Weiterbildung IHA-Diagnostik, früher „Hirntod-Diagnostik“ – eine Herausforderung der Zukunft
Die Irreversibler Hirnfunktionsausfall (IHA)-Diagnostik, früher „Hirntod-Diagnostik“, stellt insgesamt eine seltene Diagnostik dar, die über die Jahre hinweg zusätzlich an Frequenz abgenommen hat. Dies führt vor dem Hintergrund der immer komplexeren Durchführung der Diagnostik und einer wachsenden Anzahl älterer Patienten mit entsprechenden Begleiterkrankungen zu Problemen. Wie kann die Weiterbildung in der IHA-Diagnostik in der Zukunft gewährleistet werden?
Wurden gemäß den Daten des statistischen Bundesamt 2005 noch über 2000 IHA-Diagnostiken deutschlandweit durchgeführt, nahm diese Zahl 2010 auf knapp 1800, 2015 auf 1300 ab und liegt 2021 bei 1133 IHA-Diagnostiken deutschlandweit. Hierbei wurde etwas mehr als die Hälfte der Diagnostiken durch die Neuromediziner gemeinsam mit den Intensivmedizinern der Krankenhäuser selber und in etwas mehr als 40% durch auf IHA-Diagnostik spezialisierte externe Konsiliare/Konsiliarteams durchgeführt.
Die geringe Frequenz der Diagnostik führt zu verschiedenen Problemen: Für die IHA-Konsiliare wird es immer schwieriger, eine Expertise aufzubauen bzw. zu erhalten, dies vor dem Hintergrund der immer komplexeren Durchführung der Diagnostik. Patienten, die eine IHA-Diagnostik erhalten, werden zunehmend älter und haben häufiger und mehr Begleiterkrankungen und -Medikamente. Dazu kommen zunehmende technische Herausforderungen und Probleme wie zum Beispiel die Diagnostik bei extrakorporalen Zirkulationssystemen (vv-/va-ECMO etc.).
Aber viel wichtiger ist die Frage, wie eine Weiterbildung in der IHA-Diagnostik in der Zukunft gewährleistet werden kann. Diese Frage richtet sich sowohl an die geforderte Erfahrung, die in manchen Bereichen die Facharztweiterbildung in Neurologie oder Neurochirurgie und die Zusatzweiterbildung Intensivmedizin auf der Handlungskompentenzebene fordert als auch vor allem an die Aus- und Weiterbildung von zukünftigen IHA-Konsiliaren, die bei der geringen Anzahl an IHA-Diagnostik nicht mehr gewährleistet ist.
Eine Weiterbildung in praxi, für die eine gewisse Mindestanzahl an begleiteten und supervidierten Untersuchungsabläufen notwendig ist, lässt sich vor obigem Hintergrund als alleiniges Modell nicht mehr halten. Diese Erkenntnis ist vor dem Hintergrund eines zukünftig abzusehenden eklatanten Mangels an IHA-Konsiliaren mit ausreichender Expertise essentiell, da sie die Problematik des deutschlandweit zunehmenden Organspende-Mangels verschärft: Die Diagnostik kann aufgrund mangelnder Expertise nicht abgeschlossen werden oder potentielle Spender erfahren bei zu langen Wartezeiten auf eine IHA-Diagnostik eine Spendeablehnung seitens der Angehörigen. Und dieses Szenario ist nicht weit hergeholt, wenn man einmal betrachtet, in welchem Radius manche IHA-Teams tätig werden müssen, da eine Krankenhaus-nähere Versorgung nicht mehr gewährleistet ist.
Als Beispiel sei hier das Freiburger IHA-Konsiliar-Team genannt, welches Anfragen zur IHA-Diagnostik teilweise deutlich jenseits des 150 km-Radius erhält und hier sicherlich keine Ausnahme darstellt.
Schaut man sich nach alternativen Weiterbildungsmöglichkeiten jenseits der weiterhin häufigen und gängigen Praxis der Weiterbildung in praxi um, fällt auf, dass hier praxisorientierte Angebote Mangelware sind. Zwar gibt es auf den verschiedenen Fachkongressen der DIVI, DGN, DGNI, DGNC ebenso wie in den Fortbildungsprogrammen der Landesärztekammern regelmäßig theoretische Fortbildungsangebote zu den aktuellen Richtlinien der IHA-Feststellung. Jedoch existieren kaum strukturierte oder fallbasierte Weiterbildungsangebote und vor allem praktische Kurse.
Zu nennen sind hier der evaluierte Grundlagenkurs zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls, der seit einigen Jahren auf dem DIVI-Jahreskongress angeboten wird und alle Facetten der IHA-Diagnostik strukturiert beleuchtet. Praktische Weiterbildungen im Sinne von Simulationskursen zum Thema werden nur vereinzelt angeboten. Beispiele sind die IHA-Simulationskurse der Uniklinika Bonn und Mainz, der studentische Virtual Reality IHA-Kurs der Uniklinik Münster, der TXB-Kurs der DSO-Baden-Württemberg oder die kürzlich neu gestarteten Simulations-Workshops auf der DIVI- und der DGNI-Jahrestagung.
Dieses dünne Angebot praktischer Ausbildung kann weder den Bedarf der Weiterbildung weiterer Generationen an IHA-Konsiliaren/-Konsiliarteams noch die Weiterbildung für alle die Fachdisziplinen decken, die die IHA-Diagnostik in ihrer Facharztweiterbildung (Neurochirurgie, Neurologie und Pädiatrie mit Schwerpunkt Neuropädiatrie) oder Zusatzqualifikation Intensivmedizin (Anästhesie, Chirurgie, Innere Medizin, Neurochirurgie, Neurologie, Pädiatrie) auf der Handlungskompentenzebene fordern. Offen bleibt die Frage, wie eine Bestätigung dieser Handlungskompetenz angesichts der sinkenden Frequenz der deutschlandweiten IHA-Diagnostiken möglich ist.
Vor diesem Hintergrund ist ein enormer Nachholbedarf an strukturierten und vor allem praktischen Weiterbildungsmöglichkeiten festzustellen und der Aufbau geeigneter Fortbildungsstrukturen zwingend notwendig, wenn die aktuell noch gewährleistete hohe Qualität der IHA-Diagnostik flächendeckend auch in der Zukunft weiterhin erhalten bleiben und die im Weiterbildungskatalog für obige FÄ und Zusatzbezeichnete geforderten Handlungskompetenzen tatsächlich umgesetzt und gelebt werden sollen.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
PD Dr. med. Wolf-Dirk Niesen, Freiburg
Vorstand der DGNI
E-Mail: wolf-dirk.niesen@uniklinik-freiburg.de
Weitere Informationen:
http://www.dgni.de/865-weiterbildung-zur-irreversiblen-hirnfunktionsausfall-iha-diagnostik-herausforderung-der-zukunft.html