Bahnbrechende Studie enthüllt Geheimnisse der galaktischen Ausströmungen
Galaxien geben unter Umständen enorme Materiemengen an ihre Umgebungen ab, ausgelöst durch eine Vielzahl von Explosionen massereicher Sterne. Mit dem MUSE-Instrument am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) wurde nun zum ersten Mal nachgewiesen, dass solche „galaktischen Winde“ keineswegs selten sind, sondern geradezu häufig stattfinden.
Ein internationales Forschungsteam, das vom französischen Centre national de la recherche scientifique (CNRS) geleitet wurde, fand bei der Untersuchung einer Stichprobe von rund 100 Galaxien die für galaktische Winde charakteristischen doppelkegelförmigen Strukturen vor. Diese werden jedoch nur in bestimmten Spektrallinien des Lichts und nur bei extrem hoher Empfindlichkeit der Messung erkennbar. Zuvor waren nur einige wenige solcher Fälle bekannt, die meisten davon eben-falls mit dem MUSE-Instrument entdeckt. Prof. Dr. Lutz Wisotzki, Leiter der Abteilung Galaxien und Quasare am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP), und Mitautor des Fachartikels im Wissenschaftsmagazin „Nature“ sagt dazu: „MUSE zeigt uns, dass solche galaxienweite Ausströmungen in so gut wie jeder sternbildenden Galaxie vorhanden sind. Darüber hinaus können wir anhand der neuen Ergebnisse genau erkennen, welche Ausdehnung und welche Form diese galaktischen Winde typischerweise haben. Bisher war dies nur in sehr seltenen Extremfällen möglich.“
Es wird angenommen, dass ausströmendes Gas eine entscheidende Rolle bei der kosmischen Entwicklung von Galaxien spielt, indem es deren Wachstum und Sternentstehung reguliert. Theoretische Berechnungen sagen „bipolare“ Formen für die Ausströmungen vorher, die sich oberhalb und unterhalb der Galaxienebene bis weit in das zirkumgalaktische Medium erstrecken. Ähnliche Formen wurden auch in einigen nahen Galaxien, beispielsweise der „Zigarrengalaxie“ M82 und sogar in unserer eigenen Milchstraße, schon direkt beobachtet, allerdings sieht man hier nur die innersten Bereiche und kann kein Gesamtbild erstellen.
Kosmologische Simulationen der Galaxienbildung sagen für das junge Universum voraus, dass das Phänomen der galaktischen Winde während dieser Frühphasen deutlich häufiger und stärker auftrat: Aufgrund der höheren Sternbildungsaktivität junger Galaxien gab es mehr Supernova-Explosionen und dadurch stärkere Ausströmungen. Diese transportieren Gas und Energie aus einer Galaxie in ihre Umgebung und entziehen ihr somit den notwendigen Treibstoff für weitere Sternentstehung, während sie gleichzeitig ihre „zirkumgalaktische“ Umgebung anreichern. Dieser Rückkopplungsprozess ist vermutlich ein entscheidendes Element für unser Verständnis der Entstehung und Entwicklung von Galaxien, er ist aber aufgrund der schwierigen Nachweisbarkeit des Phänomens nur sehr unzureichend durch Beobachtungen erforscht.
Die neue Studie mit dem MUSE-Instrument zeigt nun unmittelbar, dass das galaktische Gas bis zu einer Entfernung von mehr als 30.000 Lichtjahren in die Umgebung der Galaxien ausströmt. Dabei hängt das beobachtbare Signal stark von der Ausrichtung der Galaxie relativ zur Sichtlinie ab: Sieht man das System von der Seite, so findet sich starke Emission oberhalb und unterhalb der Galaxienebene, während bei Galaxien, die wir von „oben“ oder „unten“ betrachten, das Signal schwächer und gleichmäßiger verteilt ist. Diese Beobachtungen bestätigen auf sehr eindrückliche Weise die zuvor theoretisch vorhergesagte bipolare Form der Ausströmungen senkrecht zur Galaxienebene.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. Lutz Wisotzki, 0331 7499 532, lwisotzki@aip.de
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1038/s41586-023-06718-w
Weitere Informationen:
http://Guo, Y., Bacon, R., Bouché, N.F. et al. Bipolar outflows out to 10 kpc for massive galaxies at redshift z ≈ 1. Nature 624, 53–56 (2023).