypertensive Wirkung verstärkt. 5/107 Teilnehmende zeigten leichte, vorübergehende Hautreaktionen an der Injektionsstelle. Hypotonie, Hyperkaliämie oder eine relevante Verschlechterung der Nierenfunktion traten nicht auf.
Möglicherweise wird mit diesem Ansatz das RAAS-Escape-Phänomen umgangen (sog. Bypass-Effekt). Denn bei konventioneller RAAS-Hemmung kann es gelegentlich zu einem kompensatorischen Reninanstieg kommen, der die Angiotensinbildung so stark ankurbelt, dass die klassischen RAS-inhibierenden Medikamente (ACEi und ARB) nicht mehr ausreichen.
„Die Therapie mit siRNA ist ein interessanter pharmakologischer Ansatz“, so Tölle. „Besonders relevant für den klinischen Alltag ist, dass der blutdrucksenkende Effekt über Wochen bis vermutlich Monate anhält. Hier liegt das große Potenzial der Therapie, da gut die Hälfte unserer Patientinnen und Patienten nicht adäquat eingestellt ist, was in den meisten Fälle an der unzureichenden Adhärenz liegt. Mit langwirksamen Medikamenten, die von Ärztinnen und Ärzten appliziert werden, wäre das Adhärenzproblem gelöst.“
Wie der Experte abschließend herausstellte, zeigen diese Beispiele innovativer Medikamentenklassen, dass auch bei einer vermeintlich gut erforschten Krankheit wie der Hypertonie die kontinuierliche wissenschaftliche Arbeit und die Entwicklung neuer Therapieansätze wichtig sind, um perspektivisch alle Patientinnen und Patienten optimal versorgen zu können.
[1] Pathan MK, Cohen DL. Resistant Hypertension: Where are We Now and Where Do We Go from Here? Integr Blood Press Control. 2020 Aug 5;13:83-93. doi: 10.2147/IBPC.S223334. PMID: 32801854; PMCID: PMC7415451
[2] https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/high-blood-pressure-hypertension/resistant-hyperten-sion
[3] Freeman MW, Halvorsen YD, Marshall W, Pater M, Isaacsohn J, Pearce C, Murphy B, Alp N, Srivastava A, Bhatt DL, Brown MJ; BrigHTN Investigators. Phase 2 Trial of Baxdrostat for Treatment-Resistant Hypertension. N Engl J Med. 2023 Feb 2;388(5):395-405. doi: 10.1056/NEJMoa2213169. Epub 2022 Nov 7. PMID: 36342143
[4] Mulatero P, Groessl M, Vogt B, Schumacher C, Steele RE, Brooks A, Hossack S, Brunner HR. CYP11B2 inhibitor dexfadrostat phosphate suppresses the aldosterone-to-renin ratio, an indicator of sodium retention, in healthy volunteers. Br J Clin Pharmacol. 2023 Aug;89(8):2483-2496. doi: 10.1111/bcp.15713. Epub 2023 Apr 10. PMID: 36914591
[5] Addison ML, Ranasinghe P, Webb DJ. Novel Pharmacological Approaches in the Treatment of Hypertension: A Focus on RNA-Based Therapeutics. Hypertension. 2023 Nov;80(11):2243-2254. doi: 10.1161/HYPERTENSIONAHA.122.19430. Epub 2023 Sep 14. PMID: 37706295
[6] Desai AS, Webb DJ, Taubel J, Casey S, Cheng Y, Robbie GJ, Foster D, Huang SA, Rhyee S, Sweetser MT, Bakris GL. Zilebesiran, an RNA Interference Therapeutic Agent for Hypertension. N Engl J Med. 2023 Jul 20;389(3):228-238. doi: 10.1056/NEJMoa2208391. PMID: 37467498
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