Viel Aufwand, wenig Beute: Geringer Erfolg bei der Futtersuche vertreibt Fledermäuse aus Städten
Während manche Wildtiere relativ gut in städtischen Lebensräumen zurechtkommen, stellt die Futtersuche größere, insektenfressende Fledermausarten vor Herausforderungen: Um satt zu werden, muss der Große Abendsegler (Nyctalus noctula) in der Stadt länger als ihre Artgenossen auf dem Land fliegen und fangen dennoch weniger Insekten. Städtische Fledermäuse gehen alleine auf die Jagd, während auf dem Land die Artgenossen regelmäßig gemeinsam unterwegs sind. Dies zeigt eine neue Untersuchung unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW), die in der Fachzeitschrift „Global Change Biology“ erschienen ist.
Das Forschungsteam um PD Dr. Christian Voigt und Dr. Laura Stidsholt vom Leibniz-IZW stattete Große Abendsegler, eine ungefähr 30 Gramm schwere Fledermausart, im Stadtgebiet Berlin und in einem ländlichen Gebiet in Mecklenburg-Vorpommern mit kleinen Sensorloggern aus. Dies ermöglichte es ihnen, den Aufwand für die Nahrungssuche, die Anwesenheit von Artgenossen und den Jagderfolg während der Nahrungssuche in städtischer und ländlicher Umgebung zu erfassen und zu analysieren. Die Ergebnisse war konsistent mit den Vorhersagen der Forschenden: Obwohl die Abendsegler in beiden Umgebungen ähnlich große Beutetiere jagten, erbeuteten sie in der Stadt deutlich weniger Beutetiere pro Flugzeit und insgesamt eine geringere Gesamtmenge an Insekten als ihre Artgenossen auf dem Land. Zudem mussten sie dabei höher und weitere Strecken fliegen – Fledermäuse in der Stadt fangen also weniger Beute und haben einen höheren Energieaufwand bei der Suche nach Insekten als Fledermäuse auf dem Land. Um die städtischen Nachteile zu kompensieren, könnten Große Abendsegler in der Stadt ihre geringere Energiezufuhr dadurch ausgleichen, dass sie im Ruhezustand ihre Körpertemperatur absenken, so die Forschenden.
„Es leben zwar viele Fledermausarten in städtischen Gebieten, aber es geht nicht allen gleichermaßen gut“, sagt Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW. Vor allem für größere Arten sei das Nahrungsangebot aufgrund der starken Versiegelung durch Straßen, Parkplätze und Bebauung eher schlecht, sagt Voigt. Alle europäischen Fledermausarten sind Insektenfresser, die abends oder nachts auf Nahrungssuche gehen. In den Städten finden sie ihre Beute in räumlich eng umgrenzten Arealen wie in Parks und Friedhöfen. Städte scheinen für größere Fledermausarten wie dem Großen Abendsegler wenig attraktiv, so Erstautorin Stidsholt, Postdoktorandin am Leibniz-IZW. „In der Stadt waren Große Abendsegler zudem weniger sozial, sie jagten also seltener mit Artgenossen zusammen. Wahrscheinlich war die Gruppenjagd in der Stadt unnötig, da es für eine Stadtfledermaus überschaubar ist, in welchen Grünanlagen sich Beuteinsekten befinden. Auf dem Land benötigen sie hierfür die Unterstützung ihrer Artgenossen.“
Die meisten Fledermausarten haben aufgrund ihres hohen Stoffwechsels und ihrer energieaufwändigen Fortbewegung einen hohen Energiebedarf. Um diesen während des gesamten Tagesverlaufes in Zeiten von Nahrungsknappheit zu reduzieren, versetzen sich Fledermäuse in einen Schlafzustand. Dabei senken sie ihre Körpertemperatur und somit ihren Energieverbrauch erheblich. Möglicherweise nutzen größere Arten wie der Abendsegler diese Methode in der Stadt gezielt, um eine positive Energiebilanz aufrechtzuerhalten. Allerdings hat der energiesparende Ruhezustand auch negative Folgen, zum Beispiel für Weibchen des Großen Abendseglers während der Trächtigkeit und für die Jungtierentwicklung, denn bei niedrigeren Körpertemperaturen wird auch das Wachstum ausgebremst.
Die Verstädterung hat erhebliche Auswirkungen auf Wildtiere und ihre Lebensräume. Auch wenn sich einige wenige Tierarten an städtische Umgebungen anpassen können, meidet die Mehrheit der Wildtierarten urbane Landschaften, was zu einem allgemeinen Rückgang der Artenvielfalt führe, so die Forschenden. Die Urbanisierung wirke wie ein Umweltfilter, der einige Arten mit geeigneten Verhaltens-, Morphologie- und Fortpflanzungsmerkmalen begünstige, viele jedoch verdränge. Städtische Gebiete zeichnen sich durch wenige Spitzenprädatoren (typischerweise Säugetiere), große räumliche Heterogenität und fragmentierte Lebensräume aus, was zu einem höheren Wettbewerb innerhalb und zwischen Arten führt. Die Situation großer Fledermausarten in städtischen Gebieten ist dafür ein gutes Beispiel, wie die wissenschaftliche Untersuchung des Leibniz-IZW zeigt. Für den Schutz großer Fledermausarten in städtischen Umgebungen seien Lebensräume mit vielen Insekten entscheidend, betont das Forschungsteam.
Die wissenschaftliche Untersuchung wurde von der Villum Foundation finanziell unterstützt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
PD Dr. Christian Voigt
Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Tel: +49(0)30 5168 511
E-Mail: voigt@izw-berlin.de
Dr. Laura Stidsholt
Wissenschaftlerin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)
Tel: 0045 28717824
E-Mail: laura.stidsholt@bio.au.dk
Originalpublikation:
Stidsholt L, Scholz C, Hermanns U, Teige T, Post M, Stapelfeldt B, Reusch C, Voigt CC (2023): Low foraging rates drive large insectivorous bats away from urban areas. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.17063