Digitalisierung der Fernwärme: Neues Handbuch belegt technische Vorteile und Wirtschaftlichkeit
Wärmenetze sind ein zentraler Hebel für den Klimaschutz im Gebäudesektor. Um dort erneuerbare Energien und Abwärme effizient einbinden sowie die Wärmenetze optimal betreiben zu können, ist eine Digitalisierung der Infrastrukturen nötig. Das Fraunhofer IEE hat zusammen mit internationalen Forschungspartnern ein Handbuch erstellt, das aufzeigt, was bei der Digitalisierung bestehender und neue Fernwärmesysteme zu beachten ist.
Dabei stellen die Experten und Expertinnen sowohl die technologische als auch die ökonomische und rechtliche Seite dar. Zahlreiche Fallbeispiele belegen: Digitalisierung ist eine essenzielle Technologie für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung und mit den Anforderungen an Flexibilität, der Einbindung erneuerbarer Energien und der daraus erwachsenden Komplexität der Anlagen geradezu notwendig.
Das Handbuch entstand im Rahmen des „Annex TS4“ des Technology Collaboration Programme zu Fernwärme und -kälte der Internationalen Energie-Agentur IEA. Bei diesem Projekt arbeiteten Forschungsinstitute aus Belgien, China, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Norwegen, Österreich, Schweden und Südkorea zusammen. Aus Deutschland engagierten sich hier neben dem Fraunhofer IEE als Koordinator, die Universität Stuttgart, die Hafen City Universität Hamburg und die Universität Kassel. Auch die Stiftung Umweltenergierecht und das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) steuerte Fachwissen bei. AGFW Der Energieeffizienzverband für Wärme, Kälte und KWK e. V. und viele Unternehmen unterstützten das Projekt mit ihrem Know-how. Die englischsprachige Fassung des Handbuchs ist in gedruckter Form erschienen und kann über den AGFW bezogen werden.
„Die Klimaziele im Gebäudesektor lassen sich nur mit Hilfe von Digitalisierungsmaßnahmen in der Fernwärme effizient erreichen. Unser Handbuch weist den Weg dahin: Es zeigt Versorgern, der Politik und anderen Interessierten, wie sich Digitalisierungsmaßnahmen der Netze unter unterschiedlichsten Randbedingungen realisieren lassen“, sagt Dr. Dietrich Schmidt, Forschungsschwerpunktleiter Thermische Energietechnik am Fraunhofer IEE.
Dr. Heiko Huther, Leiter Forschung & Entwicklung des AGFW, begrüßt ebenfalls die Fertigstellung des Handbuchs. „Die Digitalisierung ist für die Einbindung erneuerbarer Energien in Fernwärmenetzen und den effizienten Betrieb der Systeme ein wichtiges Thema. Die hier zusammengestellten Fakten zur Digitalisierung und die vielen gesammelten Fallbeispiele unterstützen die weitere Umsetzung der nötigen Maßnahmen und helfen so bei der weiteren Entwicklung.“ Diese werde der AGFW auch in Zukunft unterstützen.
Viele Vorteile der Digitalisierung der Fernwärme
Bislang ist die Fernwärme in Deutschland, wie in den meisten anderen Ländern Europas, überwiegend fossilen Ursprungs. Im Zuge der Dekarbonisierung müssen Erdgas und Kohle als Wärmequellen durch erneuerbare Energien und nicht vermeidbare Abwärme ersetzt werden. Um die Wärmeerzeugung entsprechend umzustellen, bedarf es einer effizienten und flexiblen Zusammenarbeit der Technologien. Für den Umbau der Systeme stehen nur begrenzte Personal-, Finanz- und Zeitressourcen zur Verfügung. Digitalisierung erlaubt eine weitergehende Automatisierung der Prozesse und ermöglicht einen hoch-effizienten Betrieb der Anlagen. Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz lassen sich weiterhin standardisierte und optimierte Prozesse sowie ein technisch sehr viel ausgefeilter und optimierter Betrieb umsetzen. So können die Fernwärmesysteme den zukünftigen Anforderungen an Flexibilität, der Einbindung erneuerbarer Energien und einem kosteneffizienten Betrieb gerecht werden. „Die Klimaziele verlangen, den Anteil der Fernwärme an der Wärmeversorgung in Deutschland bis 2030 etwa zu verdoppeln. Diese Netze müssen intelligent und hoch effizient betrieben werden“, erläutert Schmidt.
Die Expert*innen zeigen im Handbuch, wie sich Digitalisierungsmöglichkeiten in der Fernwärme realisieren lassen. Die Einführung von digitalen Prozessen hat gerade in der Fernwärmebranche für die Versorger zahlreiche Vorteile. Den nötigen Investitionen in die Digitalisierung stehen ökonomische Vorteile für den effizienteren Betrieb und die mögliche Umsetzung von neuen digitalen Geschäftsmodellen gegenüber. Beispiele zeigen, dass die Investitionen sich innerhalb kurzer Zeit bezahlt machen, wie die Wissenschaftler*innen errechnet haben.
Schlussfolgerungen aus dem Handbuch
Eine der wichtigsten technologischen Lösungen für die notwendige Dekarbonisierung des Energiesystems ist die Fernwärme. Damit die Fernwärme ihr volles Potenzial auszuschöpfen kann, muss sich das Fernwärmesystem jedoch weiterentwickeln und die Vorteile der Digitalisierung ausschöpfen. Fernwärmesysteme werden aufgrund eines wachsenden Mixes von Wärmeerzeugungstechnologien, verteilten Wärmequellen und der Sektorenkopplung immer komplexer werden. Digitalisierungsprozesse müssen den zuverlässigen Betrieb dieser Technologien unterstützen.
Der gestiegenen Komplexität der Systeme kann durch die Nutzung von Daten aus der Praxis und weiteren Quellen, wie z. B. Marktpreise oder Wetterprognosen begegnet werden. Das Konzept des digitalen Zwillings hilft, eine effektivere Planung und einen effizienteren Betrieb umzusetzen.
Ein maximales Ergebnis von Digitalisierungsmaßnahmen kann erwartet werden, wenn die gesamte Wertschöpfungskette von der Wärmeerzeugung über die Verteilung bis zur Energienutzung als Ganzes betrachtet wird. Gebäude, insbesondere von Endkunden, bieten im Rahmen der Digitalisierung und der Nutzung von Zählerdaten ein enormes Potenzial für einen effektiveren Betrieb des gesamten Fernwärmesystems.
Bei der Erhebung und Verarbeitung von Daten im Zuge der Digitalisierung der Fernwärmeversorgung sind die gesetzlichen Bestimmungen zum Datenschutz und zur Cybersicherheit zu beachten. Die Anforderungen sind auf EU-, nationaler und subnationaler Ebene festgelegt.
Standardisierung und einschlägige Referenz-Benchmarks wären für eine Einführung und einen Vergleich digitaler Lösungen von Vorteil. Dazu gehören gemeinsame Standards für die Kennzeichnung von Datenströmen, die Benennung von Komponenten und die Beschreibung des Fernwärme-Netzwerklayouts. Gut dokumentierte Datensätze und Anwendungsfälle sollten als Referenz-Benchmarks zur Verfügung gestellt werden.
Digitalisierungsmaßnahmen sollten kurzfristig umgesetzt werden. Versorgungsunternehmen können die betriebliche Effizienz ihrer Fernwärme- und Fernkältesysteme optimieren und neue Geschäftskonzepte einführen. Die Erfahrungen aus Pilotanwendungen zeigen, dass die Umsetzung von Digitalisierungsschritten eine gute Investition darstellt.
Wissenschaftlicher Ansprechpartner:
Dr. Dietrich Schmidt
Forschungsschwerpunktleitung Thermische Energietechnik
Fraunhofer IEE
Joseph-Beuys-Straße 8
34117 Kassel
Telefon +49 175 35 65 972
dietrich.schmidt@iee.fraunhofer.de
Weitere Informationen:
http://Das Handbuch wurde im Rahmen der internationalen Konferenz „Digitalization as the Enabler for High-Perfomance District Heating Systems“ der Fachöffentlichkeit am 20. & 21. November 2023 im Fraunhofer ENIQ in Berlin vorgestellt und diskutiert. Das Handbuch steht in englischsprachiger Fassung als kostenfreier Download zur Verfügung.
https://s.fhg.de/guidebook-district-heating