Bezahlbaren Wohnraum schaffen ist möglich!
In den letzten Jahrzehnten wurde die Wohnungsversorgung vermehrt dem Markt überlassen. Das Problem von steigender Nachfrage und sinkendem Angebot an preiswertem Wohnraum besteht mehr denn je. Es existieren jedoch effektive Strategien der Wohnungspolitik, um diesem Mangel entgegenzuwirken. Dieses Positionspapier von Prof. Dr. phil. Martin Becker, Stadt- und Quartiersentwicklung und Prof. Dr. Sebastian Klus, Studiendekan Soziale Arbeit von der Katholischen Hochschule Freiburg, beschreibt wie durch wirksame Wohnungspolitik Verteilungskonflikte reduziert und Fremdenfeindlichkeit teilweise der Boden entzogen werden kann.
Aus aktuellen Schlagzeilen tritt derzeit neben Terror, Krieg und Klimawandel wieder einmal des Thema Zuwanderung und Migration in den Vordergrund. Dabei wird u.a. die Überlastung der Kommunen bei der Versorgung von geflüchteten Menschen erwähnt. Angesichts der vielen Menschen, die auf der Flucht in unzulänglichen Booten im Mittelmeer umkommen, verbietet sich die Verwendung der geradezu zynischen Metapher „des vollen Bootes“ in Bezug auf die Unterbringung der an Europas Ufern ankommenden Menschen. Und dennoch wird immer wieder der Eindruck einer monokausalen ursächlichen Verbindung zwischen aktueller Zuwanderung und dem Problem des Mangels an (preiswertem) Wohnraum vermittelt. Diese Ursachenzuschreibung soll in und mit den folgenden Zeilen als Vereinfachung dekonstruiert und objektiviert werden.
Auch nach den zurückliegenden Jahren des Baubooms ist das Thema Wohnungsmangel, insbesondere der Mangel an preisgünstigem Wohnraum immer noch ein gesellschaftliches Dauer-Thema. Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Wohnungsthemas greift über die primäre Versorgungsfrage nach genügend Wohnraum hinaus, denn wenn Wohnung als knappes Gut erkannt und erlebt wird, entstehen zwangsläufig Konflikte um den Zugang zu und die Verteilung dieses knappen Gutes. Solche Konflikte der Verteilung eines knappen Gutes, wie Wohnungen, laufen Gefahr über vereinfachende Ursachenzuschreibungen für sachfremde Zwecke, wie das Schüren von Politikverdrossenheit, Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismusideologien instrumentalisiert zu werden. Demgegenüber könnten mit engagierter und konsequenter Bewältigung des Wohnungsmangels gesellschaftliche Verteilungskonflikte reduziert und Fremdenfeindlichkeit zumindest teilweise der Boden entzogen werden.
Die Zeiten der Bevölkerungsschrumpfung in Gesamtdeutschland, der Wohnungsleerstände und des Wohnungsrückbaus, vorwiegend in Ostdeutschland, in den 1990er und 2000er Jahren scheinen vorbei. Mietpreissteigerungen und Mangel an bezahlbarem Wohnraum kennzeichnen seither die Entwicklung. Wobei die Mietbelastungsquoten nach Region und Großstadt, nach Branchen und nach Einkommensstufen differieren. Als Folgen lassen sich steigende Wohnkosten, Verdrängungen einkommensarmer Haushalte in das Umland der Metropolen und den ländlichen Raum, erhöhte Mobilitätsanforderungen an Bevölkerung und Infrastruktur sowie ansteigende Differenzen zwischen Lohn- und Mitniveau konstatieren.
Soweit sollte noch Konsens über die Ausgangslage herstellbar sein. Die Reihe der Vereinfachungen beginnt jedoch bei der Ursachenzuschreibung. In Teilen der öffentlichen Diskussion rund um den Wohnungsmangel wird als Ursache des Wohnungsmangels vorwiegend die zu geringe Bautätigkeit benannt. Tatsächlich scheint die Formel „steigende Wohnungsnachfrage, bei sinkendem Angebot preiswerten Wohnraums“ als Ursachenfeststellung offensichtlich und plausibel. Für die steigende Wohnungsnachfrage gibt es jedoch mehrere Gründe. Seit etwa 10 Jahren steigt die Bevölkerungszahl in Deutschland, vorwiegend durch Zuwanderung, insbesondere in prosperierenden Regionen und Großstädten. Gesellschaftliche Entwicklungen, wie die Ausweitung urbaner Lebensstile, verbunden mit mehr kleinen, mobilen Haushalten, wenigen Kindern und häufigeren Wohnortswechseln, sind der erforderlichen beruflichen Flexibilität (dem Arbeitsplatz folgend), dem Offenhalten biografischer Entscheidungen (spätere Familiengründung) und für zunehmend viele Menschen auch mit dem Ausweichen in Gebiete mit geringeren Wohnkosten geschuldet. Damit steigt die Anzahl der Haushalte insgesamt, die mehr Wohnungen nachfragen. Allerdings steigt die Anzahl an nachgefragten Wohnungen in Deutschland nicht gleichermaßen an, sondern in wirtschaftlich, kulturell und landschaftlich attraktiven Städten und urbanen Regionen liegen die Steigerungsraten deutlich höher als in ländlichen Regionen und weniger attraktiven Siedlungsgebieten. Weiterhin ist das Angebot an vorhandenen Wohnungen weiter zu differenzieren. So ist das Wohnungsangebot zwar insgesamt im Vergleich zur Nachfrage zu gering, doch es gibt deutliche Unterschiede nach Lage, Größe und Preis. Vor diesem Hintergrund ist auch eine undifferenzierte und ungesteuerte Ausweitung des Wohnungsangebots, die auf so genannte „Sickereffekte“ setzt, nicht zielführend. Empirische Untersuchungen zeigen, dass solche Effekte in der Realität kaum vorhanden sind. Grund hierfür ist die weitgehende Segmentierung des Wohnungsmarktes in relativ geschlossene Teilmärkte, etwa für Eigentumswohnungen, hochpreisige oder günstige Mietwohnungen, Sozialwohnungen. Ein Wechsel der Nachfrager*innen zwischen den Teilmärkten ist vergleichsweise selten.
Neben der steigenden Wohnungsnachfrage hat auch das sinkende Angebot preiswerten Wohnraums mehrere Ursachen. Dass der Wohnungsbau dem steigenden Bedarf nicht mehr hinterherkommt, hat u.a. auch damit zu tun, dass in den letzten Jahrzehnten die Steuerung der Wohnungsversorgung zunehmend und politisch gewollt den Marktmechanismen überlassen wurde. Sowohl die vergleichsweise lange Vorlaufzeit zwischen Bauentscheidung, Planung, Vermarktung, Bau und Nutzungsübergabe, als auch die immer schneller sich verändernden Rahmenbedingungen für Bauprojekte, wie Finanzierungmodelle, Zinsentwicklung, Klimaanpassungen, Wohnbedarfe (Barrierefreiheit, Fahrrad-/Kinderwagenabstellplätze, Elektroladestationen, Energieeinsparmaßnahmen, etc.) erschweren die Anpassungen zwischen Nachfrage und Angebot. Mit den staatlichen Instrumenten zinsgünstiger Förderung preisgünstigen und preisgebundenen Wohnraumes waren in den zurückliegenden Zeiträumen der Niedrigzinsphase kaum noch Wirkungen zu erzielen. In Konsequenz daraus wurden und werden Investitionen in Wohnungen nur noch nach Rentabilitätserwägungen getroffen, womit sich für die Errichtung preisgünstigen Wohnraums kein Investitionsinteresse findet. Und selbst die öffentlich geförderten und preisgebundenen Wohnungen fallen nach Ablauf der Preisbindungsfrist dem freien Wohnungsmarkt zu und verringern das Angebot an preisgünstigem Wohnraum weiter.
Wenn das in den letzten Jahrzehnten zunehmend favorisierte marktorientierte Modell des freien Wohnungsmarktes den veränderten Bedarfen und Ansprüchen offenbar nicht gerecht werden kann, dürften alternative Strategien und Maßnahmen gefragt sein.
Da wären zum einen die Rahmenbedingungen für preisgünstigen Wohnraum zu verbessern. Dafür steht ein aktives Flächen- bzw. Grundstücksmanagement der Kommunen an, das mit Nachverdichtung, Schließen von Baulücken und einer dichteren urbanen Bauweise mit Mehrgeschossbauten (z.B. Aufstockung von Flachbauten wie Einkaufsmärkte, Kitas u.a. Nutzungen) zu mehr Wohnfläche beitragen kann. Weiterhin kann die Wohnbebauung von Konversionsflächen, vormals industrieller oder militärischer Nutzungen und die Ausweisung von Mischflächen zu Gewerbe- und Wohnzwecken Potentiale für (preiswerten) Wohnraum schaffen. Mit dem Einsatz von Vorkaufsrechten zum Ankauf von Grundstücken können Kommunen ihr Flächenportfolio erweitern und Wohnbebauung gestalten. Bereits in kommunaler Hand befindliche Grundstücke können über Verpachtungen und Erbbaurechte für Wohnzwecke genutzt und bebaut werden, anstatt diese zu veräußern und somit Einflussmöglichkeiten zu verlieren. Weiterhin lassen sich über Veränderungssperren und Milieuschutzsatzungen Umwidmungen von Miete in Eigentum und damit der Verlust preiswerten Wohnraums verhindern oder mindestens einschränken.
Neben der Gestaltung der Rahmenbedingungen für den Bau preiswerten Wohnraums gibt es Möglichkeiten öffentlich geförderten Wohnraum zu schaffen und zu sichern. Hierzu trägt u.a. die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit von kommunalen, genossenschaftlichen und anderen nicht gewinnorientierten Wohnungsgesellschaften bei. Mit dauerhafter Bereitstellung und Erhalt öffentlich geförderter und öffentlich verwalteter Wohnungsbestände, lässt sich eine nachhaltige Wirkung auf den Wohnungsmarkt erzielen. Dazu bietet die Entfristung der Mietpreisbindung ein hilfreiches Instrument, das in anderen europäischen Staaten, wie z.B. Österreich und Frankreich schon länger Anwendung findet. Mit Konzeptvorgaben und Quoten für sozialen Wohnungsbau, die bestimmte Zielgruppen wie Baugruppen, Mehrgenerationenwohnprojekte, andere neue Wohnformen und gemeinnützige Initiativen in den Blick nehmen, lassen sich bestimmte Wohnbedarfe zielgerichtet und zivilgesellschaftlich selbstorganisiert verwirklichen.
Eine dritte ebenso wichtige Dimension von Maßnahmen preisgünstigen Wohnraum zu erhalten bezieht sich auf den verbesserten Mieterschutz. Um das Wohnen im Bestand bezahlbar zu halten, lassen sich die bereits vorhandenen Kappungsgrenzen für Mietpreissteigerungen (§558 Abs.3 BGB) senken und auf Neu- und Wiedervermietungen ausweiten. Außerdem lassen sich Mietpreissteigerungen durch Modernisierungskosten auf ein vernünftiges Maß senken (§559 Abs.1 BGB). Mit der rechtlichen Koppelung an die Feststellung eines geringen Angebots an vergleichbarem Wohnraum, ließen sich Mietpreisüberhöhungen wirksamer verhindern (§5 WiStG) und mit der Übernahme der Maklergebühren durch die Vermieter als Auftraggeber, könnten auch diese Kosten den Mietern erspart werden.
Wie diese kurze und nur exemplarische Beschreibung von Maßnahmen zeigt, gibt es auf der Basis einer differenzierten Ursachenlage eine vergleichsweise reichhaltige Palette an Maßnahmen zur Steuerung der Entwicklung des Angebotes an preisgünstigem Wohnraum. Deren Anwendung erfordert zweifelsohne politischen Mut und Willen auf allen politischen Ebenen. Um diese wichtige Aufgabe der allgemeinen Daseinsvorsorge wirkungsvoll erledigen zu können, müssen die Rahmenbedingungen auf Bundesebene (Mietrechtsreformen, Einführung Wohngemeinnützigkeit) und Landesebene (Bauvorschriften, Förderprogramme sozialer Wohnungsbau) so gestaltet werden, dass effektives kommunalpolitisches Handeln ermöglicht und sinnvoll ergänzt wird. In Abstimmung mit der Landesebene können so vor Ort bedarfsgerechte Lösungen erarbeitet werden, die zu sozialem Zusammenhalt und zur Zufriedenheit der Bevölkerung beitragen.
Die bekannten Charakteristika des Europäischen Stadtmodells –unterschiedliche Menschen und vielfältige Nutzungen auf engem Raum sowie bürgerschaftliche kommunale Selbstverwaltung – können hohe Toleranz- und starke Integrationswirkung erzeugen und damit Politikverdrossenheit, Fremdenhass und autoritären Ideologien entgegenwirken.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Prof. Dr. phil. Martin Becker
Professor für Stadt- und Quartiersentwicklung, Handlungskonzepte und Methoden Sozialer Arbeit und empirische Sozialforschung
Martin.becker@kh-freiburg.de
Prof. Dr. Sebastian Klus
Studiendekan Soziale Arbeit,
Professor für Konzepte und Methoden der Sozialen Arbeit
Sebastian.klus@kh-freiburg.de